Klettern gegen Angst und Depression

    Interview

    Innovative Therapieform:Klettern gegen Angst und Depression

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    Sabrina Höflinger baut auf die therapeutische Kraft des Kletterns: Sie bietet als Klettertherapeutin eine neuartige Kombination aus bewegtem und mentalem Training an.

    Bolderer an einer Kletterwand
    Wege aus der Krise08.04.2023 | 29:50 min
    ZDFheute: Welche Bausteine beinhaltet Ihr achtwöchiges Kursangebot "Klettern und Therapie"?
    Sabrina Höflinger: Wir kombinieren mentales Training mit verschiedenen Formen von Bewegung. Jede Einheit beginnt mit einer Achtsamkeitsübung, um mit freiem Kopf starten zu können. Danach folgt eine Einführung in das jeweilige Thema mit einem interaktiven Austausch persönlicher Erfahrungen. Die wöchentlich wechselnden Themen wie zum Beispiel 'Angst und Vertrauen' oder 'soziale Beziehungen' bearbeiten wir durch Übungen gemeinsam beim Klettern oder Bouldern, was eine Art des Kletterns ohne Seil und in Absprunghöhe ist.

    Klettertherapeutin Sabrina Höfler
    Quelle: Anni Brück

    Die studierte Sportwissenschaftlerin Sabrina Höflinger (32) ist südlich von München zu Hause. Sie bouldert und klettert seit mehr als 10 Jahren selbst und bietet seit 2018 gemeinsam mit Larissa Kranisch den Kurs „Klettern und Therapie“ an. Sie arbeitet außerdem als Kommunikationsexpertin in einer Agentur für Outdoorsport und ist ehrenamtlich in der Bergwacht Bayern aktiv.

    ZDFheute: Das Kursprogramm basiert auf einer Studie der Uniklinik Erlangen, bei der Sie 2017 als eine Standortleiterin im Großraum München beteiligt waren. Was hat diese Studie gezeigt?
    Höflinger: Die Studie der Uniklinik Erlangen hat über anderthalb Jahre mit mehr als 300 ProbandInnen in Berlin, Erlangen und München die Wirksamkeit einer sogenannten Boulderpsychotherapie gegen Depressionen untersucht. Neben einer Patientengruppe, die an der Bouldertherapie teilnahm, gab es zwei weitere Kontrollgruppen.
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    In der einen wurden die Teilnehmenden durch Heimfitnesstraining behandelt und in der anderen wurde eine klassische Verhaltenstherapie durchgeführt.

    Es kam heraus, dass die Bouldertherapie den gleichen Effekt wie die Verhaltenstherapie hatte, die der aktuelle Goldstandard in der Behandlung von Depressionen ist. Das war eine bahnbrechende Erkenntnis.

    Diesen positiven Effekt wollten wir nicht ungenutzt lassen und haben unser Kursprogramm daraus entwickelt. Denn Therapieplätze sind begrenzt und Psychotherapeut*innen haben lange Wartelisten, deswegen ist unser Angebot niedrigschwellig und alle - egal welches Fitnesslevel - sind willkommen.
    ZDFheute: Warum helfen die Sportarten Klettern und Bouldern besser als andere?
    Höflinger: Die Kletterwand wirkt wie ein Spiegel. Es zeigen sich oft Verhaltens- und Gedankenmuster, die im Alltag entweder gar nicht oder nur unterschwellig auftauchen, zum Beispiel wenn ich meine eigenen Fähigkeiten unterschätze oder meine Grenzen missachte.

    Und in dem Moment, in dem ich solche Muster auf dem Präsentierteller bekomme, wird es sichtbar und dadurch greifbar. Und wenn es mir auffällt, dann kann ich es auch ändern. Und gleichzeitig habe ich auch die Möglichkeit, meine individuellen Bewältigungsstrategien zu entwickeln und zu erproben.

    Das ist, glaube ich, das Wichtigste daran, weil ich an der Wand selber aktiv bin und meine eigenen Lösungsstrategien erlebe und verinnerlichen kann.
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    ZDFheute: Was sollen Ihre Teilnehmenden aus dem Kurs mitnehmen?
    Höflinger: Wir hoffen für unsere Teilnehmer*innen, dass sie aus dem Kurs das mitnehmen, was für sie gerade wichtig ist und was sie gerade am meisten brauchen. Wir behandeln verschiedene Themen und jede und jeder soll sich das Richtige rausziehen.
    Für einen kann es sein, dass ich Strategien entwickle, mit Ängsten umzugehen oder dass ich ein neues Selbstbewusstsein und mehr Vertrauen in meinen Körper bekomme und meine Kraft wieder spüre. Bei anderen kann es sein, dass ich den Mut finde, mich aus einer toxischen Berufsbeziehung zu lösen. Wir wollen helfen, den "Notfallkoffer" für eine Krise individuell zu bestücken und die Gewissheit zu festigen, dass es nach jedem Tal auch wieder aufwärts geht.
    Das Interview führte Anni Brück.



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