Der Auftrag kam von den Alliierten in den westdeutschen Besatzungszonen: Die
USA, Großbritannien und Frankreich forderten im Juli 1948 die Ministerpräsidenten der Bundesländer auf, eine Verfassung auszuarbeiten. Hans Ehard (
CSU) aus Bayern ergriff die Initiative und schlug einen "besonders ruhigen Ort" vor, um mit Experten eine Vorlage für den geplanten Parlamentarischen Rat zu schaffen: die Herreninsel im Chiemsee.
Nicht nur mit der traumhaften Lage im Voralpenland lockte er die Kollegen, sondern auch mit dem Hinweis, dass es dort nur zwei Telefone gebe - Diskretion wäre gewährleistet und der Einfluss der Parteien minimiert.
Zwölf Zigaretten, ein halbe Flasche Wein pro Tag
Vom 10. bis 23. August 1948 reisten rund 30 Länderbevollmächtigte und Experten ins Chiemgau, darunter Staatsrechtler wie Carlo Schmid und Theodor Maunz, Verwaltungsbeamte und Finanzexperten. 13 Tage und Nächte diskutierten sie intensiv, wie eine Verfassung für das künftige Deutschland nach dem
Zweiten Weltkrieg aussehen sollte. Bei Spaziergängen wurden in kleinen Gruppe Fachfragen erörtert.
Manche der Herren hatten ihre Ehefrauen und Kinder mitgebracht. Zur positiven Atmosphäre dürfte auch beigetragen haben, dass jeder Teilnehmer pro Tag das Anrecht auf drei Zigarren oder zwölf Zigaretten hatte. Zum Trinken waren eine halbe Flasche Wein oder ein Liter Bier zugesagt.
70 Jahre nach dem DDR-Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und 175 Jahre nach der deutschen Revolution von 1848 zeichnet Mirko Drotschmann Deutschlands langen Weg zur Demokratie nach.13.06.2023 | 88:33 min
Bayern brachte eine Vorlage mit
Die als Gastgeber fungierenden Bayern hatten eine Vorlage erarbeitet, in der Hoffnung, damit den Konvent gleich zu Beginn in die entsprechende Richtung treiben zu können. Eine der prägenden Persönlichkeiten war der Chef der bayerischen Staatskanzlei, Anton Pfeiffer. Als "geschäftsführender Betreuer" hielt er mit Geschick alle Fäden in der Hand, wie der Historiker Manfred Treml notiert.
Pfeiffer vertrat eine föderalistische Politik auf katholischer Grundlage. Der aus Hessen entsandte Hermann Brill charakterisiert ihn in seinem Tagebuc(h als eine "Mischung von naturwüchsiger, bajuwarischer Vitalität, einem politischen Barock und einer fleißigen, exakten, aber etwas trockenen bürokratischen Manier".
Begriff Grundgesetz in Herrenchiemsee etabliert
Die Experten beschäftigten sich mit den Grundrechten, der Rolle des Föderalismus und dem Schutz des Regierungssystems vor antidemokratischen Angriffen. Zugleich wurde die überragende Bedeutung der Menschenwürde als vorstaatliches Recht im Herrenchiemseer Verfassungsentwurf an prominenter Stelle erstmalig verankert.
Am Ende des Treffens 1948 stand ein 93-seitiger Bericht, der dem Parlamentarischen Rat zugeleitet wurde. Angesichts der drohenden Spaltung Deutschlands in West und Ost schlugen die Experten den Begriff Grundgesetz vor, um alle Möglichkeiten einer späteren Vereinigung offen zu halten.
Bundespräsident Steinmeier zum Jubiläum erwartet
Zum Festakt zum 75. Jahrestag des Konvents wird
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Hauptredner erwartet. Gastgeber der Jubiläumsfeier im Spiegelsaal des neuen Schlosses sind Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner und Ministerpräsident Markus Söder (beide CSU).
Die soziale Marktwirtschaft wird 75. Kanzler Ludwig Erhard versprach den Deutschen einst "Wohlstand für alle" - Wirtschaftsexperten erklären, was daraus geworden ist.
von Marie Groß und Anna Weiler
Quelle: KNA