Wie ein russischer Elite-Hacker die Welt manipulieren will

    Russlands Cyberkrieg:Ein Elite-Hacker will die Welt manipulieren

    von Carina Huppertz und Hakan Tanriverdi
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    Serebriakov ist Chef von Sandworm, einer der gefährlichsten Hacker-Gruppen. Frontal liegt seine Masterarbeit vor; darin erklärt er, wie Gesellschaften manipuliert werden können.

    Bildcollage: Wladimir Putin (rechts im Bild), Satellit im Weltall (links im Bild)
    Tausende interne Unterlagen des russischen IT-Unternehmens NTC Vulkan geben erstmals Einblick in Putins digitale Cyberkriegspläne.11.05.2023 | 28:55 min
    Es ist keine gewöhnliche Masterarbeit, für die sich westliche Geheimdienste interessieren. Denn geschrieben hat sie ein Mann, den sie sehr genau beobachten: Evgenii Serebriakov; ein Agent des russischen Militärs, der im Auftrag des Kremls Cyberangriffe gegen den Westen führt und der weltweit in die Schlagzeilen geraten war.

    Ziel von Sandworm: Angriffe auf die Infrastruktur

    Die Hacker von Sandworm haben während des russischen Angriffskrieges versucht, das ukrainische Stromnetz mit einem Cyberangriff auszuschalten - sie scheiterten.
    Wie sehr sich Sandworm für Angriffe auf Industrieanlagen interessiert, zeigten zuletzt die Vulkan-Files - Recherchen, an denen auch das ZDF beteiligt gewesen war. Eine aus Moskau heraus operierende Firma forscht seit Jahren, wie Kritische Infrastruktur im Westen angegriffen werden kann, zum Beispiel Eisenbahnsysteme. Die Aufträge dazu kommen von Hackergruppen wie Sandworm - die Truppe, die Serebriakov führt.

    Strategie: Informationen als Waffe nutzen

    Wie also denkt dieser Mann? Seine Masterarbeit trägt den Titel: "Informationskonfrontation in der Weltpolitik". Sie ist auf das Jahr 2019 datiert, hat mehr als 90 Seiten und 77 Fußnoten und verfasst für die Russische Akademie für Volkswirtschaft und öffentliche Verwaltung.
    Hinter dem sperrigen Begriff "Informationskonfrontation" steckt eine - nicht nur in Russland - weit verbreitete Überzeugung, dass Informationen als Waffe eingesetzt werden können.
    Die Masterarbeit des Chefs der russischen Hacker-Gruppe Sandworm.
    Das Deckblatt der Magisterarbeit des Chefs der russischen Hacker-Gruppe Sandworm.
    Quelle: ZDF

    Ansichten und Gefühle manipulieren statt Land erobern

    Serebriakov führt aus, "dass Informationskriege ein effektives Werkzeug der Außenpolitik darstellen". Dass es darum gehe, den "Kampf um die Köpfe zu gewinnen".
    Dafür müsse man kein "Feindesgebiet einnehmen", denn mit Informationen ließen sich Gefühle und Ansichten manipulieren.
    Pass von Evgenii Serebriakov
    Der 41-jährige Serebriakov ist Chef einer russischen Elite-Hacker-Gruppe.
    Quelle: picture alliance/AP Photo

    Für Serebriakov ist "Informationskonfrontation" ein erstaunlich effektives Werkzeug, das ganze Gesellschaften beeinflussen könne, von der Politik bis hin zu "spirituellen und individuellen Sphären".

    Definition von Informationskrieg "sehr weit ausgelegt"

    Konkrete Cyberangriffe sind dagegen kaum Thema. Bilyana Lilly, die ein Buch über den "russischen Informationskrieg" veröffentlicht hat, sagt:

    Ich war enttäuscht, dass der Leiter der vermutlich gefährlichsten Hackergruppe so wenig über Hacking schreibt.

    Bilyana Lilly, Expertin für Cyber-Sicherheit

    Aber die Masterarbeit sei ihrer Meinung nach in ihrer jetzigen Form interessanter, da es nicht um einen einzelnen Cyberangriff gehe und wie der ablaufe, sondern um die dahinterliegende paranoide Weltsicht.
    Grafik: Angriff aus dem Cyberspace - Harald Lesch mit Schutzschild
    Keiner ist vor Cyberangriffen sicher. Auch einige Staaten setzen auf digitale Kriegspläne. Wo sind unsere Schwachstellen? Wie können wir uns schützen? 13.06.2023 | 29:54 min
    Sandworm-Chef Serebriakov lege "den Informationskrieg sehr weit aus", kommentiert Lilly. Serebriakov sei damit ganz auf Linie, denn: "Russland hat in seinen Operationen gegen Nato-Mitgliedsstaaten ebenfalls diese breite Definition angelegt." Die Masterarbeit tauchte im Frühjahr im Netz auf, kurz zuvor hatte das Fachmagazin WIRED über Serebriakov berichtet.

    USA als Vorbild bei Durchsetzung eigener Interessen

    Der Sandworm-Chef wirkt in der Masterarbeit beinahe begeistert davon, wie gut es die USA verstünden, diesen vermeintlichen Informationskrieg zu führen. In seiner Weltsicht gelingt es den Vereinigten Staaten, die eigene Dominanz zu etablieren, indem "Krisen in strategisch relevanten Orten auf dieser Welt" verursacht werden, um dann eigene Interessen durchzusetzen.
    Russland, so seine Schlussfolgerung, sei in der Defensive und müsse sich verteidigen. Stellenweise gleitet Serebriakov auch in die Verschwörungserzählungen ab, wenn er zum Beispiel schreibt, dass einflussreiche Organisationen angeblich daran arbeiten würden, eine "Neue Weltordnung" zu etablieren.
    Der Erstkorrektor der Universität schreibt dennoch, die Masterarbeit verdiene eine "hohe Bewertung". Westliche Dienste haben sie auch gelesen. Welche Noten sie verteilt hätten, ist nicht bekannt.

    Russische Firma für Cyberwaffen
    :Was steckt hinter den "Vulkan Files"?

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    von Joachim Bartz, Sophia Baumann, Maria Christoph, Nils Metzger, Ulrich Stoll, Hakan Tanriverdi
    NTC Vulkan Firmengebäude
    FAQ

    Hacker-Versuch auf OPCW in Den Haag gescheitert

    International bekannt wurde der Hacker, nachdem er, genauer: sein Arbeitgeber, der russische Militärgeheimdienst GRU, quasi öffentlich gedemütigt wurde. Serebriakov wurde im Herbst 2018 auf einem Hotelparkplatz im niederländischen Den Haag erwischt, als er versucht hatte, sich in das IT-Netzwerk im nahestehenden Gebäude der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) zu hacken.
    Die OPCW ermittelt zu dieser Zeit, ob das mit Russland verbündete Assad-Regime Giftgas gegen Zivilisten eingesetzt hat. Die Hacker wurden gestoppt und des Landes verwiesen. Dem Aufstieg von Serebriakov zum Sandworm-Chef hat das offenbar nicht geschadet. Das russische Verteidigungsministerium ließ eine Anfrage zu all dem unbeantwortet.

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