Transgender-Themen: "New York Times" in der Kritik

    Berichterstattung:Transgender-Thema: Kritik an "New York Times"

    von Katrin Henn
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    Voreingenommene Berichterstattung über Transgender-Themen: So lautet der Vorwurf gegen die renommierte "New York Times" - auch von eigenen Mitarbeitenden. Die Zeitung wehrt sich.

    The New York Times Gebäude in Manahttan
    Die New York Times in Manhattan: Die Zeitung sieht sich schweren Vorwürfen wegen ihrer Transgender-Berichterstattung gegenüber.
    Quelle: reuters

    Beim Flagschiff des amerikanischen Journalismus, der "New York Times", knirscht es gerade gewaltig. Es geht dieser Tage um nicht weniger als die Frage, wie objektiv und unabhängig die renommierte US-Zeitung berichtet. Angestellte und freie Mitarbeitende der "New York Times" sowie zahlreiche Gruppen und Prominente, die sich für LGBTQ+-Rechte einsetzen, kritisieren, dass die Zeitung in ihrer Berichterstattung über Transgender-Themen voreingenommen sei.
    Zu den Unterzeichner*innen zählen die Feministin und Autorin Roxanne Gay, die Wistleblowerin und Transgender-Aktivistin Chelsea Manning und die Schauspielerin und Politikerin Cynthia Nixon.

    Offener Brief von Mitarbeitenden an "New York Times"

    In zwei offenen Briefen, die am gleichen Tag veröffentlicht wurden - einer von Mitarbeiter*innen, der andere von der NGO "Gay and Lesbian Alliance Against Defamation" (GLAAD) - wird den Blattmacher*innen vorgeworfen, sie hätten in den vergangenen Jahren Gender-Diversität mit Pseudowissenschaft und einer meinungsmachenden Ausdrucksweise behandelt. Quellen für Behauptungen hätten oft gefehlt.
    Florida streitet über LGBTQ: So verbietet ein Gesetz den Lehrern, mit Schülern über geschlechtliche Orientierung zu sprechen.
    Als Beispiel wird der Artikel "The Battle Over Gender Therapy" von Emily Bazelon genannt. Bazelon bezeichnet in seinem Artikel ein Kind, das eine Therapie zur Geschlechtsangleichung sucht, als "Patient Zero". Dieser Ausdruck vermittle, dass Transgender eine Krankheit sei, so die Kritiker. Darüber hinaus habe Bazelon die genannten Quellen missinterpretiert. Mehrere Artikel zum Thema würden zudem Gesetze, die Geschlechtsangleichungen für Kinder verbieten, unterstützen.

    Auch Kritik an Berichterstattung während HIV-Krise

    Bereits in der Vergangenheit habe die New York Times nicht getreu ihrer Richtlinie über LGBTQ+-Themen berichtet, zum Beispiel während der HIV-Krise in den frühen 1980er-Jahren. So sehen es die Briefeschreiber:innen. Einige Mitarbeitende der New York Times hätten zudem das Gefühl, dass ihre Arbeit zwar gut genug für die Zeitung sei, jedoch nicht ihre non-binäre oder Transgender-Identität selbst, schreiben sie in dem Brief an Philip B. Corbett, der zuständig für Qualitätsstandards bei der New York Times ist.  
    Die GLAAD fordert drei Maßnahmen: Die New York Times solle keine weiteren transfeindlichen und voreingenommenen Artikel mehr drucken. Sie solle ein Treffen mit Betroffenen organisieren und diesen zuhören. Außerdem soll die Zeitung mehr Transpersonen einstellen.

    Immer mehr Medienschaffende schließen sich Kritik an

    Mit der Kritik sind sie nicht die Ersten. Bereits im Januar hatte Tom Scocca in einem Artikel auf Popula erklärt, die "New York Times" habe sich mit rund 15.000 Wörtern der Frontpage-Stories in den vergangenen acht Monaten der Frage gewidmet habe, ob die Behandlung von jungen Transmenschen zu weit gehe oder nicht.
    Einen Tag nach der Veröffentlichung der Briefe erscheint in der "New York Times" ein Meinungsstück, in dem "Harry Potter"-Autorin J.K. Rowling und ihre - laut Kritiker*innen - transfeindliche Position verteidigt wird. Das wiederum sehen viele Kritiker*innen als Bestätigung. In der Folge schließen sich immer mehr Medienschaffende den offenen Briefen an.

    "New York Times" wehrt sich gegen die Vorwürfe

    Die Zeitung weist alle Anschuldigungen zurück. Kommunikationschef Charlie Stadtlander erklärte, man begrüße das Feedback, und betonte, dass sich die Missionen der GLAAD und der "New York Times" unterscheiden würden. Die Zeitung strebe danach, unabhängig über das Thema zu berichten und die Debatte in der Gesellschaft zu reflektieren.
    Paulo Batistas großer Traum ist es, Soldat zu werden. Doch Transmenschen wie ihm bleibt bislang der Dienst verwehrt:
    Chefredakteur Joe Kahn und die Ressortleiterin für Meinungsartikel, Kathleen Kingsbury, verschickten eine Nachricht an die Angestellten, dass sie die Teilnahme der Mitarbeiter*innen am Protest von Aktivist*innen nicht tolerieren würden. Das gelte auch und besonders für Angriffe auf Kolleg*innen in sozialen Netzwerken und anderen öffentlichen Foren. Das wiederum ruft die NewsGuild, die Journalisten-Gewerkschaft, auf den Plan, die davon spricht, dass die Mitarbeiter*innen das Recht hätten, ihre Meinung zu äußern, wenn es um ihr Arbeitsumfeld geht.
    Und so entwickelt sich die Debatte um eine angemessene Berichterstattung über Transgender-Themen mehr und mehr auch zu einer Diskussion um journalistische Unabhängigkeit und den Einfluss von Aktivist*innen auf die Berichterstattung. Ein Konflikt, der weit über die Querelen bei der "New York Times" selbst hinausreicht. 
    Katrin Henn arbeitet im ZDF-Studio New York.
    Wie viele Geschlechter es gibt, erklärt ein Experte hier: