Bestattungen: Die muslimischen Verstorbenen bleiben hier

    Islamische Bestattungen:Die muslimischen Verstorbenen bleiben hier

    Stefanie-Hayn
    von Stefanie Hayn
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    Jahrzehnte nach der Anwerbung der ersten Arbeitskräfte in der Türkei entscheiden sich immer mehr Familien für eine Bestattung in Deutschland. Doch muslimische Grabstätten sind rar.

    Muslimische Begräbnisstätte in Berlin
    Muslimische Begräbnisstätte in Berlin
    Quelle: ZDF/Stefanie Hayn

    Der Vater ist vor einem Monat gestorben. Vor 81 Jahren wurde er in Eskişehir in der Türkei geboren, mehr als 50 Jahre hat er in Berlin gelebt und hier ist heute die Heimat seiner Kinder und Enkel. Am liebsten wäre er aber in der Türkei beigesetzt worden, erzählen seine Frau und seine Tochter.

    Er wird uns vielleicht böse sein, aber in der Türkei würde er sich alleine fühlen.

    Tochter eines verstorbenen Muslims

    Die Tochter ist froh, dass sie jetzt ein Auge auf das Grab ihres Vaters werfen kann. Einmal in der Woche kommt sie mit der Mutter auf den Landschaftsfriedhof in Berlin Gatow am Stadtrand. Jedes Mal eineinhalb Stunden hin und eineinhalb zurück. Näher an ihrem Wohnort gab es nicht schnell genug ein Grab für eine muslimische Bestattung.
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    Koran sieht Bestattung dort vor, wo man gestorben ist

    Der Platz auf den Berliner Friedhöfen ist knapp. Der Landschaftsfriedhof in Berlin Gatow ist ein landeseigener Friedhof und hat mit derzeit rund 10.000 Gräbern die größte muslimische Abteilung in der Hauptstadt. Aktuell sind keine zehn Grabstätten mehr frei.
    Bestatter Işıkali Karayel ist Fachmann für muslimische Bestattungen. Man muss ein bisschen unterscheiden, sagt er. Die erste Generation derer, die eingewandert sind, hätten oft in der alten Heimat Familiengräber gekauft und immer mit dem Gedanken gelebt, einst dorthin zurückzukehren.
    Işıkali Karayel, Bestatter und Fachmann für muslimische Bestattungen
    Işıkali Karayel ist Fachmann für muslimische Bestattungen.
    Quelle: ZDF/Stefanie Hayn

    Doch die Kinder und deren Kinder hätten viel weniger Bezug zu diesen Herkunftsorten. Sie wollen ihre Eltern oder Großeltern viel lieber hierbehalten, um die Verstorbenen auch besuchen zu können, wie es die Religion vorschreibt. Und im Koran stehe auch, dass man sich beerdigen lassen solle, wo man gestorben sei.

    Muslimische Bestattungsriten sind nicht überall erlaubt

    In seinem Bestattungsinstitut gäbe es nur noch für 30 Prozent derer, die in Berlin gelebt haben, eine Überführung in das Herkunftsland. 70 Prozent werden in Berliner Erde bestattet.
    Das ist nicht immer ganz einfach. Prinzipiell können Musliminnen und Muslime auf jedem Friedhof der Stadt begraben werden, doch viele Hinterbliebene wünschen eine Beerdigung nach islamischem Ritus. Dazu gehört die Bestattung in einem Leinentuch - das ist in Berlin seit 2010 erlaubt.
    Eine einheitliche Regelung für ganz Deutschland gibt es nicht. Ein muslimisches Grab muss so ausgerichtet sein, dass die rechte Seite nach Süd-Osten, also nach Mekka zeigt. Die Verstorbenen werden dann so gebettet, dass sie nicht in den Himmel, sondern über ihre rechte Schulter in diese Richtung sehen.

    Bei der Beisetzung ist es sehr wichtig, dass die Ausrichtung nach Mekka gegeben ist. Also die rechte Seite des Verstorben mit dem Gesicht in Richtung Mekka beigesetzt wird.

    Işıkali Karayel, Bestatter

    Weg zu Gräbern muslimischer Angehöriger oft weit

    Sollte der Friedhof nicht zufällig so ausgerichtet sein, fallen die muslimischen Gräber aus der Reihe. Derzeit gibt es gerade vier landeseigene Friedhöfe in Berlin und zwei evangelische, die muslimische Abteilungen haben. Laut Senatsverwaltung sind weitere in Planung.
    Für Bestatter Karayel wäre es wichtig, in jedem Stadtbezirk eine muslimische Friedhofsabteilung einzurichten, damit gerade ältere Hinterbliebene nicht stundenlang durch die Stadt zu den Gräbern unterwegs sein müssten. Aber in die Sache käme jetzt, ganz langsam, ein bisschen Bewegung.
    Alte Frau in der Mitte, umrahmt von Tochter und Sohn, stehen auf der Straße eines sizilianischen Dorfes. Alle lächeln in die Kamera.
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    Überführung ins Heimatland auch eine Kostenfrage

    Die Zahl der Bestattungen auf islamischen Grabfeldern in Berlin steigt nach Auskunft der zuständigen Senatsverwaltung seit Jahren. Im Jahr 2012 wurden 176 Bestattungen gezählt, 2021 waren es schon 805 Tote, die von ihren Angehörigen in der Heimat der Kinder und Enkel beerdigt wurden. Für manche war der Weg in das Herkunftsland auch durch Krieg oder finanzielle Gründe unmöglich.
    Auf dem weitläufigen Friedhofsgelände in Berlin Gatow fallen die leicht diagonalen Gräber nach einer Weile kaum noch auf. Wenn alle in der gleichen Richtung liegen, wirken eher die Wege schräg.
    Schild zur Muslimischen Begräbnisstätte auf dem Friedhof in Berliner Gatow
    Muslimische Begräbnisstätte auf dem Friedhof in Berliner Gatow
    Quelle: ZDF/Stefanie Hayn

    Verstorbene muslimische Kinder schon früh in Deutschland beigesetzt

    Seit 1988 gibt es hier die muslimische Abteilung - viele Gräber sind schon dicht überwachsen. Kindergräber aus den frühen Jahren fallen auf, die Kleinsten sollten wohl schon damals nicht allein in die alte Heimat zurückgeschickt werden.
    Mutter und Tochter des verstorbenen 81-jährigen haben im Koran gelesen und das Grab gegossen und dann auch noch die Gräber von zwei befreundeten Familien, die sich gleich nebenan befinden. Wahrscheinlich sehr bald werden alle Plätze hier belegt sein. Bis die Fläche für 350 neue Gräber vorbereitet ist, wird es sicher ein Jahr dauern.
    Stefanie Hayn ist Reporterin im ZDF-Landesstudio Berlin.

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