Richard David Precht im Gespräch mit Andreas Reckwitz
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Precht - Erschöpfte Gesellschaft – Verlustängste statt Zuversicht

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Erschöpfte Gesellschaft – Verlustängste statt Zuversicht
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Erschöpfte Gesellschaft – Verlustängste statt Zuversicht
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In den Gesellschaften des Westens wächst der Pessimismus. Wo ist der Glaube an den Fortschritt geblieben? Darüber diskutiert Richard David Precht mit dem Soziologen Andreas Reckwitz.

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Erschöpfte Gesellschaft – Verlustängste statt Zuversicht
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In den Gesellschaften des Westens wächst der Pessimismus. Wo ist der Glaube an den Fortschritt geblieben? Darüber diskutiert Richard David Precht mit dem Soziologen Andreas Reckwitz.

Die Moderne ist geprägt vom Glauben an den Fortschritt. Doch mehr und mehr verblasst dieser Glaube. An seine Stelle tritt die Angst vor Verlusten: von Wohlstand, dem Lebensraum Erde, Gesundheit und andere. Menschen sehen eher die Probleme statt deren Lösungen.

Warum wächst Pessimismus in der modernen Welt?

Über 80 Prozent der Deutschen vermuten, dass es künftigen Generationen schlechter gehen wird als der heutigen. Die Gesellschaften des Westens scheinen gegenwärtig mehr und mehr an sich selbst zu verzweifeln. Angst vor Krieg, künftigen Pandemien, dem Kollaps des Klimas und einer zunehmend schlechteren ökonomischen Lage lässt in vielen Ländern den gesellschaftlichen Pessimismus wachsen. Wo ist der Glaube an den Fortschritt geblieben, der die Moderne so sehr geprägt hat? Und warum sehen wir heute meist mehr Probleme als Lösungen, wenn es um die Zukunft geht?

Kritik am Fortschrittsglauben der Moderne

Der Soziologe Andreas Reckwitz attestiert der Westlichen Welt in seinem neuesten Buch "Verlust" einen immer kritischeren Umgang mit gesellschaftlichen Verlusten. Schon der Begriff provoziert, steht er doch im direkten Gegensatz zu unserem über Jahrzehnte verinnerlichten Bild des immerwährenden Fortschritts. Das Wohlstandsversprechen und die Gewinnaussicht haben seit der Gründung der Bundesrepublik nicht nur für Zuversicht gesorgt, sondern auch unsere Demokratie stabil gehalten.
Wachstum, politische Stabilität und soziale Zufriedenheit sind jedoch keine Selbstverständlichkeit mehr. Die westliche Wirtschaft steht durch die offensiven asiatischen Märkte ebenso unter zunehmendem Druck wie die westliche Wertegemeinschaft. Ressourcen werden knapp, Märkte schotten sich ab, und viele politische und soziale System, die ewig funktionieren sollten, laufen längst nicht mehr rund, drohen gar zu kollabieren.

Verluste wirken heute oft endgültig

Hat man sich in früherer Zeit - wie etwa bei Kriegsende - mit massiven Verlusten noch arrangiert und nach vorn geschaut, so empfindet die kapitalistische Gesellschaft der Spätmoderne die drohenden Verluste vor allem deshalb als so schlimm, weil sie irreversibel erscheinen. Der grundsätzliche Glaube an eine bessere Zukunft schwindet, wir fürchten, mehr zu verlieren als dazuzugewinnen. Die wachsende Überforderung, Ratlosigkeit und Erschöpfung des modernen Menschen treibt ihn daher immer tiefer in den Pessimismus oder in eine gefährliche Rückwärtsgewandtheit.

Impulse und neue Zuversicht

Was aber geschieht mit einer Gesellschaft, der die Zukunft eher Angst macht, als dass sie sie inspiriert? Die sich eher zurücksehnt als vorwagt? Wie verkraften wir hoch individualisierten, wohlstandsverwöhnten Bürger des Westens weitere noch bevorstehende Verlusterfahrungen? Und gibt es ein Rezept, das der Moderne neue Impulse und neue Zuversicht verleiht, sie resilienter macht für das, was noch kommt?

Biografisches Andreas Reckwitz

Der 1970 in Witten geborene Andreas Reckwitz ist einer der einflussreichsten deutschsprachigen Soziologen der Gegenwart. Er studierte Soziologie, Politikwissenschaften und Philosophie in Bonn, Hamburg und Cambridge. 2005 habilitierte er und nahm seine erste Professur in Konstanz an. Seit 2020 lehrt er an der Humboldt-Universität Berlin und ist immer wieder Gastprofessor an internationalen Universitäten.
Reckwitz‘ thematische Schwerpunkte sind verschiedene kultursoziologischen Entwicklungen der spätmodernen Gesellschaft. Seine Bücher "Die Gesellschaft der Singularitäten“ (2017), "Das Ende der Illusionen“ (2019) und "Verlust“ (2024) fragen nach den Besonderheiten aber auch den Bedrohungen der Spätmoderne, als einer Epoche der Verunsicherung, der Überforderung und der sozialen Entfremdung.