Kielings wilde Welt - Wildnis in Gefahr

Der Wald von heute ist ja nicht der ursprüngliche europäische Wald in seinen verschiedenen Zusammensetzungen. Ist er damit überhaupt als Lebensraum für wieder eingebürgerte Tiere, wie Wisente oder Luchse, und rückgekehrte Arten, wie den Wolf, geeignet? Oder müssen diese Tiere in menschliches Siedlungsgebiet ausweichen, so dass es zu unerfreulichen Konfrontationen kommen könnte?
Große Wildtiere können sich sehr flexibel an verschiedenste Lebensräume anpassen und unsere Wälder stellen für die Tiere keinerlei Problem dar. Im Gegenteil, die Lebensraumbedingungen für große Wildtiere haben sich in den vergangenen Jahrzehnten eher sogar verbessert. Zum einen gibt es genügend Nahrung in Form von Rehen und Rothirschen, aber auch genügend Vegetation zum Verstecken. Ein Ausweichen in Siedlungen ist deshalb nicht nötig. Allerdings kann es dazu kommen, dass abwandernde Jungtiere auf der Suche nach neuen Streifgebieten auch mal durch eine Siedlung gehen.

Ist zu erwarten, dass sich irgendwann „authentische“ europäische Urwälder aus den sich selbst überlassenen verwildernden Wirtschaftswäldern entwickeln können oder fehlen dazu bereits wichtige Arten, etwa entsprechende Mikroorganismen?
Der Nationalpark Bayerischer Wald zeigt eindrucksvoll, dass sich bewirtschaftete Wälder in einer vergleichsweise kurzen Zeit von nur 50 Jahren in sehr naturnahe Wälder entwickeln lassen. Auch wenn einige Urwaldreliktarten in Mitteleuropa bereits ausgestorben sind, stellt der Park mittlerweile eine Arche Noah für Tier-, Pflanzen- und Pilzarten dar, die ihresgleichen sucht. Welche Rolle Mikroorganismen in den Waldökosystemen spielen, beginnen wir gerade erst zu verstehen. Hier ist noch viel Grundlagenforschung notwendig, um zunächst nur die Artenvielfalt zu erfassen.

Wie groß ist der Anteil, den „Urwälder“ in Deutschland am Gesamtbestand sinnvollerweise haben sollten, zumal Wald auch als Wirtschaftsfaktor wichtig ist?
Da wir bei weitem nicht alle Arten kennen, die in Deutschland vorkommen, lässt sich eine generelle Angabe zum notwendigen Anteil der Urwälder nicht seriös ableiten. Viel gewonnen wäre aber, wenn wir das Ziel der Bundesregierung, dass sich bis 2020 die Natur auf zwei Prozent der Landesfläche Deutschlands wieder nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln kann, erreichen würden.

Können auch Wirtschaftswälder naturnäher gestaltet werden, so dass sie zumindest als Korridore die einzelnen „Urwald-Flächen“ miteinander verbinden könnten?
Da wir den nachwachsenden Rohstoff Holz benötigen, sollten wir alle Wälder möglichst naturnah und nachhaltig bewirtschaften. Viele Forstbetriebe praktizieren eine solche Bewirtschaftung, die ein Miteinander von Schutz und Nutzung erlaubt. Schon wenn man einige besonders alte Bäume im Wald belässt und auch abgestorbene Bäume im Wald toleriert, kann man viel erreichen.

Wie kann menschlicher Einfluss auf die der natürlichen Entwicklung überlassenen „Urwälder in spe“ minimiert werden? Sollen die Flächen für jeglichen Zugang gesperrt werden?
Natürlich sind sich selbst überlassene Flächen sehr wertvoll für den Schutz der Biodiversität und beheimaten auch störungsempfindliche Arten. Trotzdem müssen solche Gebiete auch für die Umweltbildungsarbeit und Erholungssuchende zugänglich sein, um Menschen Einblicke und Erfahrungen mit faszinierender Natur zu ermöglichen. Wichtig ist aber auch, dass Ranger über diese Gebiete wachen, um die empfindlichen Gebiete vor Vandalismus zu schützen.

Fragen von Michael Leja

Bildquelle: ZDF

Kielings wilde Welt - Wildnis in Gefahr
Erstausstrahlung ZDF am 24. März 2019, 19.30 Uhr

Buch und Regie Iris Gesang und Beate Marx
Kamera und Regie Andreas Kieling und Frank Gutsche

Redaktion TV Renate Marel
Redaktion Online Michael Büsselberg

Weitere Folgen
Kielings wilde Welt - Uralte Paradiese
17. März 2019, 19.30 Uhr
Kielings wilde Welt - Geschützte Welten
31. März 2019, 19.30 Uhr