Kommunalpolitiker in Brandenburg: Angefeindet, angegriffen

    Brandenburg vor Wahlen:Kommunalpolitiker: Angefeindet, angegriffen

    von Carla Mae von Hörsten, Potsdam
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    In Brandenburg werden kommunale Amts- und Mandatsträger immer häufiger Opfer von politisch motivierten Straftaten. Wie die Betroffenen damit umgehen.

    Bedrohliches Graffiti: "Wir kriegen dich"
    Immer häufiger sind Kommunalpolitiker Drohungen, Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt. (Typical)
    Quelle: dpa

    Am 5. Dezember 2023 fliegt eine Stahlkugel durch das Fenster der SPD-Geschäftsstelle in Eberswalde. Kurt Fischer, Vorsitzender des Unterbezirks Barnim, beschließt, ruhig mit dem Fall umzugehen. Die Polizeidirektion Ost ermittelt, hat aber keine Tatverdächtigen oder eindeutige Hinweise auf ein politisch motiviertes Motiv.
    Und Fischer fragt sich, was solche mutmaßlichen Grenzüberschreitungen für das eigene politische Engagement bedeuten.

    Mehr politisch motivierte Straftaten

    Der Fall in Eberswalde ist nur einer von zehn politisch motivierten Straftaten gegen Abgeordneten- und Parteibüros, die zwischen Oktober und Dezember 2023 in Brandenburg registriert wurden. Es sind Gebäude von den Grünen, der SPD, der Linken und der AfD, die beschädigt oder mit verfassungswidrigen Kennzeichen beschmiert wurden.
    Das hat die kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten und stellvertretenden Fraktionsvorsitzende der Linken, Andrea Johlige, ergeben. Nicht nur gegen Parteibüros, sondern auch 61 Angriffe gegen Amts- und Mandatspersonen, sowie Parteivertreter*innen werden dort aufgeführt.
    matthias-waesche
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    Für Johlige sind die Zahlen ein Gradmesser für die Polarisierung in der Gesellschaft. Sie bezeichnet es als "Vollkatastrophe", wenn Ehrenamtliche, die sich politisch engagieren, angefeindet oder Opfer von Straftaten werden. Ihr ist das wiederholt passiert, ihr ehemaliges Wahlkreisbüro wurde Dutzende Male angegriffen. Sie sei zwar daran gewachsen, sagt Johlige , aber die Attacken hätten Spuren hinterlassen.

    Angriffe gegen Kommunalpolitiker nehmen deutlich zu

    Die Statistiken zeigen einen deutlichen Anstieg der Fälle in den letzten Jahren - das wird durch die Ergebnisse der Kommunalstudie der Landesregierung bestätigt. Die repräsentative Studie mit über 1.500 Teilnehmenden präsentiert erstmals ein empirisches Bild über die Angriffe gegen kommunale Amts- und Mandatspersonen innerhalb Brandenburgs.
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    Zwischen 2014 und Mitte 2021 erlebte jede dritte Person einen Angriff gegen sich selbst - am häufigsten Beleidigungen. 14 Prozent der Befragten berichteten auch über körperliche Gewalt. Die Fälle sind parteiübergreifend.
    Was tun? Die Kommunalstudie zeigt, dass Transparenz und Partizipation ein Schlüssel für besseren Umgang sowie Prävention solcher Straftaten sein können.

    Angriffe schrecken Menschen vor politischem Engagement ab

    Ein Fall, der in zahlreichen Regionalzeitungen thematisiert wurde, ereignete sich in Elsterwerda. Bei einer Demo für "Demokratie und Vielfalt" im Februar 2024 wurde Paul-Philipp Neumann von Rechtsextremen das Handy aus der Hand geschlagen, als er sich auf seine Rede vorbereitete. Die Polizei stand in der Nähe, schritt aber nicht ein.
    Neumann hat bereits viele verbale Angriffe erlebt, doch dieser körperliche Angriff war der erste. Er kandidiert für den Kreis- und Landtag und setzt sich dafür ein, dass solche Vorfälle nicht ungesehen bleiben. Denn er kennt viele, die sich in den letzten Monaten die Frage stellten, ob sie nochmal kandidieren oder sich überhaupt zum ersten Mal aufstellen lassen sollten.
    Christian Erhardt mit Marietta Slomka
    In den letzten Jahren "erleben wir eine deutliche Zunahme der körperlichen Gewalt“, so Christian Erhardt, Chefredakteur von "KOMMUNAL". Jeder elfte Bürgermeister sei betroffen.11.04.2024 | 4:39 min

    Verein: Schmierereien und Beleidigungen Alltag

    Der Vorfall wurde auch von dem Verein Opferperspektive aufgegriffen. Als Beratungsstelle für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt beschäftigt er sich mit der Problematik schon lange. Anne Brügmann, Leiterin der Gewaltopferberatung des Vereins, spricht offen:

    Angespuckte Scheiben sind Alltag, Schmierereien sind Alltag, Beleidigungen in den Sozialen Medien sind Alltag.

    Anne Brügmann, Verein Opferperspektive

    Regelmäßig werden sie von Mandats- und Amtspersonen angeschrieben, denen Gewalt widerfahren ist. Der Verein sensibilisiert nicht nur die Öffentlichkeit, sondern spricht auch Empfehlungen an die Landesregierung aus: Beschwerdesystem vereinfachen, klare Ansprechpersonen benennen, Polizist*innen schulen und Straftaten schneller bearbeiten.



    Linke: Fehlende Wertschätzung und Solidarität

    Johlige hebt die Bedeutung der ehrenamtlichen Tätigkeit hervor:

    Kommunalpolitik ist auch ein Ehrenamt. Und ich finde, es ist eines mit der am wenigsten Wertschätzung in der Gesellschaft, obwohl es eine so wichtige Arbeit ist.

    Andrea Johlige, Linken-Politikerin

    Auch Solidarität für Betroffene kommt laut der Studie zu kurz. Nur knapp 40 Prozent der Betroffenen haben persönlich Zuspruch nach einem Vorfall erfahren. Damit die Bereitschaft zur Übernahme von Ehrenämtern nicht noch weiter sinkt, muss die gegenseitige Solidarität und die Wertschätzung dieser Arbeit häufiger und deutlicher geäußert werden, so die Studie.
    Bei der SPD in Eberswalde bleiben von nun an die Rollläden der Geschäftsstelle geschlossen, wenn niemand vor Ort ist. Dennoch wollen sie sich dort nicht von dem rauer werdenden Ton gegenüber politischen Ehrenamtlichen einschüchtern lassen, verkündet Fischer. Der oft auch positive Zuspruch bei Infoständen gibt ihm Kraft für den gerade gestarteten Wahlkampf.

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