Anschlagspläne auf Moschee: Imamin bleibt unbeirrt

    Interview

    Anschlagspläne auf Moschee:Imamin Ateş lässt sich nicht unterkriegen

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    Die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee musste wegen Anschlagsplänen schließen. Im Interview spricht Imamin Seyran Ateş über muslimischen Antisemitismus und die Wiedereröffnung der Moschee.

    Ibn Rushd-Goethe Moschee
    Die liberale Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin, deren Imamin Ates ist.
    Quelle: imago

    ZDFheute: Sie mussten die Ibn-Rushd-Goethe Moschee vorübergehend schließen, weil Islamisten einen Anschlag auf Sie und Ihre Gemeinde planten. Wie geht es Ihnen drei Monate nach der Entscheidung?
    Seyran Ateş: Alle, die mit meiner Arbeit vertraut sind, werden sagen: 'Das ist ja jetzt nichts Neues.'

    Seit fast 18 Jahren stehe ich unter Personenschutz. Das bedeutet, ich war mir der Gefahr unserer Arbeit bewusst.

    Nun kommt hinzu, dass wir uns nach dem bestialischen Überfall der Hamas am 7. Oktober mit Israel solidarisierten und uns gleichzeitig deutlich gegen die Hamas positionierten.



    Darüber hinaus habe ich von einem Beschluss des Bundesgerichtshofs erfahren, dass Islamisten Anschlagspläne gegen unsere Moschee vorbereitet haben. Plötzlich kam die Gefahr so viel näher und als Verantwortliche habe ich entschieden: "So können wir nicht weitermachen.

    Inzwischen haben wir so viel Zuspruch bekommen, dass wir zu dem Entschluss gekommen sind, die Moschee nicht zu schließen.

    Wir konnten erkennen, wie relevant unsere Arbeit ist. Das Freitagsgebet findet nur noch mit Anmeldungen statt, zu Veranstaltungen werden ebenfalls nur noch angemeldete Personen eingelassen. Alles andere geschieht online unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen.
    Archiv: Seyran Ates bei einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor wegen des Kriegs der Hamas gegen Israel, am 08.10.2023
    Seyran Ateş (Archivfoto).
    Quelle: imago

    ZDFheute: Warum gerät Ihre Moschee ins Visier von Islamisten?
    Ateş: Überall werden Muslime, die den Islam zeitgemäß leben, von radikalen Hardlinern bedroht, weil sie positive Veränderungen wollen.

    Die radikalen Muslime denken, dass wir die Religion abschaffen wollen. Sie drehen richtig durch, weil wir uns für die Gleichberechtigung der Geschlechter und LGBTQ-Rechte einsetzen.

    An diesem Punkt hat sich auch der 'Islamische Staat' für uns interessiert.

    Seyran Ateş
    Quelle: ZDF/Juliane Eirich

    Seyran Ateş wurde 1963 in Istanbul geboren und wuchs ab ihrem sechsten Lebensjahr mit ihren Eltern in Berlin Wedding auf. Mit 17 Jahren verließ sie heimlich ihr Elternhaus, weil sie die Spannung zwischen repressiver Erziehung und schulischer Freiheit nicht mehr akzeptieren wollte.

    Während ihres Jurastudiums an der FUB arbeitete Ateş in einem Beratungszentrum für türkische und kurdische Migrantinnen. Dort erschoss ein Attentäter 1984 ihre Klientin. Auch Ateş wurde lebensgefährlich verletzt und hatte nach eigener Aussage ein Nahtoderlebnis. Ihre vollständige Genesung nahm 6 Jahre in Anspruch.

    Nach abgeschlossenem Jurastudium engagierte sich Ateş zunehmend in der Integrationsdebatte in Deutschland und nahm an der Islamkonferenz teil. 2007 veröffentlichte sie dazu ihr Buch "Der Multikulti-Irrtum". Sie provozierte vor allem mit ihrer These, dass das Konzept der Multikulti-Gesellschaft gescheitert sei, weil man das offensichtliche Unrecht in Gestalt von Kopftuchzwang, Zwangsheirat oder Ehrenmord geduldet bzw. nicht ausreichend verfolgt habe. Multikulti trage die Schuld an dem Problem heutiger Parallelgesellschaften.

    Wegen fortgesetzter Morddrohungen und tätlicher Angriffe in der Öffentlichkeit (2006,2009) ließ Seyran Ateş ihre Arbeit als Anwältin ruhen. 2012 legte sie ihre türkische Staatsbürgerschaft ab und nahm ihre Arbeit als Anwältin wieder auf – vor allem für hilfesuchende Frauen.

