Millionen Menschen weltweit leben als Staatenlose ohne Schutz und Rechte. Zum Teil wird der Status sogar vererbt. Auch in Deutschland sind Zehntausende betroffen.
Rechte und Pflichten zwischen Staat und Bürger regelt die Staatsbürgerschaft. In der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" der Vereinten Nationen von 1948 heißt es: "Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Staatsangehörigkeit." Was aber, wenn es keine Zugehörigkeit gibt?
Ende des Jahres 2021 gab es weltweit rund 4,34 Millionen Personen ohne eine Staatsangehörigkeit. Laut Flüchtlingshilfswerk UNHCR dürfte die Dunkelziffer wesentlich höher sein, Schätzungen gehen von 15 Millionen aus. Durch die anhaltenden globalen Krisenherde wird die in den letzten Jahren schon wachsende Anzahl voraussichtlich noch weiter steigen.
Ohne Staatsangehörigkeit fehlen Grundrechte
Staatenlos sind Personen, die in keinem Land Staatsbürger sind. Das kann aus verschiedenen politischen oder bürokratischen Gründen geschehen, wie unter anderem durch:
- Zerfall, Grenzverschiebungen oder Neuentstehung eines Landes
- Von Eltern weitervererbte Staatenlosigkeit
- Aberkennung vom Herkunftsland (zum Beispiel aus politischen Gründen)
- fehlende Registrierung von Geburten
- Gesetze, nach denen Kinder nur die Staatsangehörigkeit ihres Vaters erwerben
- Verlust der Staatsangehörigkeit durch Heirat oder Scheidung
Ohne anerkannte Zugehörigkeit zu einem Staat fehlt den Menschen der Zugang zu bestimmten Grundrechten wie medizinischer Versorgung, Bildung, Arbeit, Wahlrecht und Schutz. Rechte, die für die restliche Bevölkerung selbstverständlich sind. Dadurch sind sie besonders von Diskriminierung, Gewalt, Armut, Ausbeutung und bürokratischer Willkür bedroht.
Mehr als 120.000 Staatenlose in Deutschland
In Deutschland lebten 2021 mehr als 120.000 Menschen als anerkannte Staatenlose oder mit einer ungeklärten Staatsangehörigkeit, davon sind laut Statistischem Bundesamt 34.705 in Deutschland geboren. Bei rund 28.000 Personen liegt eine von den Behörden anerkannte Staatenlosigkeit vor - was bedeutet, ihre Staatenlosigkeit konnte nachgewiesen werden -, ein automatisches Aufenthaltsrecht, ein automatisch erteilter Passersatz und andere Rechte beinhaltet diese Feststellung allerdings nicht.
Den größeren Anteil machen Menschen aus, deren Herkunft nicht hinreichend nachgewiesen werden konnte. Auch eine ungeklärte Staatsangehörigkeit bedeutet, sie sind in Deutschland lediglich geduldet.
Kein Recht auf Bildung und Sozialleistungen
Anders als im Asylrecht haben staatenlose Menschen kein Recht auf Arbeit, Bildung und Gesundheitsvorsorge, dürfen nicht wählen und sind von grundlegenden Sozialleistungen ausgeschlossen, haben kein automatisches Recht auf einen Reiseausweis. Sie leben quasi unsichtbar in Deutschland.
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Dauerzustand Duldung für Staatenlose
Ohne die explizite Feststellung der Staatenlosigkeit, die an die abschließende Klärung der Identität der Person geknüpft ist, gibt es keine Aufenthaltsgenehmigung, ohne die es beim Dauerzustand einer Duldung bleibt. Kinder, deren Eltern in ungeklärter Staatsangehörigkeit leben, übernehmen sie, denn auch wenn man in Deutschland geboren ist, wird eine Verbindung zu einem ihnen unbekannten Land nachgesagt und entsprechende Beweise gefordert. Für sie bleibt es damit ebenfalls fast unmöglich, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Immerhin ist die Einbürgerung für Kinder, die von Geburt an anerkannt staatenlos sind, theoretisch vereinfacht.
Große Probleme beim Nachweis der notwendigen Unterlagen zur Klärung der Identität ist die Bringschuld der Schutzsuchenden. Sie sind abhängig von der Mithilfe der Behörden des Herkunftslandes,
- aus dem sie geflüchtet sind
- das es nicht mehr gibt
- das sie nicht als Staatsangehörigen anerkennt
- das diese Personengruppe diskriminiert
- das ihnen die Staatsbürgerschaft entzogen hat
- in dem die Bürokratie lückenhaft ist oder
- in dem Geburten nicht registriert werden.
Die Schwierigkeit, an entsprechende Unterlagen zu kommen, führt zu Willkür und Misstrauen, dass etwas verheimlicht wird/werden soll. Der Mangel an Lösungsansätzen führt häufig zu langwierigen bürokratischen Verfahren.
Einbürgerungsreform folgenlos für Staatenlose
Auch die neue Einbürgerungsreform entlastet Staatenlose in Deutschland nicht: Keine der geplanten Erleichterungen vereinfacht die Möglichkeiten, nach Jahren in Deutschland eingebürgert zu werden. Die Anforderungen, eine Einbürgerung beantragen zu können, bleiben ohne rechtmäßigen Aufenthalt weiterhin unmöglich zu erfüllen, auch für in Deutschland geborene Kinder.
Die UNHCR schlug bereits 2014 den Regierungen zehn Maßnahmen in seinem "Globalen Aktionsplan zur Beendigung der Staatenlosigkeit" vor, die innerhalb von zehn Jahren die weltweite Staatenlosigkeit beenden sollte. Unter anderem gehört die Einführung eines einheitlichen Verfahrens mit einheitlichen Beweisstandards zum Nachweis der Staatenlosigkeit dazu; das Verhindern neuer Fälle von Staatenlosigkeit und die Verbesserung des Schutzes durch automatisches Aufenthaltsrecht bei Anerkennung der Staatenlosigkeit. Das könnte eng werden, bis 2024 bleibt nur noch wenig Zeit.
Interview- "Kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft"
Christiana Bukalo ist in München geboren, doch in ihren Ausweispapieren steht unter Staatsangehörigkeit: XXA. Einblicke in das herausfordernde Leben als staatenloser Mensch.
von Michael Kniess