"Ewige Chemikalien": Unterschätztes Problem

    PFAS-Verbreitung in Deutschland:"Ewige Chemikalien": Unterschätztes Problem

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    Sie sind schwer abbaubar, viele gelten als Gesundheitsrisiko: "ewige Chemikalien" oder PFAS. Offenbar verunreinigen sie in Deutschland mehr Orte als bislang bekannt.

    Ein Detail eines Belebungsbeckens in einem Klärwerk. Einige PFAS finden unter anderem über Kläranlagen ihren Weg in Flüsse, Seen und Meere.
    Einige PFAS finden unter anderem über Kläranlagen ihren Weg in Flüsse, Seen und Meere.
    Quelle: dpa

    PFAS ist die Abkürzung für Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen - die sogenannten "ewigen Chemikalien" kommen etwa in Shampoos, Anoraks, Pfannen oder Pizzakartons zum Einsatz. Die Stoffe können sich in der Umwelt anreichern und werden nur sehr langsam abgebaut. So finden unter anderem über Kläranlagen einige PFAS ihren Weg in Flüsse, Seen und Meere. Einige wenige dieser Chemikalien sind bereits weitgehend verboten, weil sie als gefährlich für die Gesundheit gelten. Selbst in entlegenen Regionen der Welt konnten die Stoffe im Regenwasser nachgewiesen werden.

    PFAS möglicherweise an mehr als 1.500 Orten in Deutschland

    Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" haben ergeben, dass in Deutschland das Problem mit diesen gesundheitsschädlichen PFAS-Chemikalien viel größer ist als bislang bekannt. An mehr als 1.500 Orten könnten sie hierzulande Boden und Grundwasser verseuchen. Sie kritisierten, die Bevölkerung werde oftmals nicht darüber informiert.






    Das Umweltbundesamt räumte gegenüber der "SZ" ein, dass viele in Deutschland mit PFAS verunreinigte Orte noch unbekannt seien. In einer Antwort von Behördenchef Dirk Messner, die der dpa vorliegt, heißt es:

    Was wir sehen, ist vermutlich die Spitze des Eisberges.

    Dirk Messner, Umweltbundesamt

    Zur Gruppe der PFAS gehören mehrere tausend Chemikalien. Verschiedene Studien kommen zu dem Schluss, dass PFAS Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit haben oder zu Entwicklungsverzögerungen bei Kindern führen können. Auch ein erhöhtes Risiko für bestimmte Krebsarten wird angeführt.

    Nur wenige Hotspots werden öffentlich diskutiert

    Bislang werde in der Öffentlichkeit nur über einige wenige PFAS-Hotspots diskutiert, heißt es in dem Bericht. Darunter seien etwa Felder in Rastatt in Baden-Württemberg, auf denen mutmaßlich belasteter Papierschlamm verteilt wurde, oder der Düsseldorfer Flughafen, wo bei einem Großbrand PFAS-haltiger Löschschaum in Boden und Grundwasser floss.
    Nachklärbecken der Kläranlage in Bottrop
    28.07.2022 | 19:49 min
    Abwasser ist mit vielen Schadstoffen belastet:
    Wissenschaftliche Veröffentlichungen legten aber nahe, dass in der Nähe von bestimmten Industriestandorten die Gewässer und Böden mit PFAS verunreinigt sein könnten, berichteten die Medien. In verschiedenen US-Staaten und in Frankreich hätten Behörden in der Nähe solcher Standorte ganz gezielt nach PFAS-Rückständen gesucht.
    NDR, WDR und "SZ" nutzten die Kriterien und übertrugen sie "so weit wie möglich auf Deutschland". So identifizierten sie "Hunderte Orte, an denen Boden oder Grundwasser ebenfalls verschmutzt sein könnten".

    PFAS wahrscheinlich an vielen Industriestandorten

    Die Medien beteiligten sich am "Forever Pollution Project", das in ganz Europa mehr als 17.000 möglicherweise mit "ewigen Chemikalien" belastete Orte identifizierte. Dazu gehören Flughäfen und Militärstandorte, wo früher PFAS-haltiger Löschschaum eingesetzt wurde, Kläranlagen und Deponien. Dazu kommen Industrieunternehmen, die PFAS verwenden, etwa die Textilindustrie, die Metallveredelung oder Altpapier verarbeitende Betriebe.
    Die ab 2020 verbotene Perfluoroktansäure (PFOA) - sie gehört zur PFAS-Gruppe - findet sich in vielen Böden und Gewässern - wie hier in Altötting:
    Laut "Forever Pollution Project" sind die meisten dieser Unternehmen in Deutschland angesiedelt: Solvay in Bad Wimpfen, Daikin in Frankfurt am Main, Lanxess in Leverkusen sowie 3M, W.L. Gore und Archroma im bayerischen Chemiepark Gendorf. Alle Unternehmen versicherten gegenüber den Medien, sie hielten sich an die gesetzlichen Vorschriften und bemühten sich um eine Reduzierung der Schadstoffe. Der US-Technologiekonzern 3M kündigte bereits an, bis Ende 2025 aus der PFAS-Produktion auszusteigen.

    Deutschland fordert PFAS-Verbot

    Auf EU-Ebene wird ein weitgehend vollständiges Verbot der Stoffgruppe angestrebt, unter anderem vom Umweltbundesamt. Es geht um geschätzt mehr als 10.000 einzelne Substanzen. Viele Fachleute gehen davon aus, dass zumindest ein Teil der bislang erlaubten Stoffe negative Eigenschaften hat. Wegen der enormen Vielfalt ist ein Großteil der Stoffe bislang aber noch nicht untersucht.
    Quelle: dpa, AFP

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