Solingen: Prozess nach Brandanschlag wirft neue Fragen auf
Brandanschlag von Solingen:Der Angeklagte und die Frage nach dem Motiv
von Thomas Münten
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Die Ermittlungen und der Prozess zum Brandanschlag in Solingen weisen erhebliche Mängel auf. Laut Nebenklage gibt es neue Beweise. Doch bald soll das Urteil gegen Daniel S. fallen.
Am 25. März 2024 starb in Solingen eine bulgarische Familie bei einem Brandanschlag. Das Motiv ist weiter unklar, das Urteil wird bald erwartet.
Quelle: dpa
Die Brandspuren an den Fenstern des Solinger Mehrfamilienhauses im Ortsteil Höhscheid verblassen schon an diesen warmen Frühlingstagen. Nur der Brandgeruch, der bleibt, wenn man nahe genug an den Eingang tritt. Hier starben am 25. März 2024, vor etwas mehr als einem Jahr, vier Menschen. Ein 28-jähriger Mann, seine 29-jährige Frau, die dreijährige Tochter und ein fünf Monate alter Säugling.
Zwei Wochen nach dem Brandanschlag in Solingen haben die Ermittler einen Verdächtigen gefasst. Der 39-jährige befinde sich nun in Untersuchungshaft und soll auch für die Messerattacke in der Stadt verantwortlich sein.10.04.2024 | 2:01 min
Treppenhaus aus Holz nach kurzer Zeit im Vollbrand
Die Familie kam aus Bulgarien, lebte im Dachgeschoss des Hauses. Das Treppenhaus, komplett aus Holz, ging kurz nach halb drei in Flammen auf, die Familie hatte keine Fluchtmöglichkeiten. Als die Feuerwehr 13 Minuten nach Alarmierung eintraf, stand das Treppenhaus im Vollbrand.
Zwei Wochen nach der Tat nahmen die Behörden Daniel S. fest. Gegen ihn findet derzeit der Prozess im Landgericht Wuppertal statt. Ihm wird vierfacher Mord sowie achtfacher Mordversuch vorgeworfen.
DNA vom Angeklagten an Brandsätzen gefunden
Bei Daniel S. handelt es sich um einen ehemaligen Mieter des Hauses. Zudem soll der 39-Jährige für einen Angriff in der Stadt mit einer Machete mit einem Schwerverletzten verantwortlich sein. In beiden Fällen soll das Motiv im persönlichen Bereich liegen. So sei den Ermittlungen zufolge dem Brand ein Streit mit der Vermieterin vorausgegangen.
Während der Löscharbeiten soll Daniel S. in der Nähe des Tatortes gewesen sein. An den Brandsätzen, die gemeinsam mit mindestens einem Liter Benzin das Feuer auslösten, fand sich seine DNA.
Im Prozess um den tödlichen Brandanschlag in Solingen hat der Angeklagte ein Geständnis abgelegt. Bei dem Feuer vor fast einem Jahr starb eine Familie mit zwei Kindern.03.02.2025 | 0:23 min
Justiz: Keine fremdenfeindlichen Motive
S. verfolgte den Prozess bisher teilnahmslos. Er ließ von seinen Anwälten ein vollumfängliches Geständnis vorlesen, sagte aber während des gesamten Prozesses kein Wort. Schon früh erklärte die Staatsanwaltschaft Wuppertal: "Anhaltspunkte, die auf ein fremdenfeindliches Motiv deuten, liegen nicht vor." Auch die Polizei sprach kurz danach davon, dass der Fall weitgehend aufgeklärt sei, und zeigte sich erleichtert.
Der Prozess schien damit so gut wie gelaufen, das öffentliche Interesse ließ nach. Nur Seda Basay-Yildiz, die als Rechtsanwältin die Eltern der ermordeten Familie vertritt, begann trotzdem, genauer nachzuforschen - und fand "ungeheuerliche Schlampereien" bei der Ermittlungsarbeit.
Festplatte mit rassistischem Material erst spät ausgewertet
"Ich habe in der Akte gesehen, dass Festplatten und Datenträger vorhanden waren, die bislang nicht ausgewertet worden waren", sagt Basay-Yildiz. Die Polizei habe offenbar erst im Februar, nach ihrer ersten Anfrage nach einer Kopie, mit einer Auswertung begonnen, erläutert Basay-Yildiz.
Dabei hat sie 166 Bilder gefunden, die den Holocaust, Hitler und den Nationalsozialismus verherrlichen oder sich gegen Muslime richten.
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Seda Basay-Yildiz, Rechtsanwältin der Nebenklage
Auch das Handy des Mannes konnte nicht ausgewertet werden, der Angeklagte hatte es nach der Tat weggeworfen. Auf der Festplatte befinde sich eine Sicherungskopie mit beiliegendem Passwort, so Basay-Yildiz. Auch hier würden sich viele rechtsradikale Inhalte finden.
Zwei kleine Kinder und ihre Eltern sind durch Brandstiftung in einer Wohnung in Solingen ums Leben gekommen. Die Angehörigen der muslimischen Familie und die Stadt trauern.
Daniel S. hatte "Mein Kampf" im Regal
Aber es kommt noch schlimmer: So fanden sich auf Fotos aus der Wohnung von Daniel S. unter anderem Bücher aus der Nazi-Zeit und Hitlers "Mein Kampf". Auch ein rechtsradikales Flugblatt wurde sichergestellt. In den Akten zum Verfahren findet sich von alldem - nichts.
Inwiefern die neuen Erkenntnisse Einfluss auf das Strafmaß haben, kann niemand sagen. Prozessbeobachter gehen aufgrund der Schwere der Tat ohnehin von lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung aus.
Der Prozess wäre ein völlig anderer gewesen
Trotzdem ist allen Beobachtern klar: Hätten diese Beweismittel ausgewertet vorgelegen, wäre das Vorgehen der Justiz ein völlig anderes gewesen. Der Generalbundesanwalt in Karlsruhe hätte wohl den Fall übernommen. Und das Oberlandesgericht Düsseldorf wäre für das Verfahren zuständig gewesen und nicht eine Schwurgerichtskammer beim Landgericht. Das Verfahren hätte eine ganz klare politische Dimension bekommen. Auch die Frage, ob Daniel S. allein handelte, wäre wohl erheblich stärker behandelt worden.
Die streitbare Rechtsanwältin Basay-Yildiz will das alles nicht auf sich beruhen lassen. Anghörige, Nachbarn, die Öffentlichkeit hätten ein Recht auf die Wahrheit. Dass der Prozess in wenigen Tagen mit einem Urteil wirklich endet, erscheint zunehmend unwahrscheinlich.
Thomas Münten ist Reporter im ZDF-Landesstudio Nordrhein-Westfalen.
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