Jedes Wort ein Sieg

Bildquelle: ZDF

Bildquelle: ZDF

Bildquelle: ZDF

Bildquelle: ZDF

Bildquelle: ZDF

Als die Recherchen zum Film begonnen haben, war uns nicht klar, wie intensiv die Erlebnisse unserer Protagonist*innen sein würden. Heute, nach vielen persönlichen Treffen, Telefonaten, Interviews und den Dreharbeiten wissen wir, dass hinter dem Stottern viel mehr steckt als nur Wortblockaden.

Beleidigungen und Lacher hinter vorgehaltener Hand, das permanente Gefühl, sich nicht richtig auszudrücken zu können und nicht verstanden zu werden, die Schwierigkeit, echte Freund*innen zu finden, einsame Stunden und Tage und sogar Selbstmordgedanken – dies alles haben unsere Protagonist*innen durchlebt, der eine mehr, der andere weniger. Traumatische Erfahrungen, deren Verarbeitung oft Jahre braucht.

Schätzungsweise 800.000 Menschen in Deutschland stottern. Als wir uns gefragt haben, ob wir selbst einen Stotterer persönlich kennen, fielen uns nur einige wenige ein. Oft Freund*innen aus der Kindheit, aber kein einziger aus dem näheren persönlichen Umfeld.

Eigentlich komisch – denn als Journalist*innen telefonieren wir zigmal am Tag, kommen viel rum und haben oft mit ganz unterschiedlichen Menschen zu tun. Offensichtlich sind Menschen mit Sprechblockaden eher zurückhaltend und ruhig, drängen sich nicht unbedingt in den Vordergrund. Nach einigen intensiven Wochen der Recherche hatten wir unsere drei tollen Protagonist*innen aber schließlich doch gefunden. Vor der ersten Kontaktaufnahme hatten wir allerdings doch ein wenig Respekt… Wie wird die Kommunikation am Telefon laufen? Gibt es Dinge, mit denen wir unsere Gesprächspartner*innen unabsichtlich kränken können?

Doch Artjom, Angelina und Sina haben uns alle Bedenken ziemlich schnell genommen. Denn es gibt eigentlich nur eine goldene Regel: sich Zeit nehmen und das Gegenüber ausreden lassen! Das mag selbstverständlich klingen, doch sogar während der Dreharbeiten haben wir erlebt, dass es anderen Menschen nicht ganz so leichtfällt, mit dem Stottern umzugehen. Wenn etwa während einer Drehpause die Kellnerin im Restaurant unseren Protagonist*innen ins Wort fällt und die Bestellung sprachlich vervollständigen will, weil es ihr nicht schnell genug geht. Oder wenn selbst Freunde Wörter oder sogar Halbsätze hinzufügen – nicht aus bösem Willen, sondern weil sie helfen möchten. Auch wir selbst haben uns leider das eine oder andere Mal dabei ertappt – aller guten Vorsätze zum Trotz. Zum Glück waren die Drei sehr geduldig mit uns!

Schule ist ein Thema, dass Artjom, Angelina und Sina tief geprägt hat bzw. immer noch prägt. Zum Teil waren es positive Erfahrungen, doch weit häufiger negative Erlebnisse, an sie sich erinnern. Unsere Protagonist*innen haben in ihrer Schullaufbahn leider oft erfahren müssen, dass keine Rücksicht auf ihre Wortblockaden genommen wurde. Schüler mit Redeflussstörungen etwa im Unterricht aufzurufen, ohne dass sie sich vorher gemeldet haben, setzt die Betroffenen unnötig unter Druck und gehört zu den „Höchststrafen“ für jeden Stotterer. Und Lehrer*innen, die das Stottern ihrer Schüler*innen fälschlicherweise mit mangelnder Intelligenz gleichsetzen, finden sich leider auch heute noch an deutschen Schulen.

Dass Ausgrenzung und Mobbing unter Schüler*innen dazu gehört, ist trauriger Alltag. Dass aber Lehrende wegschauen oder sogar aktiv ausschließen, hätten wir in diesem Ausmaß nicht erwartet. Ein großes Problem gibt es auch mit der Bewilligung von Nachteilsausgleichen. Muss es wirklich so schwierig sein, Kindern eine gerechte und individuelle Schulausbildung zu ermöglichen? Derzeit sind die Beantragung und Bewilligung eines solchen Nachteilsausgleichs noch sehr aufwendig und mit viel bürokratischem Aufwand verbunden. Hier könnte eine Vereinfachung des Verfahrens den Betroffenen, den Lehrenden, aber auch den Mitschülern gleichermaßen helfen.

Immerhin durften wir erleben, dass es auch positive Beispiele gibt: Lehrer*innen, die die Defizite ihrer Schüler*innen akzeptieren und tolerieren, die die Kinder aktiv miteinbeziehen und offen mit deren Stottern umgehen – alles Maßnahmen, die helfen, um Mobbing vorzubeugen. Für Lehrende gibt es außerdem hilfreiche Angebote von Logopäd*innen und Sprachschulen, die dabei helfen können, optimal auf die stotternden Schüler*innen einzugehen.

Artjom, Angelina und Sina haben uns nicht nur mit ihren Lebenswegen beeindruckt, sondern vor allem mit ihrer inneren Stärke und ihrem Mut. Den Mut, vor fremden Menschen zu sprechen, obwohl sie wissen, dass sie Blockaden haben werden. Na und?! Sie tun es trotzdem! Frei vor der Kamera agieren und offen sagen, was sie denken? Na klar! Und immer wieder die eigene „Komfortzone“ verlassen, einfach Dinge ausprobieren, ohne zu wissen, wie sie ausgehen werden. Von der Courage, mit der Angelina, Artjom und Sina durchs Leben gehen, würden wir uns gerne eine Scheibe abschneiden…