Das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist nicht erreichbar. Die Furcht vor schwerwiegenden Folgen ist groß. Steht die Erde am Abgrund? Eine nüchterne Betrachtung.
Klimaforscher sind sich weitgehend einig: Die Erde heizt sich schneller auf als befürchtet. Dafür verantwortlich ist das menschliche Handeln. Jochem Marotzke ist Direktor am renommierten Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie und hat an Sachstandsberichten des Weltklimarates (IPCC) mitgearbeitet.
Seine Feststellung ist ernüchternd: "Die Welt befindet sich nicht auf dem richtigen Pfad. Die Treibhausgasemissionen steigen noch immer."
Klimakrise: Katastrophismus greift um sich
Die Angst vor der sogenannten Klimakrise nimmt gerade bei jungen Menschen zu. Ankleben, Abseilen und andere Protestaktionen - damit machen sie auf ihre schwindende Überlebenschance aufmerksam. Wissenschaftlich belegt ist, dass mit jedem zusätzlichen Zehntel Erderwärmung das wahrnehmbarere Risiko zunimmt.
Extremwettereignisse wie Hitzewellen, Überschwemmungen und Dürre können vermehrt auftreten. Dazu kommen Eisschmelze an den Polkappen und Meeresspiegelanstieg. All diese Phänomene lösen Furcht aus. Und sollten schließlich die Klima-Kipppunkte erreicht sein, gehe die Welt unter.
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Ingenieurskunst gegen Extremwettereignisse?
Unter Klima-Kipppunkten versteht man das Erreichen kritischer Grenzen, jenseits derer ein System sich abrupt verändert und unumkehrbar ist.
"Aber die Furcht, das gesamte globale Klima könnte dadurch aus den Fugen geraten, ist unbegründet. Die globale Oberflächenerwärmung wird durch die diskutierten Kipppunkte nur mäßig verstärkt", so Marotzkes Einordnung. Er verweist vielmehr darauf, dass sich die Gesellschaft auf die Extremwettereignisse einstellen muss. Die Ingenieurskunst sei jetzt gefordert.
Der Ukraine-Krieg, die Klimakrise - die deutsche Gesellschaft erlebt Kontrollverlust und Unsicherheit. Was lässt sich der Angst entgegensetzen?
Um die Folgen des Klimawandels abzufedern, müssen Energieversorgung, Wirtschaftsweise sowie gebaute Umwelt angepasst werden.
Das bedeutet:
- von fossilen hin zu erneuerbaren Energien
- von Ressourcenverbrauch zur Kreislaufwirtschaft
- vom Verkehrsaufkommen zur Stadt der kurzen Wege
- von funktionaler zur angepassten Infrastruktur
Messari-Becker: Infrastruktur anpassen
Bauingenieurin Lamia Messari-Becker ergänzt die Betrachtung von Klimaforscher Marotzke. Für Messari-Becker sind Klimaschutz und Anpassung kein "entweder oder", sondern "sowohl als auch". Besonders im Bauwesen müsse mehr getan werden:
"Dazu gehören: leistungsfähigere Infrastruktur, hitze- und wassersensible Stadt- und Raumplanung, Flächenmanagement, mehr Grün und Wasser im öffentlichen Raum und digitale sowie analoge Warnsysteme", meint Messari-Becker.
Im aktuellen Politbarometer zeichnet sich eine klare Unzufriedenheit mit der Klimapolitik der Bundesregierung ab. Fast die Hälfte der Befragten findet, es wird zu wenig für das Klima getan.
Mit Blick auf die Zukunftsangst der jungen Menschen fordert sie von der Politik: "Die Klimaanpassungsstrategie der Bundesregierung muss deutlich langfristiger und ausgeweitet werden. Sonst wird sie der Aufgabe Menschenschutz und Schadensminimierung im Katastrophenfall nicht gerecht".
Zudem sei eine bundesweite Infrastruktur-Offensive nötig, die Anpassung mitdenkt.
In die Praxis umgesetzt heißt das:- Anpassung des Straßennetzes
- Rückhaltebecken bei Starkregen
- Deichbau
Nüchternes Fazit
Jochem Marotzke vergleicht den Klimawandel mit einem Marathonlauf. Zum inflationär verwendeten Begriff "Klimakrise" sagt er: "Natürlich wird durch den Gebrauch des Worts Krise die Dringlichkeit des Handels unterstrichen. Aber ich fürchte auch, dass das Wort Krise die Illusion hervorruft, das Problem sei durch kurzfristige Entschlossenheit ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen."
Dabei sei klar: "Der Klimawandel wird die Menschheit bis zum Ende dieses Jahrhunderts und darüber hinaus herausfordern."
Christine Elsner ist Redakteurin der ZDF-Umweltredaktion.
- 75 Prozent: "Die Zukunft ist beängstigend"
Zukunftsangst und verminderter Kinderwunsch: Junge Menschen sorgen sich über die Klimakrise - mit psychischen Folgen. Das zeigt eine internationale wissenschaftliche Studie.