Autonomes Fahren: Wer hat Kontrolle, wer haftet?

    Autonomes Fahren:Wer hat Kontrolle, wer haftet?

    von Jan Henrich
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    Immer mehr hochautomatisierte Fahrzeuge rollen über deutsche Straßen. Beim diesjährigen Verkehrsgerichtstag wurde darüber diskutiert, wer bei einem Unfall die Verantwortung trägt.

    Dass in den nächsten zehn Jahren vollständig autonome Fahrzeuge auf den Straßen fahren, hält Jan Becker für unrealistisch. Je mehr Aufgaben die Systeme übernehmen, sagt der Experte für autonomes Fahren, desto mehr sogenannte "Corner Cases" müssten gelöst werden.
    Gemeint sind selten auftretende Sonderfälle im Straßenverkehr. Die Herausforderung: theoretisch gibt es davon unendlich viele. Mit seiner Firma Apex.AI entwickelt Becker Software für Fahrzeuge. Seit 25 Jahren beschäftigt sich der Deutsche, der mittlerweile im Silicon Valley lebt, mit autonomen Fahrsystemen.

    Selbstfahrende Taxis bereits jetzt in einzelnen Stadtgebieten

    Trotz der vielen ungeklärten Fragen freut er sich allerdings, dass immer Fahrzeuge ihren Weg in den Alltag finden, die zumindest teilweise automatisiert sind. In den USA lassen sich selbstfahrende Taxis mittlerweile in bestimmten Stadtgebieten finden.
    Fahrerloser Bus
    Während andere Länder schon lange selbstfahrende Verkehrsmittel einsetzen, zögert Deutschland noch. Zwischen Rackwitz und Schladitzer See nahe Leipzig soll jetzt ein Bus ohne Fahrer probeweise eingesetzt werden.19.07.2022 | 1:45 min
    In Deutschland hat Mercedes im vergangenen Jahr das erste Auto auf den Markt gebracht mit einer Zulassung für sogenanntes hochautomatisiertes Fahren - Stufe 3. Bei maximal 60 km/h auf der Autobahn können Fahrer das Steuer aus der Hand geben und sich ganz legal anderen Dingen widmen, einen Film schauen oder auf dem Handy spielen.

    Haftung sollte Kontrolle folgen

    Nach und nach übernimmt die vom Hersteller verbaute künstliche Intelligenz die Kontrolle im Straßenverkehr. Das wirft immer öfter auch die Frage auf, wer im Zweifel verantwortlich ist. Beim Verkehrsgerichtstag in Goslar diskutieren Juristen darüber - KI-Haftung ist eines der zentralen Themen in diesem Jahr.
    Für Prof. Gerhard Wagner von der Humboldt-Universität zu Berlin ist klar, dass sich die Risikoverteilung im Straßenverkehr mit der technischen Entwicklung verschiebt:

    Gegenwärtig fahren Menschen das Auto, aber in Zukunft fährt der Hersteller das Auto und mit dieser Verlagerung der Kontrolle des Fahrzeugs müsste sich auch die Haftung hin zum Hersteller verlagern.

    Gerhard Wagner, Humboldt-Universität Berlin

    Fahrzeughalter bleibt in der Pflicht

    Derzeit gilt in Deutschland ein kombiniertes Haftungssystem von Halter-, Fahrer- und Produzentenhaftung. Wobei in erster Linie der Fahrzeughalter mit seiner Kfz-Versicherung in der Pflicht steht. Das funktioniere sehr gut, sagt Renata Jungo Brüngger. Die Juristin ist im Vorstand der Mercedes-Benz Group für Integrität und Recht zuständig.
    Die derzeitigen Regeln seien technikneutral, würden sowohl für hochautomatisierte als auch für konventionelle Fahrzeuge Rechtsklarheit schaffen. "Ich muss als Hersteller in der Lage sein zu beweisen, dass das hochautomatisierte System in der Lage ist, die Fahraufgabe zu übernehmen. Das ist meine Aufgabe im Rahmen der Haftung", so Jungo Brüngger.

    Bei Unfällen im Straßenverkehr haftet aktuell in erster Linie der Fahrzeughalter über seine Pflichtversicherung, und zwar unabhängig davon, ob er einen Unfall zu verschulden hat oder nicht. Für ihn gilt eine sogenannte Gefährdungshaftung.

    Fahrer können bei Unfällen daneben für verschuldete Fahrfehler bzw. vorsätzliches und fahrlässiges Handeln belangt werden.

    Und auch aktuell können Fahrzeughersteller bereits für Unfälle haften, allerdings nur, wenn ein automatisiertes System zum Unfallzeitpunkt aktiviert war und auch feststeht, dass eine fehlerhafte Programmierung für den Unfall verantwortlich war.

    Dass sich an dem Grundprinzip der Halterhaftung etwas ändert, ist unwahrscheinlich. Der ADAC führt auch Gründe des Opferschutzes an, um das derzeitige System beizubehalten.

    Autopilot eingeschaltet
    :Tesla-Fahrer schläft am Steuer ein

    Ein Tesla-Fahrer schaltet bei seinem Wagen den Autopiloten ein und schläft danach ein. Seinen Führerschein muss er daraufhin abgeben und sich vor Gericht verantworten.
    Ein Mann sitzt in einem Tesla Model S am Lenkrad, neben ihm ein großer Monitor im Armaturenbrett.

    "Kausalitätsvermutung" soll Beweislast bei KI-Unfällen erleichtern

    Für Geschädigte sei es im Zweifel einfacher, sich direkt an die Pflichtversicherung eines Fahrzeughalters zu wenden, als mit einem Autohersteller in einen Rechtsstreit über fehlerhafte KI-Programmierung zu geraten.
    Doch auch wenn das System bleibt, sucht die Rechtswissenschaft derzeit nach Lösungen, wie sich die gesteigerte Verantwortung derjeniger, die autonome Systeme auf den Markt bringen, auch in der Haftung widerspiegeln kann. Die EU hatte zuletzt einen umfangreichen Entwurf für eine KI-Haftung vorgestellt. Der beinhaltet unter anderem eine sogenannte "Kausalitätsvermutung": Damit sollen Geschädigte leichter nachweisen können, dass die Entscheidung einer künstlichen Intelligenz bei einem Unfall eine Rolle gespielt hat.
    Es ist eine von vielen möglichen Herangehensweisen bei der Haftung für autonome Fahrzeuge. Wie genau die Regeln für den Straßenverkehr der Zukunft aussehen, wird sich aber in den nächsten Jahren noch zeigen müssen.
    Jan Henrich ist Redakteur der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

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