Wagner-Aufstand: "Möglicherweise Putins Anfang vom Ende"
Interview
Experte zu Wagner-Aufstand:"Möglicherweise Putins Anfang vom Ende"
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Prigoschin hat seine Wagner-Söldner auf ihrem Weg nach Moskau gestoppt. Was steckte hinter dem Aufstand und seinem rätselhaften Ende? Einschätzungen von Militärexperte Nico Lange.
Wagner-Chef Prigoschin hat am Samstagabend den Befehl zum Rückzug seiner Privatarmee gegeben.
Die Söldner gaben daraufhin ihre Stellungen im Süden Russlands auf.
Der Kreml erklärte, weder Prigoschin noch die Söldner würden strafrechtlich verfolgt, Prigoschin werde ins Nachbarland Belarus gehen.
Prigoschin hatte am Freitagabend zu einem "Marsch für die Gerechtigkeit" aufgerufen. Er warf der russischen Militärführung vor, ein Wagner-Truppenlager angegriffen zu haben.
Wagner-Söldner marschierten daraufhin von der Ukraine aus nach Russland und besetzten Militär-Objekte in Rostow.
Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hat am Samstagabend den Befehl zum Rückzug seiner Privatarmee gegeben. Die Söldner gaben daraufhin ihre Stellungen im Süden Russlands auf. Der Aufstand der Privatarmee hinterlässt viele Fragen. Was dahinter stecken könnte, erklärt Sicherheitsexperte Nico Lange im heute journal.
Christian Sievers: Was war das heute? Ein Putschversuch, eine Drohung, am Ende gar ein abgekartetes Spiel?
Nico Lange: Es war am Anfang ein Aufstand von Jewgeni Prigoschin und den Wagner-Kämpfern gegen das russische Verteidigungsministerium. Es wurde zu einem Putsch, und dann ist es jetzt ein rätselhaftes Ende, bei dem viele Fragen offen bleiben.
Die dramatischen Ereignisse des Tages können Sie in unserem Live-Blog nachlesen
Sievers: Kann man jetzt so weiter machen, als wäre nichts gewesen?
Lange: Die Wagner-Kämpfer haben das Hauptquartier der russischen Streitkräfte, von dem der Krieg gegen die Ukraine geführt wird, besetzt. Einfach so. Sie sind durch Russland gefahren, mit bewaffneten Kräften, mit Schützenpanzern. Sie sind nicht aufgehalten worden von russischen Sicherheitskräften, die offenbar keine Lust hatten, sich mit ihnen anzulegen für Putin.
Quelle: Tobias Koch
... arbeitet für die Zeitenwende-Initiative bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Von 2004 bis 2006 forschte und lehrte er in St. Petersburg. Später leitete er die Auslandsbüros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine und in den USA. Von 2019 bis 2022 war er Leiter des Leitungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nach den Aussagen von Wladimir Putin und nach den Aussagen von Prigoschin und den Ereignissen des heutigen Tages eine Rückkehr zur Situation davor geben kann. Und auch Putin ist sehr stark beschädigt.
Sievers: Wie wird dann das neue Machtgefüge in Russland möglicherweise aussehen? Kann man das schon abschätzen?
Lange: Die Frage ist offen. Das ist vielleicht auch der Grund, warum sich viele heute so abwartend verhalten haben. Es war ja auffallend, dass viele sich nicht aus der Deckung wagen, dass viele sich lange nicht positioniert haben. Wir haben keine Unterstützung für Prigoschin gesehen.
Wir werden sehen, was es in den nächsten Tagen eigentlich heißt - dieser Deal. Es ist völlig unklar, wie er zustande gekommen ist. Hat man Prigoschin zu irgendetwas gezwungen, ist er erpressbar gewesen, warum haben seine Kämpfer jetzt plötzlich aufgehört und was wird mit den 25.000 Wagner-Söldnern, die in der Ukraine gekämpft haben - gehen die in die Ukraine zurück? Was heißt das für die Leistungsfähigkeit der russischen Streitkräfte in der Kriegsführung in der Ukraine. Alle diese Fragen sind heute offen.
Sievers: Gucken wir trotzdem noch mal so ein bisschen in die weitere Zukunft bei der ganzen Sache. Putin stellt sich ja immer so dar, als habe er alles unter Kontrolle, als sei er unverwundbar. Kann er sich mit dem heutigen Tag überhaupt noch halten?
Lange: Es gab schon vorher russische Aufständische, die sich gegen Putin positioniert haben, die im Grunde in dem Gebiet Belgorod spazieren gefahren sind, gegen die keiner was unternommen hat. Es gab jetzt diesen bewaffneten Aufstand der Wagner-Gruppe, die Putin im Grunde auf der Nase herumgetanzt sind. Er hat sich nach vielen Stunden erst gemeldet.
Und er hat in dieser Ansprache am Samstagfrüh im Fernsehen nicht souverän gewirkt, nicht stark, sondern eher schwach und verängstigt. Also Putin ist beschädigt und es ist eine große Frage: Hat das eine Auswirkung auf sein Machtgefüge? Hat das eine Auswirkung auf die Strukturen im Militär und überhaupt im Sicherheitssystem? Also, da ist einiges in Bewegung gekommen.
Sievers: Wenn ein totalitäres System ins Wanken gerät, ist das dann eine gute oder eine schlechte Nachricht für die Welt?
Lange: Wir sollten keine Angst davor haben, dass Putins Totalitarismus ins Wanken gerät. Unser Interesse ist die Unterstützung der Ukraine, die angegriffen worden ist von Putin. Darauf müssen wir uns konzentrieren. Möglicherweise kann die Ukraine diese Situation auch nutzen. Wir sollten vor Veränderungen in Russland und einem Machtverlust Putins sollten wir aus meiner Sicht keine Angst haben. Wie diese Veränderungen ablaufen, was jetzt weiter folgt, das ist zum jetzigen Zeitpunkt wirklich sehr schwer einzuschätzen.
Sievers: Kann man in Richtung Ukraine – sie haben es gerade angesprochen – zum jetzigen Zeitpunkt schon sagen, ob die Kriegsführung jetzt mit den Ereignissen heute einfacher wird oder möglicherweise komplizierter?
Lange: Das ist sehr früh, um dazu etwas sagen zu können. Die russischen Soldaten, die an der Front kämpfen, sind im Regelfall auch von Informationen abgeschnitten. Man kann gar nicht einschätzen, was sie davon mitbekommen haben. Aber sollten zum Beispiel die Wagner-Söldner nicht in die Ukraine zurückkehren, wäre eine leistungsfähige Komponente der russischen Streitkräfte gar nicht mehr vorhanden und müsste durch andere ersetzt werden, die vielleicht nicht so leistungsfähig sind.
Aber vor allen Dingen, wenn der interne Streit in Russland weitergeht, vielleicht auch noch mit anderen Akteuren, hat das möglicherweise eine Auswirkung auf die Kohäsion der russischen Truppen, die ja jetzt schon unter Druck stehen durch den ukrainischen Gegenangriff. Und das kann möglicherweise der Ukraine helfen.
Christian Sievers ist Moderator des ZDF heute journal.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.