Klimawandel: Mehr als 1,5 Grad - die Angst vorm Untergang
Klimawandel:Mehr als 1,5 Grad: Die Angst vorm Untergang
von Christine Elsner
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Das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist nicht erreichbar. Die Furcht vor schwerwiegenden Folgen ist groß. Steht die Erde am Abgrund? Eine nüchterne Betrachtung.
Vor allem junge Menschen haben Angst vor den Auswirkungen der Klimakrise.
Quelle: pa/dpa
Klimaforscher sind sich weitgehend einig: Die Erde heizt sich schneller auf als befürchtet. Dafür verantwortlich ist das menschliche Handeln. Jochem Marotzke ist Direktor am renommierten Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie und hat an Sachstandsberichten des Weltklimarates (IPCC) mitgearbeitet.
Seine Feststellung ist ernüchternd: "Die Welt befindet sich nicht auf dem richtigen Pfad. Die Treibhausgasemissionen steigen noch immer."
Klimakrise: Katastrophismus greift um sich
Die Angst vor der sogenannten Klimakrise nimmt gerade bei jungen Menschen zu. Ankleben, Abseilen und andere Protestaktionen - damit machen sie auf ihre schwindende Überlebenschance aufmerksam. Wissenschaftlich belegt ist, dass mit jedem zusätzlichen Zehntel Erderwärmung das wahrnehmbarere Risiko zunimmt.
Extremwettereignisse wie Hitzewellen, Überschwemmungen und Dürre können vermehrt auftreten. Dazu kommen Eisschmelze an den Polkappen und Meeresspiegelanstieg. All diese Phänomene lösen Furcht aus. Und sollten schließlich die Klima-Kipppunkte erreicht sein, gehe die Welt unter.
03.08.2020 | 1:12 min
Kipppunkte sind erdsystemische Ereignisse von globaler Auswirkung, die nach menschlichem Ermessen nicht rückgängig gemacht werden können und den Klimawandel deutlich vorantreiben. Gefährliche Kipppunkte sind:
das Auftauen der Permafrostböden in den nördlichen Breiten (Sibirien, Alaska, Kanada)
das Abschmelzen der Landeismassen auf Grönland
das Abholzen der Regenwälder Amazoniens
die Veränderung des Golfstroms
die Sättigung der Ozeane mit CO₂
11.10.2021 | 1:25 min
In den dauerhaft gefrorenen Böden, den Permafrostböden, sind große Mengen organisches Material, also abgestorbene Pflanzen, enthalten. Tauen die Böden aufgrund der Erwärmung auf, verrottet das Pflanzenmaterial durch den Einfluss des Luftsauerstoffs, das Treibhausgas Methan wird freigesetzt. Methan hat ein rund 20-fach stärkeres Klimaerwärmungspotenzial als CO₂, hält sich aber mit rund zehn Jahren vergleichsweise kurz in der Atmosphäre.
Dennoch: Wenn eine genügend große Menge Methan nahezu zeitgleich frei wird, könnte sich die Erderwärmung drastisch beschleunigen. Tauende Permafrostböden werden bereits seit vielen Jahren beobachtet, die Methanmengen sind aber noch zu gering, um den Klimawandel merklich zu beeinflussen.
09.11.2023 | 0:46 min
Ein internationales Team der University Leeds hat die Daten von 17 Satelliten-Missionen und 50 Messkampagnen ausgewertet. Das Ergebnis dieser neuen Eisbilanz zeigt (Stand 2023), wie viel die Eisschilde Grönlands und der Antarktis seit 1992 verloren haben.
Im Detail:
Sowohl Grönland als auch die Antarktis verlieren so viel Eis wie noch nie seit Beginn der Messungen. In beiden Regionen beschleunigt sich das Abtauen rapide.
Grönlands Eismasse hat seit 1992 um 4,8 Billionen Tonnen abgenommen. Im Schnitt lag die Abtaurate bei 169 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr. Im Rekordjahr 2019 waren es dagegen 444 Milliarden Tonnen.
Die Antarktis hat zwischen 1992 und 2020 gut 2,6 Billionen Tonnen Eis verloren. Weil die sehr kalten und hoch gelegenen zentralen und östlichen Teile der Antarktis bisher noch relativ stabil sind, tragen vor allem die rapide schrumpfenden Küstengletscher der Westantarktis zum Abtauen sei.
Seit 1992 haben Grönland und die Antarktis den Meeresspiegel um 21 Millimeter erhöht. Knapp zwei Drittel des Schmelzwassers stammten dabei aus Grönland, wie die Auswertungen ergaben. Die Eisschmelze in Grönland und der Antarktis ist damit inzwischen für 25,6 Prozent des Pegelanstiegs verantwortlich.
18.08.2021 | 4:57 min
Der Amazonas-Regenwald nimmt gewaltige Mengen Wasser auf und verdunstet es wieder. In der Atmosphäre bilden sich regelrechte Feuchtigkeitsflüsse, die auch die Niederschläge in Europa beeinflussen.
Intakte Wälder sind CO₂-Senken. Die Bäume nehmen CO₂ aus der Atmosphäre auf, per Photosynthese wird es in Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O) gespalten. Der Kohlenstoff dient dem Holzwachstum, der Sauerstoff wird frei. Derzeit sind bereits rund 17 Prozent der Amazonas-Regenwaldflächen abgeholzt. Sind etwa 25 Prozent erreicht, dann stirbt der Regenwald auch ohne Rodung langsam ab, weil die Feuchtigkeit fehlt. Eine wichtige CO₂-Senke wäre verloren.
