Karlsruhe: Reichelt-Kritik an Bundesregierung erlaubt

    Bundesverfassungsgericht:Reichelt-Kritik an Bundesregierung erlaubt

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    Im Streit über einen Post auf der Plattform X hat das Bundesverfassungsgericht dem Journalisten Julian Reichelt gegen die Bundesregierung recht gegeben. Sie müsse Kritik aushalten.

    Archiv: Julian Reichelt am 30.01.2020 in Düsseldorf.
    Julian Reichelt hatte der Bundesregierung unterstellt, die Taliban in Afghanistan finanziell zu unterstützen.
    Quelle: Imago

    Die Bundesregierung muss polemische Kritik aushalten und kann sich nicht auf den im Grundgesetz verankerten Ehrenschutz berufen. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss entschieden.
    Es gab damit dem Journalisten und früheren "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt recht, der der Bundesregierung unterstellt hatte, die Taliban in Afghanistan finanziell zu unterstützen. Reichelt hatte auf dem Kurznachrichtendienst X geschrieben:

    Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!) Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!

    Julian Reichelt auf X

    Ein Link verwies auf einen Artikel seines Portals "Nius" mit der Überschrift "Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan. Die Bundesregierung verklagte daraufhin den Journalisten wegen des Posts auf X auf Unterlassung und sprach von einer falschen Tatsachenbehauptung.
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    Kammergericht Berlin entscheidet für die Bundesregierung

    Das Kammergericht Berlin gab der Bundesregierung recht. Auch juristische Personen könnten Ehrenschutz für sich reklamieren, wenn ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt werde. Hier sei der Eindruck entstanden, die Bundesregierung zahle Entwicklungshilfe an ein Terrorregime, obwohl tatsächlich diese der Versorgung der Bevölkerung diene.
    Das Bundesverfassungsgericht entschied aber jetzt, damit sei Reichelt in seinem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt worden. Dem Staat stehe kein "grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu". Er könne zwar vor verbalen Angriffen geschützt werden, um seine Funktion erfüllen zu können. Dieser Schutz dürfe aber "nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik - unter Umständen auch in scharfer Form - abzuschirmen".

    Bundesverfassungsgericht: Kritik am Staat eher möglich als an Privatperson

    Das Bundesverfassungsgericht betont, dass "grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik" an der Bundesregierung rechtlich zulässig ist. Die Hürden für eine Untersagung der Äußerung liegen in dieser Konstellation höher als in einer privaten Auseinandersetzung, da die Grundrechte keinen Ehrschutz für den Staat gewähren, wie dies bei Bürgerinnen und Bürgern der Fall ist.
    von links.: Düzen Tekkal, Hape Kerkeling, Maybrit Illner, Leonie Plaar, Julian Nida-Rümelin
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    In vorherigen Entscheidungen hat das Gericht die hohe Bedeutung der Meinungsfreiheit ebenfalls hervorgehoben und dabei betont, dass auch zugespitzte Äußerungen immer in ihrem Kontext zu betrachten sind.

    Karlsruhe: Meinungsfreiheit von Reichelt verletzt

    Das Recht auf Meinungsfreiheit gehe darauf zurück, auch Machtkritik äußern zu können, führte das Gericht aus. Die Kritik an der Bundesregierung sei auch dann geschützt, wenn sich dabei Tatsachen und Meinungen vermengten. Hier habe die Bundesregierung weder bestritten, Zahlungen "für Afghanistan" zu leisten, noch dass die Gefahr bestehe, dass das Geld den dortigen Machthabern mittelbar zugutekommen könne.
    Das Kammergericht habe dies falsch bewertet und den inhaltlichen Bezug zwischen Kurznachricht und dem verlinkten Nachrichtenartikel ausgeblendet. Das Kammergericht muss sich jetzt erneut mit dem Fall befassen.
    Quelle: epd, dpa, ZDF

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