Attentat 2016: Wie Brüssel mit dem Terror-Trauma umgeht

    Anschläge vor sieben Jahren:Wie Brüssel das Terror-Trauma verarbeitet

    Isabelle Schaefers, ZDF-Korrespondentin in Brüssel
    von Isabelle Schaefers
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    In Belgiens Hauptstadt explodierten am 22. März 2016 drei Bomben - ein Attentat islamistischer Terroristen. Die Opfer von damals leiden noch heute.

    Zwei Menschen umarmen sich
    In Belgien läuft ein Prozess, der das ganze Land bewegt. Zehn Männer müssen sich wegen der Terroranschläge von 2016 in Brüssel verantworten mit 32 Todesopfern und Hunderten Verletzten. 21.03.2023 | 44:08 min
    Auch sieben Jahren nach den Terroranschlägen ist Brüssel noch immer mit der Aufarbeitung beschäftigt. Besonders, weil seit Dezember der Prozess gegen die mutmaßlichen Attentäter läuft. Aber auch, weil die Opfer der Anschläge noch immer unter dem leiden, was sie erlebt haben.

    Terroropfer: "Die Narben sind ein Teil von mir"

    Sabine Borgignons hatte lange gezweifelt, ob sie wirklich zum Prozess gegen die mutmaßlichen Attentäter von Brüssel gehen will. Sie saß in der Metro als dort die Bombe explodierte. 40 Operationen hat sie bereits hinter sich. Weitere werden folgen.
    Zu ihrem ersten Tag am Gericht kommt sie mit frischen Narben - über dem Auge waren noch Splitter der Bombenexplosion.

    Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass die Angeklagten das sehen. Ich hatte ein bisschen Angst davor, aber die Narben sind nunmal ein Teil von mir.

    Sabine Borgignons, Terroropfer

    auslandsjournal
    Quelle: ZDF

    Die auslandsjournal-Doku "Brüssel und das Terror-Trauma" von ZDF-Korrespondentin Isabelle Schaefers sehen Sie am Mittwoch, 22. März 2022, um 22:15 Uhr im TV im ZDF und jederzeit in der ZDFmediathek zur Verfügung.

    Brüssel musste lange auf den Prozessbeginn warten

    Sabine ist eine von rund 1.000 Nebenklägern in diesem Mega-Prozess. Es gibt zwölf Geschworene, 24 Ersatzgeschworene.
    Zehn Angeklagte müssen sich für die Terroranschläge in Brüssel verantworten. Sechs der zehn wurden bereits in Paris verurteilt - denn sie waren auch an den Anschlägen dort 2015 beteiligt. Auch deshalb musste Brüssel so lange auf diesen Prozess warten.

    Belgiens ganze Gesellschaft wurde von den Anschlägen getroffen

    Dass die Anschläge auch nach so vielen Jahren noch das Leben vieler Opfer bestimmen, können am besten die verstehen, die ähnliches erlebt haben. Deshalb sind viele untereinander vernetzt, Opferorganisationen veranstalten Treffen und Therapieangebote.
    Das reicht aber nicht, sagt die auf Traumabewältigung spezialisierte Psychologin Mireille Monville:

    Es ist sehr wichtig, dass das ganze Land hinter den Opfern steht. Und ihnen sagt: Was euch passiert ist, ist auch uns passiert. Beim Terrorismus geht es ja genau darum: über Einzelne eine ganze Gesellschaft zu treffen.

    Mireille Monville, Psychologin

    Angehöriger: "Ideologie des Hasses bekämpfen"

    Mohamed El Bachiri ist auch Opfer der Anschläge. Seine Frau Loubna, Mutter seiner drei Söhne, starb bei den Anschlägen. Mit dem Prozess will er aber möglichst wenig zu tun haben. Er hat bereits seinen Weg gefunden, um weiterzumachen.

    ... explodierte um 7.58 Uhr eine Bombe am Brüsseler Flughafen Zaventem - direkt neben einem Check-In-Schalter. 5.000 Passagiere sind an diesem Morgen in der Abflughalle. Wenig später explodiert eine zweite Bombe. Um 9.11 Uhr explodiert eine dritte Bombe - in der Metrostation Maelbeek, mitten im Europaviertel.
    Es handelt sich um Attentate des so genannten Islamischen Staates. Insgesamt sterben 32 Menschen, mindestens 340 werden verletzt.

    Der Muslim hat ein Buch geschrieben - "Dschihad der Liebe" - und setzt sich für Menschlichkeit und Verständnis ein. "Ich war schon immer ein zutiefst humanistischer Mensch. Nach den Anschlägen ist es umso wichtiger. Das ist meine Art, jede Ideologie des Hasses zu bekämpfen", sagt Mohamed.

    Molenbeek, ein Brüsseler Stadtteil in Verruf

    Mohamed lebt in Molenbeek, dem Stadtteil, der nach den Anschlägen in Verruf geriet. Denn hier lebten einige der Attentäter. Auch diesem negativen Bild will er etwas entgegensetzen.

    Alle Augen waren nach den Anschlägen auf uns gerichtet. Nur weil zwei, drei Fanatiker das Unwiederbringliche getan hatten. Sie repräsentieren aber absolut nicht die 100.000 Einwohner von Molenbeek.

    Mohamed El Bachiri, Terroropfer

    Er glaubt nicht, dass er die Trauer um seine Frau jemals überwinden kann. Aber er zieht Kraft aus seinen Kindern - und seiner Mission: "Ich, unsere Geschichte - das wird vergehen. Das Wesentliche für mich ist: Eine Botschaft der Liebe und des Friedens zu vermitteln. Denn das ist es, was bleiben wird."

    Prozessteilnahme in der Hoffnung auf Heilung

    Der Prozess läuft nicht reibungslos, immer wieder kommt es zu Verzögerungen. Die Angeklagten beschweren sich über ihre Transportbedingungen, es folgt ein juristisches Hin und Her. Das ganze Land ist genervt von der eigenen Justiz.
    Sabine geht dennoch weiter regelmäßig zum Prozess. Emotional nimmt sie das weniger mit, als befürchtet. "Ich habe ein bisschen das Gefühl, einen Film zu gucken", beschreibt sie es.
    Sie hofft, dass der Prozess trotz allem ein weiterer Schritt für ihre Heilung sein wird. Und dass das Urteil doch noch bis Ende des Jahres fällt.
    Isabelle Schaefers ist Korrespondentin im ZDF-Studio Brüssel.