02.03.2021 | 6:17 min
Der Golfstrom transportiert warmes Oberflächenwasser aus den Subtropen bis in die Arktis. Gleichzeitig strömt kaltes Tiefenwasser von Norden nach Süden. Insgesamt sorgt diese Golfstromzirkulation in West- und Nordeuropa für ein mildes Klima.
Die Klimaerwärmung lässt nun arktische Eismassen schmelzen, das Süßwasser verändert den Salzgehalt im Meerwasser, die Dichte nimmt ab, das Wasser wird leichter und sinkt demzufolge weniger tief ab. Dadurch - so meinen Wissenschaftler - verlangsame sich die Zirkulation des Golfstroms. Geht dieser Prozess weiter, würde die Durchschnittstemperatur in Nord- und Westeuropa deutlich sinken, Niederschläge würden zunehmen und das maritime Ökosystem würde sich mit nicht absehbaren Folgen verändern.
Ozeane speichern bisher rund ein Drittel der menschengemachten CO₂-Emissionen. Doch irgendwann ist auch dieser gigantische Speicher voll. Ist das der Fall, würde das CO₂ in der Atmosphäre bleiben und den Klimawandel beschleunigen. Also bremsen die Meere den Klimawandel derzeit noch.
Aber: CO₂ wird im Meerwasser gelöst, es entsteht Kohlensäure, das Wasser versauert. Ein hoher Säuregehalt schädigt die Kalkskelette der Korallen. Auch Muscheln und Krebse könnten keine stabilen Gehäuse mehr bilden. Hinzu kommt die Erwärmung der Weltmeere. Das Ökosystem rund um Korallenriffe ist ernsthaft gefährdet. Das sogenannte Korallensterben wurde bereits an mehreren Hotspots der Weltmeere nachgewiesen.
Treten die Kipppunkte ein, besteht nach Meinung der Klimaforscher die Gefahr, dass abrupte, drastische Klimaänderungen die Anpassungsmöglichkeiten der menschlichen Gesellschaft übersteigen. Folge könnten weitreichende Verwüstungen sein, eine Ernährungskrise oder eine ernsthafte Gefährdung der Trinkwasserversorgung. Teile der Erde würden unbewohnbar, Flüchtlingsbewegungen gigantischen Ausmaßes kämen in Gang.
Einen exakten Grenzwert, ab welchem globalen Temperaturniveau Kipppunkte überschritten werden, können Klimawissenschaftler nicht angeben. Daher werden statistische Temperaturkorridore festgelegt, in dem das Risiko für das Erdsystem wächst.
von Christine Elsner, ZDF-Umweltredaktion
Ingenieurskunst gegen Extremwettereignisse?
Unter Klima-Kipppunkten versteht man das Erreichen kritischer Grenzen, jenseits derer ein System sich abrupt verändert und unumkehrbar ist.
"Aber die Furcht, das gesamte globale Klima könnte dadurch aus den Fugen geraten, ist unbegründet. Die globale Oberflächenerwärmung wird durch die diskutierten Kipppunkte nur mäßig verstärkt", so Marotzkes Einordnung. Er verweist vielmehr darauf, dass sich die Gesellschaft auf die Extremwettereignisse einstellen muss. Die Ingenieurskunst sei jetzt gefordert.
Um die Folgen des Klimawandels abzufedern, müssen Energieversorgung, Wirtschaftsweise sowie gebaute Umwelt angepasst werden.
Bauingenieurin Lamia Messari-Becker ergänzt die Betrachtung von Klimaforscher Marotzke. Für Messari-Becker sind Klimaschutz und Anpassung kein "entweder oder", sondern "sowohl als auch". Besonders im Bauwesen müsse mehr getan werden:
"Dazu gehören: leistungsfähigere Infrastruktur, hitze- und wassersensible Stadt- und Raumplanung, Flächenmanagement, mehr Grün und Wasser im öffentlichen Raum und digitale sowie analoge Warnsysteme", meint Messari-Becker.
Im aktuellen Politbarometer zeichnet sich eine klare Unzufriedenheit mit der Klimapolitik der Bundesregierung ab. Fast die Hälfte der Befragten findet, es wird zu wenig für das Klima getan.03.03.2023 | 1:59 min
Mit Blick auf die Zukunftsangst der jungen Menschen fordert sie von der Politik: "Die Klimaanpassungsstrategie der Bundesregierung muss deutlich langfristiger und ausgeweitet werden. Sonst wird sie der Aufgabe Menschenschutz und Schadensminimierung im Katastrophenfall nicht gerecht".
Zudem sei eine bundesweite Infrastruktur-Offensive nötig, die Anpassung mitdenkt. In die Praxis umgesetzt heißt das:
Anpassung des Straßennetzes
Rückhaltebecken bei Starkregen
Deichbau
Nüchternes Fazit
Jochem Marotzke vergleicht den Klimawandel mit einem Marathonlauf. Zum inflationär verwendeten Begriff "Klimakrise" sagt er: "Natürlich wird durch den Gebrauch des Worts Krise die Dringlichkeit des Handels unterstrichen. Aber ich fürchte auch, dass das Wort Krise die Illusion hervorruft, das Problem sei durch kurzfristige Entschlossenheit ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen."
Dabei sei klar: "Der Klimawandel wird die Menschheit bis zum Ende dieses Jahrhunderts und darüber hinaus herausfordern."
Christine Elsner ist Redakteurin der ZDF-Umweltredaktion.