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Niedrigste Geburtenrate weltweit:Warum Südkoreanerinnen keine Kinder kriegen
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Lieber ein Hund als ein Kind - so entscheiden viele junge Paare in Südkorea. Manche Frauen sind noch radikaler. Ihre Regeln: keine Kinder, keine Ehe, keine Dates und kein Sex.
Hongdae ist ein hippes Viertel in Universitätsnähe mit Cafés, Modegeschäften und Straßenmusik. Hier Kinder zu filmen, ist nicht so einfach. Denn Südkorea hat die niedrigste Geburtenrate der Welt. Und das macht sich auch im Straßenbild von Seoul bemerkbar. Plötzlich ein Kinderwagen: Doch darin liegt kein Baby, sondern - ein Hund.
Mehr Kinderwagen für Hunde als für Kinder
Inzwischen sollen in Korea mehr Kinderwagen für Hunde als für Kinder verkauft werden. Gründe dafür erfährt man in einem Hunde-Café mit großen Auslauf-Flächen für die Vierbeiner, eine Stunde südlich von Seoul. Hier bestätigen viele Paare, dass sie sich für einen Hund statt für ein Kind entschieden haben. Der meistgenannte Grund: Geld. Das sagt auch Kim Hyun-jung: In ihrem Freundeskreis gibt es keine Kinder, dafür hat jedes Paar mindestens einen Hund.
"Es ist schwierig in Korea ein Haus zu kaufen, es ist schwierig, Geld zu verdienen, und Kinder sind wirklich rar", sagt eine Frau in ihren Dreißigern.
Sowas wie 'Ich hab' geheiratet und jetzt ein Kind’ hört man wirklich selten, das wird als Meisterleistung gesehen. Korea ist heutzutage ein echt hartes Pflaster, um Kinder aufzuziehen.
Junge Südkoreanerin
Hoher Druck im Bildungssystem
Der große Vorteil, den ihr Hund Pudding hat: Er braucht keine Bildung. Denn das Leben von Kindern in Südkorea wird jahrelang bestimmt von der Vorbereitung auf die harte Aufnahmeprüfung für die Hochschule.
Die Note entscheidet, wer auf eine Elite-Uni in Seoul darf und mit einem Abschlusszeugnis von dort die besten Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben wird. Deshalb gehen nahezu alle zu privaten Nachhilfe-Instituten. Viele Familien verschulden sich, um das bezahlen zu können.
4B-Bewegung: Keine Kinder, keine Ehe, keine Dates, kein Sex
Kinder großzuziehen gilt in Korea als extrem teuer, mit wenig Unterstützung, viel Druck und care-Arbeit, die nach wie vor vor allem an den Müttern hängen bleibt. Deshalb sind manche Frauen noch radikaler: "Keine Kinder, keine Ehe, keine Dates und kein Sex."
Das sind die vier Don’ts von Han Ji-young, im Koreanischen viermal "bi", was so viel wie "nein" bedeutet. Sie haben der 4B-Bewegung ihren Namen gegeben.
Bihon (Nein zur heterosexuellen Ehe), Bichulsan (Nein zum Kinderkriegen), Biyeonae (Nein zum Dating von Männern) und Bisekseu (Nein zu Sex mit Männern). Das sind die vier Neins, im Koreanischen viermal "bi", die der 4B-Bewegung ihren Namen geben. Frühe Erkennungszeichen waren Frauen, die sich die Haare abrasierten und auf Make-up verzichteten, um sich gegen das Schönheitsideal Koreas zu wehren. Das Land ist bekannt für seine Kosmetikprodukte und Schönheits-OPs. Anhängerinnen der Bewegung kritisieren, dass auch die K-Pop-Industrie zur Objektifizierung von Frauen und jungen Mädchen beitrage.
Die Tanz-Therapeutin erklärt, dass die Bewegung als eine Form des Widerstands von Frauen entstanden sei, um sich zu schützen. Bevor über Frauenrechte gesprochen werden könne, müsse zuerst einmal die Gewalt gestoppt werden, sagt die 47-Jährige.
Sie arbeitet mit Frauen, die sexuell missbraucht wurden - oft vom eigenen Vater oder Freund. Immer wieder machen Fälle von Gewalt gegen Frauen in Korea Schlagzeilen, versteckte Kameras auf Toiletten, Anfeindungen online und offline.
Deshalb beschließen Frauen: Ich will meine körperlichen und seelischen Ressourcen nicht länger mit Männern teilen und mich dadurch ihrer Gewalt aussetzen.
Han Ji-young, Tanz-Therapeutin und Gründerin der 4B-Bewegung
Skandal mit Deepfake-Pornos
Südkorea hat nicht nur die niedrigste Geburtenrate weltweit, sondern im Vergleich der OECD-Länder auch den größten Einkommens-Unterschied zwischen Männern und Frauen, die den gleichen Job machen. Han und ihre Mitstreiterinnen der 4B-Bewegung kritisieren, dass die ganze Last der Kindererziehung an den Müttern hänge und es nahezu unmöglich sei, nach der Geburt den Job zu behalten.
Korea plant, ein neues Ministerium zu schaffen, das sich auf demografische Probleme konzentrieren soll. Die Frauen der 4B-Bewegung würden den Staat lieber in der Bestrafung von Gewalttätern aktiv sehen.
Tanztherapeutin Han Ji-young ist eine der ganz wenigen, die sich traut, ihr Gesicht zu zeigen. Aus Angst vor Anfeindungen bleiben die meisten Frauen lieber anonym. Warum das wichtig ist, hat gerade ein Skandal gezeigt, bei dem die Köpfe von Frauen auf Pornos montiert wurden, um an Schulen und Unis Frauen und Mädchen gezielt anzugreifen.
So lange es so viel Ungerechtigkeit, Sexismus und Gewalt gegen Frauen in Korea gibt - und solange der finanzielle Druck auf Familien sich nicht ändert, wird sich wohl auch an der niedrigen Geburtenrate nichts ändern.
Miriam Steimer ist Korrespondentin für Ostasien und Leiterin des ZDF-Studios in Peking.
Quelle: dpa
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