Gewaltwelle in Schweden: Bandenkriminalität statt Bullerbü

    Gewaltwelle in Schweden:Bandenkriminalität statt Bullerbü

    Sohad Khaldi, Redakteurin des ZDF-Landesstudios Schleswig-Holstein.
    von Sohad Khaldi
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    Schüsse, brennende Autos, Explosionen: Eine Gewaltwelle hält Schweden in Atem. Doch das Land hat schon seit Jahren ein Problem mit kriminellen Banden. Wie konnte es dazu kommen?

    Schweden, Solna: Medizinisches Personal steht an der Stelle, an der ein Mann erschossen aufgefunden wurde.
    Rettungskräfte in Solna, nachdem ein Mann erschossen wurde.
    Quelle: Christine Olsson/TT News Agency/AP/dpa

    Wenn Deutsche nach Schweden blicken, tun sie dies oft mit viel Idealismus: sei es bei der Digitalisierung, der Bildung - oder dem allgemeinen Bullerbü-Image des skandinavischen Landes. Doch in letzter Zeit bestimmt wieder die zunehmende Gewalt die Schlagzeilen in dem skandinavischen Land.
    Das Problem ist nicht neu. Das gilt vor allem für große Städte wie Stockholm, Malmö, Göteborg und ihre Vororte, aber auch darüber hinaus.
    Omar Chehade aka Gomorra, der über seine kriminelle Vergangenheit rappt, mit Pistole in der Hand vor Garagentor und Motorroller im Hintergrund
    Bandenkriminalität in Schweden ist kein neues Phänomen. Derzeit spitzt sich die Lage jedoch besonders zu.07.02.2023 | 11:49 min
    Vor allem im Stockholmer Raum kam es zuletzt immer wieder zu Gewaltverbrechen und Bandenkriminalität. Immer wieder werden Unschuldige zu Opfern. Die Hintergründe werden unter anderem in einem Konflikt um den Drogenmarkt in Sundsvall vermutet, eine Stadt knapp 400 Kilometer nördlich von Stockholm. Dem schwedischen Rundfunksender SVT und der Zeitung "Aftonbladet" zufolge hat dort ein 24-Jähriger mit einem kriminellen Netzwerk das Sagen. Medien nennen ihn den "Griechen".

    Konflikt um den Drogenmarkt  

    Sein Herausforderer: Ein 36 Jahre alter Mann, gegen den ein internationaler Haftbefehl vorliegt. Er ist als "kurdischer Fuchs" bekannt und gilt als einer der führenden Akteure auf dem Drogenmarkt Schwedens. Mehrere der Taten sollen sich demnach gegen Angehörige der beiden Hauptakteure in diesem Konflikt richten.
    Der Leiter der örtlichen Polizei sagte gegenüber dem "Aftonbladet":

    Die Gleichgültigkeit, die diese Netze an den Tag legen, und das Risiko, dass eine dritte Person zu Schaden kommt, nehmen zu, je schwerer die Gewaltverbrechen sind.

    Josef Wiklund, Leiter der örtlichen Polizei in Sundsvall

    Eine weitere Polizeisprecherin in Sundsvall nannte die Situation "sehr angespannt". Die momentane Spirale der Gewalt sei nicht die Norm.
    Sicher bekannt ist: Die meisten der Täter sind noch jung, zwischen 20 und 29, wie die Statistik der schwedischen Sicherheitsbehörden zeigen. Die Opfer sind mit überwältigender Mehrheit Männer (2021: 96 Prozent). Vor allem in Malmö und Stockholm greift die Bandenkriminalität in Wohnvierteln mit hohem Migranten-Anteil um sich. Woran liegt das?

    • In ganz Westeuropa gingen die Mordraten seit den 1990er-Jahren zurück. Nicht in Schweden. Das Land hat die höchste Rate in Europa.
    • Im Schnitt wurde 2022 jede Woche mindestens eine Person erschossen. Laut einer Polizeistatistik kam es im vergangnen Jahr zu 388 Schusswaffenvorfällen, 61 Menschen starben – so viele wie nie zuvor innerhalb eines Jahres. Über 100 wurden verletzt.
    • In den Nachbarländern Dänemark und Norwegen wurden in der gleichen Zeit je vier und in Finnland zwei Menschen getötet.

    Armut, Schulversagen und Arbeitslosigkeit

    Auch an sozio-ökonomischen Ursachen, betont der schwedische Beirat für Kriminalitätsverhütung. Viele der Akteure seien in Schweden geboren und aufgewachsen, oft schlecht integriert und in einem Teufelskreis aus Armut, Schulversagen und Arbeitslosigkeit gefangen. Sie sehen für sich keine Zukunft und schöpfen kaum Hoffnung.
    Schweden führte jahrzehntelang die wohl liberalste Einwanderungspolitik in Europa. Kritische Diskussionen wurden verweigert: Wer auf die Problematik hinwies, wurde geächtet und schnell in die rechte Ecke gestellt.
    Expert*innen kritisieren, man habe zu wenig Geld in Bildung und Soziales gesteckt und so dazu beigetragen, dass sich Ghettos und - oft muslimische - Parallelgesellschaften bilden.
    Der Einstieg in kriminelle Milieus gleicht so eher einer Sozialisierung als einer Rekrutierung. Hätte man ihnen Arbeit gegeben und sie Schwedisch gelehrt, hätten sie sich in die Gesellschaft integriert, kritisieren Sozialverbände.

    Polizei wird "Totalversagen" vorgeworfen

    Die Polizei scheint in der Angelegenheit die Kontrolle verloren zu haben: Seit 2015 ist die Aufklärungsquote bei tödlichen Attentaten abgesackt, 2022 führte lediglich jede vierte Tat zu einer Verurteilung.
    Die Polizei hat landesweit rund 60 "gefährdete Gebiete" definiert, in denen Rettungsdienste oft nur unter Polizeischutz arbeiten können, weil sie selbst im Noteinsatz angegriffen werden. Die Ermittlerin Caroline Asplund wirft der Polizei in der Bekämpfung der Banden "Totalversagen" vor.

    Regierung plant Abschiebungen und härtere Strafen

    Die Regierung will mehr tun - wie schon seit Jahren eigentlich. Der konservative Ministerpräsident Ulf Kristersson verurteilte die Gewalttaten der vergangenen Wochen.
    Nun legte er mit seinen Regierungsparteien und den rechtspopulistischen Schwedendemokraten einen Plan vor, der härtere Strafen für Bandenkriminelle vorsieht: Straftäter müssten eingesperrt und diejenigen ohne schwedische Staatsbürgerschaft ausgewiesen werden. Ein Druckmittel, mit dem sich die Regierungspartei die Unterstützung der rechten Schwedendemokraten sichern will.

    Kriminalitätsrate dennoch relativ niedrig

    Trotz der angespannten Lage ist Schwedens Kriminalitätsrate nach wie vor eine der niedrigsten der Welt. In anderen Bereichen, etwa Mord bei häuslicher Gewalt, Hasskriminalität und "spontane Schlägereien" mit Todesfolge, gehen die Zahlen zurück.
    Und dennoch: Das Land hat ein Problem. Schießereien und Sprengstoffangriffe in den Städten des Landes, sie sind mittlerweile Alltag geworden in Schweden. Von Bullerbü-Atmosphäre kann keine Rede mehr sein.
    Quelle: Mit Material von dpa

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