Urteil erwartet: Schmerz nach MH17-Absturz "geht nie weg"

    Urteil im Prozess erwartet:Schmerz nach MH17-Absturz: "Er geht nie weg"

    SGS mit Gunnar Krüger am 28.06.2022
    von Gunnar Krüger
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    Die Angehörige Silene Fredriksz hofft, dass es im Prozess gegen die vier Angeklagten zu einer Verurteilung kommt. Bei dem Absturz der MH17 vor acht Jahren starben 298 Menschen.

    Drei Tage nach dem Abschuss steht Silene Fredriksz auf dem Flughafen von Amsterdam. Journalisten kommen auf sie zu. "Erst dachte ich: Nee, geht bloß weg!" Doch dann lässt sie alles raus, den Schmerz, den Verlust:

    Ich will sie wieder haben, ich will meine Kinder wieder haben.

    Silene Fredriksz

    Silene Fredriksz
    Silene Fredriksz hat durch den Absturz ihren Sohn und dessen Freundin verloren.
    Quelle: ZDF

    Sie streckt ein Foto in die Kameras. Ihr Sohn Bryce und seine Freundin Daisy. Das Bild geht um die Welt. Ihr Sohn und seine Freundin werden die Gesichter von MH17. Acht Jahre und vier Monate danach lebt Silene noch immer in ihrem Reihenhaus in Rotterdam. Die Wand im Wohnzimmer ist voller Fotos und Andenken. "Wenn ich zu lang hinschaue, werde ich traurig. Aber ich möchte sie immer bei mir haben."
    Opfer des Flugs MH17
    Bryce Fredriksz und seine Freundin Daisy Oehlers waren an Bord der MH17.
    Quelle: AP

    Urteil im MH17-Prozess erwartet

    Heute fährt sie zum Gericht nach Amsterdam. "Wir alle hoffen, dass es zu einer Verurteilung kommt. Aber ich traue mich eigentlich nicht zu hoffen, ich will nicht enttäuscht werden." Nach 68 Verhandlungstagen fällt heute ein Urteil. In einem schlichten Betonklotz, gleich neben dem Flughafen, wo alles begann.
    Am 17. Juli 2014, um 12:31 Uhr hebt in Amsterdam-Schiphol eine Boeing 777 der Malaysia Airways ab. Ihr Ziel ist Kuala Lumpur. Doch nach zwei Stunden und 49 Minuten fallen Flugzeug-Trümmer auf Getreide-Felder im Osten der Ukraine. 298 Menschen sterben.
    Ein Denkmal erinnert an die MH17-Opfer in der Ukraine.
    Am Absturzort erinnert ein Denkmal an die MH17-Opfer in der Ukraine.
    Quelle: epa

    Absturz über dem Osten der Ukraine

    Schon damals herrscht im Donbass Krieg. Separatisten kämpfen gegen die ukrainische Armee. Doch damals wollen nicht alle sehen: Dahinter steht Russland. Piet Ploeg, Sprecher der niederländischen Angehörigen, meint:

    Die Opfer von Flug MH17 waren die ersten nicht-ukrainischen Opfer in einem Krieg, der schon vor acht Jahren begann.

    Piet Ploeg

    Der Abschuss zwang die Niederländer früh zu Einsichten, die andere erst jetzt machen.

    Russland bei der Aufklärung nicht kooperativ

    War es ein Versehen? Oder Absicht? Das Gericht kann keine Antwort geben, weil Russland nicht kooperiert. Ein internationales Ermittler-Team aber könnte nachweisen, dass ein Luftabwehrsystem vom Typ Buk 1 aus einer russischen Kaserne bis direkt unter die Flugroute fuhr - und mit einer Rakete weniger zurückkehrte.
    Schon damals ist die Welt voller Smartphones, das Netz voller Fotos. Es ist Open Source Intelligence (OSINT), also offene Quellen, die erst Medien, dann die Ermittler nutzen. MH17 stehe darum für digitale Forensik, meint Prozessbeobachterin Marieke de Hoon. Je nachdem wie die Richter die Belege von Internet-Nutzern würdigen, werde das Urteil helfen, Standards für ihre Glaubwürdigkeit zu setzen.

    Prozess Blaupause für Justiz im Ukraine-Krieg?

    MH17 weise insofern auch den Weg für die künftige Ahndung von Kriegsverbrechen. Und es stärke die Position der Ukraine: "Wenn das Gericht die vier Verdächtigen für schuldig hält, dann sagt es damit, dass Russland schon damals Separatisten half," so die Professorin an der Uni Amsterdam.
    Das Recht als Schlachtfeld. Oleksander Bannyk wirkt mitten in Amsterdam wie ein Soldat. Auch er reist zum Urteil an. Er leitet die Gruppe ukrainischer Staatsanwälte, die vor Ort Zeugen suchte, Handybilder überprüfte.
    "Was in Butscha, Cherson und anderen besetzten Gebieten passierte, muss vor internationale Gerichte. Nur sie können über die Schuld des Aggressors, der russischen Führung, entscheiden." Ein Prozess vor einem nationalen Gericht – wie jetzt in den Niederlanden - zeige aber, wie die Ukraine einzelne Täter vor Gericht bringen könne.

    Angehörige spielen im MH17-Prozess zentrale Rolle

    Ein Prozess nach niederländischem Vorbild hätte einen Vorteil. Er gibt Angehörigen das Recht, gehört zu werden, auch Silene Frederiksz. Als sie im September letzten Jahres auftritt, stellt sie eine Urne auf den Tisch. "Ich konnte nicht anders als die Asche der Kinder mitzubringen," sagt sie zum Richter. "So sind sie doch dabei."
    Sie habe den Verlust und den Schmerz rüberbringen wollen. "Er wird eigentlich immer schlimmer. Er geht nie weg. Unser ganzes Leben ist zerstört."

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