Newsletter ZDF-Fernsehrat:Drei Schwerpunkte für künftige Berichterstattung
Fernsehrat Benjamin Grimm über die Wirtschaftsberichterstattung beim ZDF.
"Die Wirtschaftsberichterstattung des ZDF ist in den vergangenen Jahren deutlich differenzierter geworden", konstatiert Fernsehrat Benjamin Grimm. Für die Zukunft hat der Minister der Justiz und für Digitalisierung des Landes Brandenburg klare Vorstellungen.
Fernsehratsmitglied Dr. Benjamin Grimm
Quelle: ZDF/Jana Kay#Fernsehrat: Die Wirtschaft ist derzeit geprägt von Konjunkturschwäche und Transformationsprozessen in Deutschland sowie vielfältigen internationalen Krisen. Wie wird das ZDF dem in seiner Wirtschaftsberichterstattung aus Ihrer Sicht gerecht?
Benjamin Grimm: Die Wirtschaftsberichterstattung des ZDF ist in den vergangenen Jahren deutlich differenzierter geworden. Die angespannte Konjunkturlage, geprägt von Transformationsprozessen und internationalen Unsicherheiten, wird umfassend aufgegriffen. Zugleich sollte deutlicher werden, dass nicht alles schwarz ist: Deutschland ist nach wie vor die drittstärkste Volkswirtschaft der Welt, mit hochkompetenten Fachkräften, starken industriellen Kernen und einem innovativen Mittelstand.
Eine Berichterstattung, die Probleme klar anspricht, aber auch Stärken und Chancen zeigt, rundet das Bild ab: Besinnung auf unsere Kompetenzen, Mut zu notwendigen Weichenstellungen und Beispiele von Unternehmen, die erfolgreich transformieren. So entsteht ein ausgewogenerer Blick, der sowohl sensibilisiert als auch Zuversicht vermittelt.
#Fernsehrat: Das ZDF richtet sich auch in der Wirtschafts- und Finanzberichterstattung etwa mit dem zunehmend dokumentarisch geprägten Format "WISO" oder internationalen Serien-Koproduktionen wie "Die Affäre Cum-Ex" stärker an jüngere Zielgruppen und setzt auf eine bessere Streamingfähigkeit seiner Angebote – wie finden Sie das?
Grimm: Die stärkere Ansprache jüngerer Zielgruppen ist unerlässlich, denn wer heute 20 ist, gestaltet morgen Wirtschaft und Gesellschaft mit. Frühes Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge fördert fundierte individuelle und gesellschaftliche Entscheidungen.
Das ZDF stellt sich diesem Wandel mit streamingfähigen Formaten und dokumentarischen Erzählweisen bereits spürbar. Angesichts eines immer härteren Wettbewerbs um Aufmerksamkeit in einer ausdifferenzierten Medienlandschaft ist hier noch mehr Mut gefordert: Zusätzliche plattformgerechte Angebote im Streaming-Portal, auf Social Media und in Podcasts würden dem öffentlich-rechtlichen Profil neue Reichweite und ein moderneres Image verschaffen. Das ist der richtige und notwendige Weg.
#Fernsehrat: Als Schwierigkeit, gerade für Verbraucher-Themen, gilt der nach dem Reformstaatsvertrag zwingende Sendungsbezug. Wie sollte das ZDF damit umgehen?
Grimm: Der Reformstaatsvertrag schafft Klarheit und feste Spielregeln – auch, um Orientierung und verbindliche Richtlinien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu schaffen. Ein pragmatischer Umgang damit ist sinnvoll, vor allem angesichts der Herausforderungen, vor denen nicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk, sondern auch private Medienhäuser stehen. Entscheidend ist, die vorhandenen Spielräume klug zu nutzen und wirtschaftliche Themen trotz Sendungsbezug möglichst nutzerorientiert und verständlich aufzubereiten.
#Fernsehrat: Welche Schwerpunkte wünschen Sie sich künftig in der Wirtschafts- und Finanzberichterstattung?
Grimm: Für die Zukunft ist vor allem ein realistischer, nüchterner Blick auf die wirtschaftliche Lage wünschenswert – ohne Schönfärberei, aber auch ohne Dramatisierung. Deutschland steht vor großen Herausforderungen, ist aber gleichzeitig weiterhin eine der führenden Volkswirtschaften der Welt. Diese Ambivalenz sollte sich stärker in der Berichterstattung widerspiegeln.
Daraus leiten sich aus meiner Sicht drei Schwerpunkte ab:
1. Balance von Problemen und Potenzialen: Strukturprobleme wie Fachkräftemangel, hohe Energiepreise oder schleppende Investitionen müssen klar benannt werden. Gleichzeitig sollte aber auch gezeigt werden, wo Unternehmen erfolgreich umsteuern, neue Märkte erschließen oder Innovationen vorantreiben. Nur so entsteht ein glaubwürdiges und komplettes Bild.
2. Einordnung statt Zuspitzung: Wirtschaftliche Daten – etwa zu Wachstum, Inflation, Beschäftigung oder Investitionen – brauchen verständliche Einordnung: Wo steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern? Wo liegen strukturelle Ursachen, wo kurzfristige Effekte? Eine solche Einordnung hilft Bürgerinnen und Bürgern, Beschäftigten und Unternehmen, Entscheidungen fundierter zu treffen.
3. Verständliche Übersetzung in den Alltag: Makroökonomische Entwicklungen sollten konsequent mit konkreten Folgen für Unternehmen und Haushalte verknüpft werden. Was bedeutet eine schwächere Konjunktur für Ausbildungschancen? Was bedeuten Zinsänderungen für Investitionen oder private Vorsorge? Eine sachliche, aber alltagsnahe Darstellung macht Wirtschaftsberichterstattung relevant und vertrauenswürdig.
Eine solche Berichterstattung ist weder Beschwichtigung noch Schwarzmalerei, sondern authentisch, pragmatisch und faktenbasiert – und genau das brauchen wir in der aktuellen Transformationsphase.
Zur Person: Dr. Benjamin Grimm, geboren 1984 in Jerusalem, hat an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und an der Humboldt-Universität zu Berlin Rechtswissenschaften studiert. Zudem absolvierte er das Studium Master in Laws am Trinity College Dublin. Seit Dezember 2024 ist er Minister der Justiz und für Digitalisierung des Landes Brandenburg. Seit Juli 2020 ist er als Vertreter des Landes Brandenburg Mitglied im Fernsehrat und seit Juli 2024 Mitglied im Programmausschuss Chefredaktion.
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