    2016 geriet sie wieder in den öffentlichen Blickpunkt, weil sie sich als Imamin ausbilden liess und am 16.06.2017 zusammen mit weiteren Mitstreitern die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin eröffnete. Die Hintergründe dazu schildert sie in dem Buch "Selam, Frau Imamin – Wie ich in Berlin eine liberale Moschee gründete" (2017).

    Seyran Ateş erhielt 2007 das Bundesverdienstkreuz am Bande, 2008 den Verdienstorden des Landes Berlin und 2014 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

    ZDFheute: Fühlen Sie sich von der Politik ausreichend unterstützt?
    Ateş: Teile der Politik unterstützen uns definitiv. Dennoch dominiert in der Parteienlandschaft weiterhin die Ansicht, dass liberale Muslime eine Minderheit sind und daher nicht viele Wählerstimmen bringen würden.

    Die Mehrheit der politischen Akteure unterstützt daher einen rückwärtsgewandten, frauen- und LGBTQ-feindlichen Islam.

    ZDFheute: Seit dem Hamas-Angriff am 7. Oktober ist der muslimische Antisemitismus sichtbarer geworden. Auf der Berliner Sonnenallee wurde mit süßem Gebäck gefeiert, und andere Demonstrationen riefen zur Vernichtung Israels auf. Sie beklagen, dass das Thema lange ignoriert wurde. Woran könnte das liegen?
    Ateş: Die politischen Parteien hatten Angst, als islamfeindlich zu gelten und Wählerstimmen zu verlieren. Deshalb haben Sie es vorgezogen, sich wenig zu muslimischem Antisemitismus zu äußern. Auch die Gesellschaft insgesamt und die Medien zögerten, das Problem öffentlich zu machen, um keine AfD-Fütterungspolitik zu betreiben.
    Demonstration linker Gruppen in Berlin-Neukölln: Einige Teilnehmer tragen Palästinenser-Tücher und Palästina-Fahnen
    Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel erleben Juden in Deutschland offenen Hass. Die Zahl antisemitischer Vorfälle hat sich deutlich erhöht.23.01.2024 | 8:38 min
    Doch jeder vernunftbegabte Mensch war sich bewusst, dass es einen sehr harten und widerlichen muslimischen Antisemitismus gibt, der sich verstärkt in unserer Gesellschaft ausbreitet. Viele, insbesondere linke Kräfte, haben dies bagatellisiert mit der Haltung: 'Ein bisschen antisemitisch ist ja jeder.'
    Seyran Ates
    Im Juni 2017 öffnete in Berlin die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee. Ideengeberin ist die Frauenrechtlerin Seyran Ates.16.06.2017 | 2:46 min
    ZDFheute: Wie äußert sich das Thema Antisemitismus in Ihrer Umgebung?
    Ateş: Es gibt tatsächlich No-go-Areas für Juden. Betroffene berichten von Beleidigungen, wenn sie in der Öffentlichkeit Kippa tragen oder hebräisch sprechen. Als schwarze Menschen berichteten, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe nicht in bestimmte Regionen gehen können, wurde zu Recht ein großes Theater gemacht.

    Aber sobald es die Juden betrifft, bleibt der Aufschrei seltsam stumm.

    ZDFheute: Am Wochenende haben Hunderttausende an Protesten gegen Rechtsextremismus teilgenommen, während bei Demonstrationen gegen Antisemitismus deutlich weniger Menschen präsent waren. In einem Interview erklärten Sie: 'Solidarität mit Juden war immer gering. Das Schweigen ist tatsächlich so laut, dass es schon wehtut.' Woran könnte das liegen?
    Ateş: Wo waren diejenigen, die gegen rechts kämpfen, bei den Demos gegen Antisemitismus? Gegen Nazis zu sein, gegen die AfD zu sein, gegen rechts zu sein, ist einfach. Aber sobald der lebende Jude als Akteur involviert ist, wird es schwierig.

    Wer sich glaubhaft gegen Rechtsextremismus positioniert, hätte auch vorher gegen Judenhass auf die Straßen gehen müssen.

    Das hat ein Großteil unserer Gesellschaft nicht getan und das zeigt, dass Sie nicht auf der Seite der Juden stehen. Es sei denn, sie können sich mit dem Thema, der von Nazis getöteten Juden profilieren. Wenn Sie gegen Rassismus auf die Straße gehen, dann meinen sie alle Minderheiten - nur nicht die Juden.
    Das Interview führte Ninve Ermagan.

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