Wahlrechtsreform: Eine tumultartige Debatte im Bundestag
Wahlrechtsreform:Eine tumultartige Debatte im Bundestag
von Dominik Rzepka
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Es ist die hitzigste Debatte des Jahres: Der Bundestag reformiert das Wahlrecht, dabei ist von einem Schurkenstück die Rede und von nützlichen Idioten. Es wird laut und hässlich.
So laut ist es im Bundestag selten. Und so hässlich wird es sonst nicht. Doch Alexander Dobrindt greift SPD, Grüne und FDP heute in einer Preisklasse an, die auch für den CSU-Landesgruppenchef ungewöhnlich ist.
Dobrindt redet sich in Rage: "Das ist verfassungswidrig. Sie machen hier eine Reform für sich selbst. Der geistige Urheber dieses Wahlrechts ist die AfD", donnert er. In ganz Europa versuchten Rechtsaußenparteien, den Parlamentarismus zu zerstören. Das, was er eigentlich von der AfD erwarte, setze jetzt die Ampel um. Die AfD nennt er "nützliche Idioten".
Bundestagsdebatte zur Änderung des Bundeswahlgesetzes17.03.2023 | 119:29 min
Sehen sie hier die Debatte zur Wahlrechtsreform in voller Länge:
Warum die CSU die neuen Regeln so heftig ablehnt
Das, was Dobrindt so aufregt, ist das neue Wahlrecht. Bisher konnte eine Partei auch dann in den Bundestag einziehen, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewinnt. Selbst dann, wenn sie weniger als fünf Prozent erreicht. Doch diese Regel, die sogenannte Grundmandatsklausel, hat die Ampel jetzt abgeschafft.
Für die CSU könnte das gefährlich werden. Denn sie hat bei der letzten Wahl bundesweit 5,2 Prozent bekommen. Würde sie bei der nächsten Wahl nur noch 4,9 Prozent erreichen, würde sie keinen einzigen Abgeordneten ins Parlament entsenden. Selbst dann nicht, wenn sie 46 Direktmandate in Bayern gewinnen könnte.
Was Hauptstadt-Korrespondentin Shakuntala Banerjee zur Reform sagt:
Linke wäre nicht mehr im Bundestag
Betroffen wäre davon auch die Linke. Sie hat bei der vergangenen Bundestagswahl nur 4,9 Prozent erhalten. Doch die drei Direktmandate von Gesine Lötzsch, Gregor Gysi und Sören Pellmann retteten die Partei. Mit dem neuen Wahlrecht der Ampel würde die Linke jetzt nicht mehr im Bundestag sitzen.
Und so rantet auch Linken-Mann Jan Korte in Richtung Ampel, wie es der Bundestag lange nicht erlebt hat:
Die Wahlrechtsreform schade der Linken, Korte spricht gar vom "größten Anschlag seit Jahrzehnten". Er vergleicht SPD, Grüne und FDP mit Donald Trump. Und kritisiert - unter Beifall der Union: "Sie überlassen der AfD den Osten". Korte wird am Ende persönlich, fast schon ausfallend: "Ich wünsche Ihnen alles politisch Schlechte."
Ampel ändert Meinung klammheimlich
Das Pikante: Ende Januar hat der Bundestag schon einmal die Wahlrechtsreform diskutiert. Seinerzeit hatte die CDU vorgeschlagen, dass künftig fünf statt drei Direktmandate nötig sein müssten, um die 5-Prozent-Hürde zu umgehen. Die Ampel war dagegen.
Die Grundmandatsklausel solle dafür sorgen, dass regional starke Parteien trotz Unterschreiten der Fünf-Prozent-Klausel im Parlament sind, sagte Till Steffen von den Grünen. Und Sebastian Hartmann von der SPD schimpfte sogar Richtung CDU:
SPD in Richtung Linke: "Arsch hoch"
Heute wollen SPD, Grüne und FDP von ihren Äußerungen von damals nichts mehr wissen. Als die direkt gewählte Linke Gesine Lötzsch fragt, ob die SPD mit dem neuen Wahlrecht in Wahrheit eine linke Konkurrenz ausschalten wolle, antwortet ihr SPD-Frau Leni Breymaier: "Arsch hoch, dann kommt Ihr auch über die fünf Prozent."
Das sagt sie wirklich.
Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen, sagte zur Wahlrechtsreform:
Merz will Reform schnellstmöglich zurücknehmen
Eigentlich hätte das Wahlrecht überparteilich reformiert werden sollen. Das aber hat der Bundestag über Jahre nicht geschafft. Auch heute ist das Parlament davon Meilen entfernt.
Mehr noch: CDU-Chef Friedrich Merz kündigt an, die heute beschlossene Reform bei nächster Gelegenheit wieder kassieren zu wollen. Alexander Dobrindt spricht gar von einer Manipulation, die nun gerichtlich überprüft werden müsse.
Nach so viel Unversöhnlichkeit bleibt ein bitterer Beigeschmack. Der Bundestag ist zu einer einvernehmlichen Wahlrechtsreform nicht in der Lage. Und zu einer sachlichen Debatte auch nicht.