Feste Löhne: Kommt eine Renaissance der Tarifbindung?

    Feste Löhne für Beschäftigte:Kommt eine Renaissance der Tarifbindung?

    von Mischa Erhardt
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    Nur die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland arbeitet für einen Tariflohn - das will die Bundesregierung ändern. Arbeitgeber sehen das kritisch.

    Junge Frau mit Tablett bedient in einem Cafe.
    Experten beobachten im Gastgewerbe, dass mehr Arbeitgeber ihren Beschäftigten wieder Tarifverträge anbieten.
    Quelle: dpa

    Seit Jahren sinkt die Tarifbindung in Deutschland. So ist nur noch knapp die Hälfte aller Beschäftigten hierzulande in einem Unternehmen angestellt, das der Tarifbindung unterliegt. Das ist ein niedriger Wert verglichen mit anderen Ländern Europas, aber auch historisch. Thorsten Schulte ist Arbeitsmarkt- und Tarifpolitikexperte beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (WSI). Er sagt:

    Über die letzten Jahrzehnte ist die Tarifbindung kontinuierlich zurückgegangen.

    Thorsten Schulte, Tarifpolitikexperte der Hans-Böckler-Stiftung

    So unterlagen Anfang der 90er Jahre noch rund 80 Prozent aller Beschäftigten hierzulande dem Geltungsbereich eines Tarifvertrages.

    Experte: "Renaissance von Tarifverträgen"

    Wenig verwunderlich: Die höchste Tarifbindung gibt es nach jüngsten Daten des Statistischen Bundesamts mit 100 Prozent in der öffentlichen Verwaltung. Es folgen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen mit noch über 80 Prozent und schließlich Finanz- und Versicherungsdienstleister, bei denen rund drei Viertel der Mitarbeitenden tarifvertraglich beschäftigt sind.
    Altenpflegerin bei der Arbeit
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    In der Land-, Forstwirtschaft und Fischerei dagegen ist das selten der Fall - hier gelten Tarifverträge nur für elf Prozent der Beschäftigten; im Gastgewerbe, im Bereich Kunst, Unterhaltung und Erholung sowie im Grundstücks- und Wohnungswesen gilt die Tarifbindung nur für rund 20 Prozent der Beschäftigten.
    Allerdings gibt es in einigen Branchen eine Trendumkehr - geschuldet auch dem Mangel an Arbeitskräften.

    Im Gastgewerbe beispielsweise sehen wir eine regelrechte Renaissance von Tarifverträgen. Vor dem Hintergrund des Fachkräfte- und Arbeitskräftemangels weiß die Branche sehr genau, dass sie attraktiver werden muss. Und da kann der Tarifvertrag ein sehr gutes Instrument sein - auch aus Sicht der Unternehmen.

    Thorsten Schulte, Tarifpolitikexperte der Hans-Böckler-Stiftung

    Nach wie vor existiert ein deutliches Ost-West-Gefälle bei der Tarifbindung. Im Handwerk beispielsweise arbeiten im Osten nur 32 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden, in Westdeutschland sind es 43 Prozent.

    Öffentliche Aufträge nur noch an tariftreue Unternehmen?

    Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung in Berlin ist explizit das Ziel formuliert, die Tarifbindung im Handwerk insgesamt zu verbessern. Derzeit bereitet die Bundesregierung ein entsprechendes Gesetz vor.
    Hintergrund ist eine europäische Richtlinie im Zusammenhang mit der Einführung von Mindestlöhnen. Die hat auch Deutschland unterzeichnet. Ziel ist, dass Staaten, in denen die Tarifbindung bei unter 80 Prozent liegt, daran arbeiten sollen, sie wieder nach oben zu bringen.

    Beschäftigte ohne Tarifverträge doppelt benachteiligt

    Auch ein Bundestariftreuegesetz soll in dieser Richtung wirken. Das soll die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Einhaltung tarifvertraglicher Bestimmungen koppeln. Damit käme bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen in Zukunft nicht mehr automatisch das günstigste Angebot zum Zuge. Den Zuschlag bekämen dann die günstigsten Unternehmen, in denen branchenübliche tarifvertragliche Bedingungen herrschen.
    Bei Arbeitgebern stoßen solche Vorhaben auf wenig Gegenliebe. Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, etwa hat unlängst von einem "Tarifdiktat durch den Bundesgesetzgeber" gesprochen. Auf Anfrage von ZDFheute sagt er:

    Ständige politische Einmischung des Gesetzgebers wird die Tarifbindung nicht fördern. Jeder Sozialpartner muss seine organisatorischen Herausforderungen selbst und nicht mit Hilfe des Staates lösen.

    Steffen Kampeter, BDA

    Für Beschäftigte jedenfalls macht Tarifbindung einen spürbaren Unterschied. Laut einer Studie des WSI der Hans-Böckler-Stiftung müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Tarifverträge pro Woche fast eine Stunde länger arbeiten und verdienen dabei im Durchschnitt auch noch elf Prozent weniger.

    Andere EU-Länder haben 100 Prozent Tarifbindung

    Dass es auch anders geht, zeigen Länder wie Frankreich, Irland, Italien und Slowenien. Dort lag nach letzten Daten von 2018 die Tarifbindung bei 100 Prozent. In Finnland, Österreich, Rumänien und Griechenland liegt sie bei über 90 Prozent.

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