Auf dem Holzweg: Wie Ungarn EU-Gelder verschwendet

    Verschwendung von EU-Geldern:Auf dem Holzweg in Ungarn

    Britta Hilpert
    von Britta Hilpert
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    Die EU vergibt Gelder, um Tourismus auf dem Land zu beleben. In Ungarn gehen die nicht selten an Fidesz-treue Antragsteller. Dabei werden teils skurrile Projekte verwirklicht.

    Ungarn auf dem Holzweg
    Mit EU-Fördergeldern errichtete Ungarn einen Baumwipfelpfad – ohne Bäume. Denn diese wurden kurz vor Errichtung des Pfades abgeholzt.25.05.2023 | 2:14 min
    Im Osten Ungarns, im kleinen Örtchen Nyírmártonfalva, steht eine ganz besondere Sehenswürdigkeit: ein Baumwipfelpfad - allerdings ist weit und breit kein grün-rauschender Baumwipfel zu sehen. Die brückenartige Holzkonstruktion steht auf einem fast leeren Feld, nur ein paar Baumstümpfe ragen hervor. Kurz vor der Errichtung des Naturerlebnis-Pfades wurden die Bäume abgeholzt.

    Oppositionspolitiker: "Betrug, Dummheit und Unverschämtheit"

    Ákos Hadházy begleitet eine Freundin aus Budapest hierher, die wollte das unbedingt sehen: Sie lacht sich krumm und macht einige Selfies. Doch das Lachen hat eine bittere Note. Denn der Oppositionspolitiker Hadházy meint, dieser Baumwipfelpfad sei kein Schildbürgerstreich, sondern typisch für Viktor Orbans Ungarn:

    Es ist ein surrealer Ort. Er zeigt sehr schön, wie Ungarn in den letzten 13 Jahren EU-Subventionen verschwendet. Darin liegt Betrug, Dummheit und Unverschämtheit.

    Ákos Hadházy, Oppositionspolitiker

    Der Wipfelpfad ohne Wipfel wurde vom Bürgermeister Mihály Filemon gebaut, auf seinem eigenen Land. Der Bürgermeister ist Mitglied der Orban-Partei Fidesz. Den Antrag auf EU-Förderung stellte er an das Fidesz-beherrschte Landwirtschaftsministerium.
    Üblicherweise vergeben und kontrollieren die nationalen Behörden EU-Gelder - und die EU geht davon aus, dass sie das neutral tun. Aber in Ungarn erzählen viele Bürgermeister der Opposition, wie zuletzt der Bürgermeister von Budapest, Kracsony, dass auffällig viele EU-Gelder und auch ungarische Steuergelder an Fidesz-Bürgermeister gehen. Und nur wenige an die, die Orban kritisieren.

    Bürgermeister lässt Bäume abholzen, um Bau von Pfad zu finanzieren

    Mihály Filemon jedenfalls bekam eine Förderzusage für den Bau des Pfades: Über 160.000 Euro für die "Belebung des Tourismus im ländlichen Raum". Schon das ist schwer zu verstehen, denn der Pfad sollte durch eine Baumplantage führen, es war kein besonderer Naturwald, den er als Attraktion hätte markieren könnte. Ákos Hadházy meint:

    Dieses System ist so beschaffen, dass die Nationalstaaten die Geldausgaben der EU selbst kontrollieren. Personen, die solche Betrügereien begehen und der Orban-Partei Fidesz angehören, werden nicht vor Gericht gestellt.

    Ákos Hadházy, Oppositionspolitiker

    Üblich ist, dass der Antragssteller die Arbeiten vorfinanziert und erst nach Vorlage der Rechnungen die Gelder tatsächlich bekommt. Das sei der Grund, so erklärte der Bürgermeister gegenüber dem ungarischen Medium ATV, warum er die Bäume habe abholzen müssen. Der Bürgermeister hat die Bäume abgeholzt, um mit dem Verkauf den Bau des Baumwipfelpfades zu finanzieren.

    Viel Spott für den Wipfelpfad ohne Wipfel

    Warum er, wie sonst meist üblich, mit der Förderzusage bei der Bank keinen Kredit bekam, oder ob er das überhaupt probierte, ist nicht bekannt. Dass er die Bäume abholzen ließ und verkaufte, lässt jedoch vermuten, dass das "Naturereignis" nicht im Mittelpunkt seines Strebens stand.
    Obwohl in Ungarn nur die wenigen, regierungskritischen Medien über den "Bürgermeister auf dem Holzweg" berichteten, macht er sogar dort die Runde und sorgt für Gelächter. Auf einen Facebook-Beitrag setzte auch die Sozialarbeiterin von Nyírmártonfalva, Petra Magyar, ein Smiley. Es folgte ein Anruf des Bürgermeisters: "Denken Sie nach", sagte er, "und nehmen Sie das Smiley weg von Facebook!" So erzählt es die schmale, zurückhaltende Frau. Dann sinkt ihre Stimme auf einen Flüsterton: "Das habe ich nicht getan!" Es klingt, als sei sie selbst überrascht über ihren Mut.
    Vielleicht, weil sie ahnte, was folgte: Der Bürgermeister machte Druck, rief sie zum Gespräch, riet ihr, sich krank zu schreiben, machte ihre Arbeit unmöglich, sagt sie. Sie wurde tatsächlich krank. Doch sie bleibt hart:

    Keiner im Dorf traut sich, etwas zu sagen. Aber sie kommen leise auf mich zu und gratulieren mir.

    Petra Magyar, Sozialarbeiterin

    Holzbrücke in Nyírmártonfalva, Ungarn
    Neue Setzlinge rund um die Holzkonstruktion in Nyírmártonfalva.
    Quelle: ZDF

    EU-Betrugsbekämpfungsbehörde ermittelt laut Ministerium

    Am Baumwipfelpfad kann man sehen, dass die Berichterstattung den Bürgermeister nicht unbeeindruckt gelassen hat: Es wurden Baumsetzlinge neben die Holzbrücke ins Nirgendwo gesetzt. In wenigen Jahren, so verlautet aus der Gemeindeverwaltung, seien sie groß und hätten Wipfel. Zehn bis 15 Jahre wird es aber wohl dauern.
    Mit ein bisschen Glück und Hilfe von Parteifreunden hat der Bürgermeister vielleicht bis dahin auch seine EU-Förderung erhalten. Denn die, so teilte uns das ungarische Landwirtschaftsministerium nun mit, würde zur Zeit zurückgehalten, bis die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF den Fall untersucht habe. 
    Sollte diese aber zu dem Schluss kommen, es handele sich um Betrug, dann muss das nicht viel heißen: In Ungarn ignoriert die Staatsanwaltschaft so ein Untersuchungsergebnis schon einmal, so wie im Fall "Helios", da betraf es den Schwiegersohn von Viktor Orban. Und das ist dann gar nicht mehr komisch.

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    von Britta Hilpert
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