Gefälschte "Hitler-Tagebücher" künftig im Bundesarchiv

    Berühmte Fälschungen:"Hitler-Tagebücher" künftig im Bundesarchiv

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    Kurz nach ihrer Präsentation wurden die "Hitler-Tagebücher" als Fälschung entlarvt. Jetzt, 40 Jahre später, kommen sie ins Bundesarchiv.

    Stern-Heft Nr. 18 vom 28.04.1983
    Der Stern präsentierte die angeblichen "Hitler-Tagebücher" als Titel senes Heft Nr. 18 vom 28.04.1983
    Quelle: Stern

    Elf Tage vergehen zwischen der vermeintlichen Weltsensation und dem journalistischen Totalschaden: Keine zwei Wochen, nachdem das Hamburger Magazin "Stern" bei einer Pressekonferenz am 25. April 1983 die angeblichen Tagebücher von NS-Diktator Adolf Hitler präsentiert, holt die Redaktion die Realität ein.

    Zunächst keinerlei Zweifel an der Echtheit beim "Stern"

    Von Selbstzweifeln ist bei der legendär gewordenen Pressekonferenz in den Redaktionsräumen des "Stern" nichts zu spüren. An jenem Tag hält dessen Star-Reporter Gerd Heidemann spontan stolz einige der schwarzen Kladden mit den roten Siegeln in die Kameras der Kollegen.
    Zweifel an der Echtheit der Tagebücher werden schon bei der Veranstaltung öffentlich sehr eindringlich formuliert, doch "Stern"-Chefredakteur Peter Koch kanzelt sie als "Ferndiagnosen" ab. Die Geschichte des Dritten Reichs müsse jetzt umgeschrieben werden, davon sind die Blattmacher fest überzeugt.
    Montage: Links eine zurückweichende Frau, an der Wand ein Schemen. Vor ihr ein Zettel mit der Aufschrift „#meetoo“; rechts ein handgeschriebenes Tagebuch, darauf ein Foto Adolf Hitlers.
    Sie erschüttern die Gesellschaft, entzünden Debatten und können Motoren des Wandels sein: Skandale. Sie decken häufig Lügen auf, doch der Wahrheit sind sie nicht immer verpflichtet.04.05.2022 | 45:00 min

    Deutliche Warnzeichen übersehen

    Dabei erscheint die Sache von Anfang an zu schön, um wahr zu sein. Annähernd 40 Jahre sind damals seit Kriegsende vergangen, ohne dass von "Hitler-Tagebüchern" die Rede war. Kein Überlebender aus dem Umkreis des NS-Führers berichtete jemals davon. Noch dazu ließ der Diktator vor seinem Selbstmord im großem Umfang Dokumente vernichten.
    Dazu kommen weitere deutliche Warnzeichen. Die handschriftlichen Notizen enthalten historische und chronologische Ungenauigkeiten, auch Inhalt und Stil passen nicht zu einem Tagebuch aus dem Zentrum der Macht. Es finden sich darin keine Spezialkenntnisse oder Reflexionen über Entscheidungen, wie das Bundesarchiv später festhält.

    Stattdessen reihen sich banale Aussagen über längst bekannte Ereignisse im Zeitungsstil aneinander.

    Aus der Analyse des Bundesarchivs

    "Hitler-Tagebücher" nur elf Tage später als Fälschung entlarvt

    Dem Spuk offiziell ein Ende machen dann Bundeskriminalamt, Bundesarchiv und Bundesanstalt für Materialprüfung durch die Veröffentlichung ihrer finalen offiziellen Untersuchungsergebnisse am 6. Mai. Demnach steht unter anderem fest, dass die in den meisten der 60 Kladden verwendeten Materialien erst aus der Nachkriegszeit stammen können. Das Papier etwa enthält chemische Aufheller, die zu Hitlers Lebzeiten noch gar nicht auf dem Markt waren.
    Auch die inhaltliche Prüfung fällt eindeutig aus: Der Inhalt folgt laut Bundesamt weitgehend einer längst veröffentlichten historischen Sammlung von Hitler-Reden und -Proklamationen. Ganze Passagen sind einfach abgeschrieben.
    Der legendäre "Stern"-Herausgeber Henri Nannen tritt unter dem Druck der Ereignisse die Flucht nach vorn an. Der "Stern" schäme sich, erklärt er. Intern soll er drastischer geworden sein:

    Jetzt ist die Kacke am Dampfen.

    Henri Nannen, "Stern"-Herausgeber

    Stern kauft 62 Bände für 4,7 Millionen Euro

    Die Verantwortlichen müssen nun auch die abenteuerliche Vorgeschichte ihres vermeintlichen Coups einräumen. Reporter Heidemann, selbst ein begeisterter NS-Devotionaliensammler, gerät Anfang der 80er Jahre in der einschlägigen Szene an den Stuttgarter Maler Konrad Kujau. Dieser bietet ihm unter falschem Namen die Tagebücher an, die angeblich in einem in der DDR abgestürzten Flugzeug das Kriegsende überdauerten. In Wirklichkeit fälscht er sie selbst.
    In den Folgejahren kauft Heidemann im Auftrag der Verlagsleitung von Kujau für mehr als 4,7 Millionen Euro nach und nach immer mehr angebliche "Hitler-Tagebücher" für eine exklusive Topstory. Anfangs ist die Rede von 27 Bänden, am Ende sind es 62. Auch das macht beim "Stern" niemanden stutzig.
    Vor der Veröffentlichung holt sich der "Stern" zwar Expertisen ein, geht dabei aber selektiv vor. Auch das Bundesarchiv erhält vom "Stern" vorab drei Schriftstücke zur Prüfung. Die Ergebnisse sind uneindeutig. Zudem fehlen dem Archiv zentrale Informationen, von "Hitler-Tagebüchern" ist nicht die Rede.
    Nach dem Auffliegen des Skandals wird Kujau 1985 vom Landgericht Hamburg wegen Betrugs zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Im Jahr 2000 stirbt er. Auch Heidemann wird wegen Betrugs verurteilt, weil er Zahlungen für sich abzweigte.
    "Die glorreichen 10 - Die schlechtesten Deals der Geschichte": Fünf Männer (Konquistadoren) stehen auf einer Pyramide.
    Die Geschichte ist voller Irrungen und Wirrungen. Nicht selten stecken Deals dahinter. Die schlechtesten Geschäfte der Geschichte.24.07.2016 | 43:31 min

    Stoff für Dietls Filmsatire "Schtonk"

    Später verschwinden die Fälschungen in den Archiven des "Stern", während der Skandal selbst in Zeitgeschichte und Populärkultur eingeht. Regisseur Helmut Dietl nutzt den Stoff später etwa für seine Filmsatire "Schtonk".
    Anlässlich des 40. Jahrestags der Affäre aber sollen die Hefte nun an das Bundesarchiv übergeben werden, wie der Bertelsmann-Konzern am Montag mitteilte. Zu ihm gehört der "Stern" inzwischen. Dort seien sie auch gut aufgehoben, meint der Präsident der Einrichtung, Michael Hollmann. Sie seien "eigentümliche Zeugnisse der bundesrepublikanischen Zeitgeschichte".
    Quelle: Sebastian Bronst, AFP