Als Greenpeace die Brent Spar in der Nordsee besetzte

30 Jahre Brent Spar-Besetzung:Greenpeace gegen Shell: Duell auf dem Meer

von Winnie Heescher
|

51 Tage dauerte der Kampf um die Brent Spar. Greenpeace forderte Shell heraus, die Rollen schienen klar verteilt. Heute jährt sich die Besetzung der Ölplattform zum 30. Mal.

Wasserwerfer schießen auf besetzte Bohrinsel "Brent Spar"
Greenpeace-Aktivisten besetzten 1995 die Ölplattform Brent Spar. Der Grund: Ölkonzern Shell wollte die ausgediente Plattform im Meer versenken. Es folgte ein flächendeckender Shell-Boykott.30.04.2025 | 10:28 min
30. April 1995: Es sind unvergessliche Bilder, Menschen in roten Überlebensoveralls kletterten ein rostiges, gelbes Stahlmonster hoch. Ein waghalsiger Aufstieg in eisiger Kälte über tosendem Meer, ungesichert, aber mit fester Absicht, diesen schwimmenden Öltank in der Nordsee zu besetzen.
Von Hamburg aus hatten Greenpeace-Aktivisten sich Ende April 1995 Richtung Shetlandinseln aufgemacht, um den Ölkonzern Shell herauszufordern. Shell brauchte seinen Öltank "Brent Spar" nicht mehr, eine Pipeline macht ihn überflüssig.

Zweifel am Plan des Ölkonzerns

Shell wolle ihn bald abschleppen lassen und sparen - die Brent Spar sollte in mehr als 2.000 Meter Tiefe im Atlantik versenkt werden. Das war damals den wenigsten bekannt, ein Greenpeace-Mitarbeiter hatte davon durch Zufall erfahren.
Christian Bussau war bei der Besetzung dabei und erinnert sich: "Es gab einige Leute in unseren Reihen, die waren skeptisch."

Andere waren sehr sicher, dass wir das verhindern müssen, dass die Meere als Müllkippe benutzt werden.

Christian Bussau, Biologe bei Greenpeace

Brent Spar
Greenpeaceeinsatz an der Shell-Bohrinsel "Brent Spar".
Quelle: AP

Aufmerksamkeit mithilfe der Medien

Damit die Welt möglichst schnell von der Aktion erfährt, hatte Greenpeace Journalisten mitgenommen. Unter ihnen auch der ARD-Reporter Jochen Graebert. "Ich war total ernüchtert", beschreibt er nach seiner Ankunft die Lage, "ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Scheinwerfer der Welt auf dieses verlassene Fass fallen würden und nicht nur ich dachte so."
Auch Greenpeace sagte: "Das Allerschlimmste, was uns passieren kann, wenn Shell uns einfach ignoriert und wir hier medial verhungern."
Der ARD-Reporter reiste nach wenigen Tagen ab, die Greenpeace-Aktivisten blieben. Was blieb ihnen auch anderes übrig, sie hatten Millionen in diese Kampagne gesteckt.

Klimaschutzprojekte in China
:Milliardenbetrug in Ölbranche? Darum geht's

Ölkonzerne haben ihre Klimaschutzpflichten offenbar mit vorgetäuschten Projekten erfüllt - das zeigen ZDF-frontal-Recherchen. Das Umweltbundesamt spricht jetzt von Betrugsverdacht.
von H. Koberstein, M. Orosz, N. Niedermeier
Shell-Tankstelle im Süden Londons
Exklusiv

Die Situation wird brenzlig

Der Vorstand in der Shell-Zentrale in London verlor die Geduld und ließ sich gerichtlich das Recht auf Räumung der Plattform bestätigen. Am 23. Mai näherte sich ein weiterer Riese aus Stahl der Brent Spar: eine Schwimmplattform, die Polizei und Shell-Mitarbeiter absetzen soll.
Die Greenpeace-Aktivisten wurden wenig zimperlich vertrieben und abgeführt. Ihr Trost: Ihre eigenen Kameras und die der Medien filmten alles mit. Greenpeace hatte die Bilder, die sie brauchten.

David gegen Goliath, die aufrechten selbstlosen Öko-Kämpfer gegen den profitgierigen Ölkonzern, das war die Konstellation, die nicht mehr zu schlagen war.

Jochen Graebert, ARD-Reporter

ARD-Reporter Jochen Graebert weiter: "In diesem Moment, als diese Bilder über die Bildschirme liefen, hat Shell die Schlacht verloren."
FILES-US-CLIMATE-ENVIRONMENT-LAW
Nach Protesten gegen eine umstrittene Pipeline in den USA soll Greenpeace eine Millionenstrafe zahlen. Die Organisation spricht von einem Angriff auf die Demonstrationsfreiheit.20.03.2025 | 0:24 min

Boykott gegen Shell

Politik, Kirchen, Gewerkschaften und auch die Medien, fast geschlossen standen sie an der Seite von Greenpeace. Deutschland stand Kopf: Es gab Anschläge auf Shell-Tankstellen und Boykotte, der Umsatz sank um bis zu 50 Prozent.
Schließlich lenkte Shell ein: Am 20. Juni 1995 gab der Konzern bekannt, die Brent Spar, die sie bereits Richtung Atlantik geschleppt hatten, nicht mehr zu versenken. Stattdessen wurde der Schrotttank für viel Geld an Land geschleppt und dort entsorgt.
Eine Shell-Tankstelle in Hamburg, an der keine Autos tanken.
Eine Shell-Tankstelle in Hamburg ist wie leergefegt. Der Boykott der Tankstellen sorgte in Deutschland für 50 Prozent weniger Umsatz.
Quelle: AP

Sieg für Greenpeace

Greenpeace hatte damit seinen größten Sieg errungen - mit einem bitteren Schönheitsfehler: Die NGO (Non-Governmental Organization) muss später zugeben, am Ende der Kampagne mit falschen Zahlen agiert zu haben: 5.500 Tonnen Ölschlamm befänden sich noch auf der Brent Spar, hatte Greenpeace behauptet.
Erstes mit Ethanol betriebenes über 300 Meter langes Containerschiff läuft im Hamburger Hafen ein Die Ane Maersk kam zur blauen Stunde am Eurogate im Parkhafen im Hamburger Hafen an.
Die meisten Schiffe fahren mit Diesel oder Schweröl. Mit einem neuen Verfahren kann die umweltfreundliche Alternative Methanol aus Abwasser von Kläranlagen hergestellt werden.24.03.2025 | 1:39 min
Eine unabhängige Behörde bestätigte später: Es waren nur 130 Tonnen. Genau das hatte Shell immer gesagt. Den eigentlichen Sieg über Shell bekommt die Öffentlichkeit kaum noch mit: 1998 wurde das Versenken von Ölplattformen im Meer durch eine internationale Konvention verboten.
Die Brent Spar-Kampagne wurde zum Symbol: ein Musterbeispiel für mangelhafte Krisen-PR, eine überhitzte Medienblase und die Macht von Bildern.
Korrespondentin Winnie Heescher berichtet für das ZDF aus Skandinavien.

Icon von whatsapp
Quelle: dpa

Sie wollen auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie beim ZDFheute-WhatsApp-Channel richtig. Hier erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Zur Anmeldung: ZDFheute-WhatsApp-Channel.

Mehr zum Thema Umweltschutz