Ohne Wohnungen kein Personal:Wie teure Mieten das System Stadt gefährden
von Sven Class, Stuttgart
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Hohe Mieten bergen für Städte Risiken: Denn Menschen in Berufen, die das System Stadt am Laufen halten, können sich das Leben dort oft kaum mehr leisten - und drohen abzuwandern.
Wer eine Wohnung sucht, hat es vor allem in Großstädten schwer. Aus Mangel an Alternativen zahlen viele Mieter überhöhte Preise.09.04.2024 | 8:48 min
Der Weg zur Arbeit ist für Michael Egeler jeden Tag eine neue Herausforderung: 32 Kilometer einfache Wegstrecke - nimmt er die Öffentlichen, sind das bis zu drei Stunden jeden Tag. Gerade versucht er einen Spagat: Fährt einen Teil mit dem Auto, steigt dann aufs Fahrrad um, damit er etwas schneller ist, etwas mehr Zeit übrig ist für die Familie.
Egeler arbeitet als Serviceassistent an der Uniklinik in Tübingen, unterstützt die Pflege, bringt Wäsche und Essen. Die Einstiegsgehälter in seinem Bereich: gut 2.700 Euro brutto. Zu wenig für ihn, um in Tübingen zu wohnen.
Tübingen für viele zu teuer geworden
Als er 2012 mit seiner Frau in die Stadt kam, haben sie zunächst versucht, stadtnah in Tübingen zu wohnen - doch zu einem für sie akzeptablen Preis haben sie nichts gefunden, wohnen jetzt auf dem Land. Er liebt seinen Job, macht ihn mit voller Leidenschaft. Deshalb nimmt er die Pendel-Strapazen in Kauf. Doch nicht alle können oder wollen das - und so hat sein Arbeitgeber, die Uniklinik Tübingen, in vielen Bereichen inzwischen ernsthafte Probleme, Personal zu finden.
Wenn eine Wohnung in einer Stadt zu teuer ist, wird es schwer, dort zu arbeiten oder eine Ausbildung zu beginnen. Auch für den Arbeitgeber ist das ein Problem.11.03.2024 | 1:37 min
Besonderer Brennpunkt: Die Intensivstationen, sagt der Pflegedirektor der Uniklinik, Klaus Tischler.
Und hat er einmal passende Fachkräfte gefunden, bleiben die oft nicht lange: "Wir merken, dass wir zum Beispiel auch im Krankentransport eine hohe Fluktuation haben, weil die Menschen, wenn sie wohnortnah was bekommen, den Arbeitsplatz in der Nähe ihres Wohnortes annehmen und nicht jeden Tag 40 oder 50 Kilometer pendeln."
Es ist ein Problem, nicht nur für die Uniklinik, sondern für die gesamte Stadt: "Wenn in Tübingen wegen der hohen Mietpreise Erzieherinnen, Polizisten, Feuerwehrleute, Krankenschwestern keine Wohnung finden, dann kann es sein, dass die Kita zumacht oder das Krankenhaus im Zweifelsfall Patienten abweist. Die Stadt funktioniert dann nicht mehr, wie sie muss", sagt Oberbürgermeister Boris Palmer.
Der Wohnungsmarkt in Freiburg ist leergefegt. Deshalb soll jetzt ein neues, klimaneutrales Stadtviertel mit knapp 7.000 neuen Wohnungen entstehen.27.02.2024 | 1:58 min
System Stadt gerät ins Wanken
Teure Mieten, die für Menschen in unteren und mittleren Lohngruppen nicht mehr zu stemmen sind, sind ein Problem in vielen größeren Städten in Deutschland. Sie bringen das komplette System Stadt zunehmend ins Wanken. Denn ohne diese Menschen: keine Kinderbetreuung, Engpässe in der medizinischen Versorgung, keine Fachkräfte in der Gastronomie. Speziell Großstädte sind betroffen. In ihnen liegen die Nettokaltmieten laut Statistischem Bundesamt rund 30 Prozent über den Preisen von Kleinstädten und ländlichen Gemeinden.
Auch Tübingen ist eine Stadt, die es hart trifft - selbst wenn die Einwohnerzahl mit gut 90.000 unter der Großstadtschwelle von 100.000 liegt. Doch die Stadt ist in den letzten Jahren stark gewachsen: Durch Spitzenforscher an der Uni, durch hochbezahlte Fachkräfte, die internationale Topfirmen anziehen.
Wer aktuell eine Wohnung zur Miete sucht, muss hier im Schnitt laut Maklern rund 15 Euro kalt pro Quadratmeter ausgeben. Wer schon seit einigen Jahren eine Wohnung hat, bezahlt laut den aktuellsten Zahlen von 2022 im Schnitt 10,67 Euro kalt pro Quadratmeter - deutlich mehr als im bundesweiten Schnitt, der laut statistischem Bundesamt 2023 bei 8,70 Euro lag.
Der Grund für extrem hohe Mieten, speziell in Städten, liegt auch in einem starken Rückgang von Sozialwohnungen. Auf sie hat etwa in Baden-Württemberg Anspruch, wer als Zweipersonen-Haushalt insgesamt weniger als 55.250 Euro brutto verdient. Doch die Zahl solcher Wohnungen ist deutlich zurückgegangen, hat sich bundesweit zwischen 2006 und 2019 von 2,09 Millionen auf 1,09 Millionen fast halbiert. Viele Verbände schlagen längst Alarm, fordern eine Sozialwohnungsbau-Offensive und dafür 50 Milliarden Euro von Bund und Ländern.
400.000 neue Wohnungen hatte Kanzler Scholz versprochen, doch das Ziel wurde weit verfehlt. Trotz erhöhten Förderungen waren die Ressourcen schon früh erschöpft. Der Wohnungsbau befindet sich mitten in einer Krise.11.04.2024 | 2:04 min
In Tübingen nehmen sie die Sache auch selbst in die Hand: Die Uniklinik investiert 75 Millionen Euro in neue Personalwohnungen. Die Stadt baut eine ehemalige Sprachschule um, rund 50 WG-geeignete Wohnungen entstehen - speziell für Berufseinsteiger mit niedrigem Einkommen. Denn ohne bezahlbaren Wohnraum kein Personal - eine Herausforderung für alle teuren Städte in Deutschland.