Nach Hochwasser: Bundesverfassungsgericht besucht Ahrtal

    Nach Hochwasserkatastrophe:Bundesverfassungsgericht zu Besuch im Ahrtal

    von Christoph Schneider
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    Vertreter des Bundesverfassungsgericht haben sich im Ahrtal selbst ein Bild von den Schäden des Jahrhunderthochwassers gemacht. Für das Amtsgericht eine Premiere.

    Die Überraschung ist ihr immer noch deutlich anzusehen, als die Direktorin des Amtsgerichts (AG) Bad Neuenahr-Ahrweiler, Susanne Dreyer-Mälzer, von einem Anruf im vergangenen Sommer berichtet. Am anderen Ende der Leitung: Das Bundesverfassungsgericht. Man habe vom großen Einsatz des kleinen Amtsgerichts in Rheinland-Pfalz im Ahrtal während der Flutkatastrophe im Juli 2021 gehört und gelesen - gerne wolle man sich ein persönliches Bild machen und mit den Bediensteten des Gerichts sprechen.

    Harbarth und König vor Ort

    Am Montag fand der hochrangige Besuch statt. Angeführt vom Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, und der Vizepräsidentin des höchsten deutschen Gerichts, Doris König, kommt eine Delegation aus Karlsruhe nach Bad Neuenahr-Ahrweiler. Begleitet von zahlreichen Medienvertretern. Auch der rheinland-pfälzische Justizminister ist gekommen, ebenso die Präsidenten des Oberlandesgerichts und des Landgerichts Koblenz.

    Schäden am Gericht

    Direktorin Dreyer-Mälzer berichtet und ein kleiner Film veranschaulicht: Das AG war wie so viele andere Gebäude in Bad Neuenahr-Ahrweiler regelrecht von den Flutmassen überschwemmt worden. Schlamm und Wasser drangen ungehindert ein, beschädigten "rund 1750 laufende Regalmeter Akten", die danach geborgen und zur Trocknung ausgelagert werden mussten, erzählt Dreyer-Mälzer. Aufzug, Telefonanlage, Computer - alles außer Betrieb.
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    Es hat knapp zwei Monate gedauert, bis das AG Mitte September 2021 notdürftig seinen Betrieb wieder aufnehmen konnte. Zu verdanken ist das unzähligen Bediensteten, nicht nur vom AG, sondern auch vom benachbarten Landgericht Koblenz, die die Akten heraustrugen, in dieser Zeit wuchsen ganz viele über sich hinaus.

    Sanierung geht langsam voran

    Denn der Justizalltag, er musste bei aller Zerstörung auch weitergehen. Das AG ist in erster Instanz zuständig für Zivil-, Straf-, Familien- und Betreuungsverfahren und für Insolvenz- sowie Grundbuchsachen. Eine ihrer ersten dienstlichen Amtshandlungen war eine Scheidung, erinnert sich Dreyer-Mälzer heute mit einem Schmunzeln, beide Parteien "hatten es sehr eilig".
    Betreuungsverfahren wurden kurzerhand auf dem hinter dem Gebäude liegenden Parkplatz durchgeführt, denn barrierefrei war das amtsgerichtliche Gebäude mit all den Zerstörungen nicht. Und Haftvorführungen von Untersuchungshäftlingen wurden in extra hergerichteten Räumlichkeiten im Dachgeschoss des AG durchgeführt.
    Erst im März 2022 konnten Desinfektion und Reinigung abgeschlossen werden. Und die neuen Haftzellen im Keller werden in den nächsten Monaten fertig. Bis allerdings die Akten nach ihrer Auslagerung und Wiederherrichtung wieder ins Gericht zurückkommen, werden wohl noch fünf bis sechs Jahre vergehen. Apropos Keller: Auch dort sollen Hochwasserschutztüren und Rückstauklappen in Zukunft das Risiko von Überschwemmungen bei Extremwetter möglichst minimieren.
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    Viele Einzelschicksale

    Von den 40 Bediensteten des Gerichts, darunter acht Richterinnen und Richter, berichteten 20 den Vertretern des Bundesverfassungsgerichts von ihren persönlichen Schicksalen, denn sie waren von der Katastrophe direkt betroffen. Harbarth dankt allen, die "den Rechtsstaat am Laufen gehalten" haben. Alle sind herzlich auf einen Gegenbesuch in Karlsruhe eingeladen.
    Beim anschließenden Gang durch Bad Neuenahr-Ahrweiler treffen Harbarth und König auch auf Vertreter der Kreisverwaltung, die von manchen bürokratischen Hürden berichten. Klar ist: Auch 18 Monate nach dem Jahrhunderthochwasser wird es noch Jahre brauchen, bis die schlimmsten Schäden behoben sein werden.
    "Unsere Stadt wird #wiederbunt", prangt an ganz vielen Fenstern und Hauswänden in Bad Neuenahr-Ahrweiler - es wird noch Zeit brauchen.    
    Christoph Schneider ist Redakteur in der Fachredaktion Recht & Justiz des ZDF

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