Hilfe für Trauernde: Trauerhilfe auf Augenhöhe

    Hilfe für Trauernde:Wie funktioniert gute Trauerarbeit?

    von Stella Könemann  
    |

    Trauernde Menschen haben oft Probleme, Gesprächspartner zu finden, die sie wirklich verstehen können. Ein Trauerzentrum in Dänemark setzt genau da an.

     Ein Mann und eine Frau stehen an Allerheiligen auf dem Friedhof an einem Grab.
    Trauernde auf dem Friedhof (Archiv): Jede Trauer ist individuell.
    Quelle: dpa

    In einem historischen Altbau inmitten der dänischen Hauptstadt Kopenhagen befindet sich das Nationale Sorgcenter - eine Anlaufstelle für Trauernde und zugleich ein landesweites Trauer-Kompetenzzentrum. Seit zwanzig Jahren forschen und beraten hier Psychotherapeut*innen zum Thema Trauer. Der Gründer Preben Engelbrekt ist selbst Psychotherapeut und engagiert sich für eine umfassende, spezialisierte Unterstützung von Menschen mit natürlichen und komplizierten Trauerreaktionen.
    Sieben Freiwillige, die meisten von ihnen zwischen 20 und 35 Jahre alt, haben sich an einem Mittwochabend in einem Raum des dänischen Trauerzentrums in Kopenhagen eingefunden. Sie gehören zu rund 90 Ehrenamtlichen für die gemeinnützige Organisation engagieren. Viele von ihnen sind Studierende, andere bereits berufstätig.

    Freiwillige machen die Trauerarbeit

    Jeden Abend treffen sich einige von ihnen, um bei der "Trauerhotline" Anrufe entgegenzunehmen. Die Trauerhotline ist ein Angebot für Hinterbliebene aus ganz Dänemark. Über eine kostenlose Telefonnummer erreichen sie die Ehrenamtlichen in Kopenhagen. Die schenken den Anrufer*innen vor allem Aufmerksamkeit und ein Verständnis für jedes Gefühl, das Trauernde nun mal beschäftigt.
    Die Supervision durch einen geschulten Mitarbeiter sowie regelmäßige Feedbackgespräche stellen sicher, dass die Freiwilligen der emotional anspruchsvollen Aufgabe gewachsen sind und sie diese nicht belastet.

    "plan b: Leben mit dem Ende - Vom anderen Umgang mit der Trauer": Ein Holzsarg ist mit bunten Handabdrücken verziert. Davor brennt eine Kerze.
    Quelle: ZDF/Stella Könemann

    Die plan-b-Doku "plan b: "Leben mit dem Ende" sehen Sie heute, (09.04.2022) um 17:35 Uhr im ZDF. Oder jederzeit in der ZDF Mediathek.

    Nur wer Trauer kennt, kann Trauernde wirklich verstehen

    Die Freiwilligen haben eines gemeinsam – sie alle haben jemanden verloren und wissen, wie facettenreich Trauer sein kann. Eine von ihnen ist Oline Hijji. Nachdem ihr Vater vor wenigen Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung verstarb, fand sie Unterstützung beim nationalen Trauerzentrum. Inzwischen verbringt sie einen Großteil ihrer Freizeit damit, anderen zuzuhören und ihnen Trost zu spenden.
    Oline Hijji weiß aus eigener Erfahrung, dass ein Trauerfall das eigene soziale Umfeld überfordern kann. Häufig sind Angehörige im Umgang mit Trauernden überfordert, weil sich ihnen Berührungsängste und Hilflosigkeit in den Weg stellen und sie Menschen in Trauer nicht helfen können.
    Oline Hijji möchte das ändern. "Wir haben einen Raum geschaffen, in dem die Anrufer sagen können, was immer sie möchten. Auch die, die sich schämen, oder die sauer sind auf den Verstorbenen. Es gibt so viele Gefühle und Gedanken, die zur Trauer gehören," so die 33-Jährige.

    Der Psychotherapeut weiß: Jede Trauer ist Individuell

    Der Psychotherapeut Preben Engelbrekt erfuhr während seiner Therapeutenausbildung, wie vernichtend schwere Trauerreaktionen sein können. Er hat in seiner beruflichen Laufbahn verschiedenste Trauerreaktionen erlebt: "Jeder hat seinen eigenen Umgang mit Trauer. Sie ist so individuell – für die meisten Menschen ist die Trauer ein natürlicher Teil des Lebens. Umso wichtiger ist es, den restlichen 20 Prozent zu helfen, die eine komplizierte Trauerreaktion haben," so der 55-Jährige.
    Engelbrekt entwickelt, gemeinsam mit weiteren Psychotherapeut*innen, die psychotherapeutische Betreuung von Menschen mit komplizierten Trauerreaktionen am Trauerzentrum fortwährend weiter. Dabei ist es dem Gründer ein wichtiges Anliegen, dass sein Angebot kostenlos bleibt. Finanziert wird es durch Spenden und finanzielle Zuwendungen durch den dänischen Staat.
    Von individueller Trauer zu einer neuen Trauerkultur
    Neben der niedrigschwelligen Beratung bei der Trauerhotline und ihrem psychotherapeutischen Angebot, setzen sich die rund 45 Mitarbeitenden des Sorgcenters auch dafür an, Trauer fest in der Gesellschaft zu verankern.
    Aktuell plant die Organisation, gemeinsam mit dem europäischen Verband Bereavement Network Europe eine internationale Trauerkonferenz, die im September dieses Jahres in Dänemark abgehalten werden soll. "Wir rechnen damit, dass ab 2022 oder 2023 die Diagnose der anhaltende Trauerstörung der WHO in ganz Europa gelten wird.
    Da wir viele Erfahrungen mit komplizierten Trauerreaktionen haben, möchten wir das Wissen mit anderen Ländern teilen, uns austauschen und lernen, wie wir auf einem hohen Niveau zusammenarbeiten können, um diese Diagnose zu implementieren. Dabei ist es wichtig, europäisch zu denken, da es viele kulturelle Unterschiede in Bezug auf Trauer gibt," erklärt Preben Engelbrekt.

    • 2019 hat die Weltgesundheitsorganisation die sogenannte „anhaltende Trauerstörung“, also eine pathologische Trauerreaktion, in den internationalen Katalog klassifizierter Krankheiten (ICD) aufgenommen.
    • Mit dieser Entscheidung ist eine anhaltende Trauerreaktion eine offiziell anerkannte Krankheit mit Anspruch auf Hilfeleistung.
    • Zu den Kriterien für die Diagnose zählen laut WHO: Ein starkes Verlangen nach sowie eine anhaltende Beschäftigung mit dem Verstorbenen, verbunden mit Funktionseinschränkung im Alltag und starkem emotionalen Schmerz über einen Zeitraum von mindestens einem halben Jahr