Kreml will Kontrolle: Götterdämmerung für die Wagner-Gruppe?

    Kreml will die Kontrolle:Götterdämmerung für die Wagner-Gruppe?

    von Christian Mölling und András Rácz
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    Wagner-Chef Prigoschin steht vor einem Dilemma: Verlust der Kontrolle oder Auflösung seiner Privatarmee. Der Kreml will, dass sich alle Freiwilligenverbände unterordnen.

    Söldner der russischen Wagner-Gruppe
    Söldner der russischen Wagner-Gruppe - verliert Prigoschin die Kontrolle?
    Quelle: Imago

    Am 10. Juni kündigte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu an, dass alle Freiwilligenverbände und private Militärdienstleister, die an der Seite der regulären russischen Armee kämpfen, den Generalstab über ihre Anzahl, Ausrüstung und Aktionen informieren und bis zum 1. Juli einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium unterzeichnen müssen.
    Schon vorher, bis zum 15. Juni, müssen sie das Ministerium über alle Waffen und Ausrüstungen informieren, die sie von den regulären russischen Streitkräften erhalten haben.

    Handlungsspielraum der Wagner-Gruppe schrumpft

    Der Eigentümer der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, gab am 11. Juni bekannt, dass er eine solche Anfrage vom Verteidigungsministerium erhalten habe. Prigoschin versuchte zunächst zu kontern, indem er die Bedeutung der Wagner-Gruppe in der Ukraine hervorhob und auch die russischen regulären Streitkräfte angriff, weil sie nicht in der Lage waren, die ukrainische Gegenoffensive zu stoppen.
    Der Söldnerchef und Unternehmer Jewgeni Prigoschin schaut auffordernd in die Kamera, er ist neben einem großen Fragezeichen zu sehen. Das Foto ist schwarz-gelb eingefärbt.
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    Prigoschins Handlungsspielraum schrumpft jedoch zusehends. In seinem Gespräch mit Militärkorrespondenten am 13. Juni stärkte der russische Präsident Wladimir Putin die Position des Ministeriums, indem er darauf hinwies, dass alle Freiwilligenformationen Verträge mit dem Verteidigungsministerium abschließen müssen.

    Schoigus Maßnahmen im Einvernehmen mit Kreml

    Er betonte, dass die Kämpfer dieser Formationen andernfalls keine Sozialleistungen erhalten können; dies ist ein offensichtlicher Appell an das Personal dieser Freiwilligenformationen, in erster Linie an die Wagner-Gruppe.
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    Die Tatsache, dass Putin dieses Thema ausdrücklich erwähnte, zeigt, dass Schoigus Maßnahme, die Wagner-Gruppe vollständig unter staatliche Kontrolle zu stellen, die volle Unterstützung des Kremls genießt.

    Wagner-Gruppe abhängig von der Unterstützung des Militärs

    Wagner nahestehende Militärblogger und Analysen kommen zu dem Schluss, dass es sich hierbei wahrscheinlich um einen Versuch des Ministeriums handelt, den Nachschub für die Gruppe Wagner zu stoppen und so die Formation entweder zu zerstören oder sie vollständig zu übernehmen.
    Die Gruppe Wagner ist vollständig abhängig von der Ausrüstung und dem Nachschub, einschließlich der Munition, die sie von den regulären russischen Streitkräften erhält. Wenn das Ministerium auf den Fristen vom 15. Juni und 1. Juli beharrt, sitzt Prigoschin in einer Zwickmühle: Entweder gibt er freiwillig die Kontrolle über die Gruppe auf, oder die Gruppe würde aufgrund des fehlenden Nachschubs aufhören zu existieren.



    Viele Kämpfer könnten Wagner-Truppe verlassen

    Ein zusätzliches Problem für Prigoschin besteht darin, dass er sich der bedingungslosen Loyalität seiner Untergebenen nicht völlig sicher sein kann. Es ist keineswegs auszuschließen, dass viele Kämpfer der Wagner-Gruppe, erschöpft von den monatelangen Kämpfen und den hohen Verlusten in der Ukraine, beschließen, die Gruppe zu verlassen und sich eine Beschäftigung bei anderen russischen privaten Sicherheits- oder Militärunternehmen zu suchen, die ein besseres, funktionelleres Verhältnis zum russischen Staat haben.
    Das Argument des Kremls über die Gewährung von Sozialleistungen könnte für viele besonders attraktiv sein.
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    Zukunft von Wagner ungewiss

    Von diesem Zeitpunkt an scheint die einzig gangbare Strategie für Prigoschin darin zu bestehen, zu versuchen, den erforderlichen Vertrag mit dem Ministerium aufzuweichen. Mit anderen Worten, er könnte versuchen, sich einen Teil seiner Handlungsfreiheit zu bewahren, indem er auf einen solchen Vertrag drängt, der de jure die Kontrolle des Ministeriums über Wagner festschreibt, sie aber de facto in Prigoschins Händen belässt.
    Allerdings ist noch nicht klar, warum Schoigu Prigoschin jetzt vom Haken lassen sollte, wo doch auch hinter dem Verteidigungsministerium die offene Unterstützung Putins steht.
    Der erste Test wird der 15. Juni sein, an dem die vom Ministerium erhaltenen Kräfte, Reserven, Ausrüstungen und Munition gemeldet werden müssen. Ob und inwieweit Prigoschin diese Frist einhält, wird für die Zukunft seiner Beziehungen zum Ministerium und für die Zukunft der Wagner-Gruppe von Bedeutung sein.
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