Kulturhauptstadt Ungarn: Was Orbán gefällt und was nicht

    Kulturhauptstadt in Ungarn:Was Viktor Orbán schön findet - und was nicht

    von Wolf-Christian Ulrich
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    Veszprém in Ungarn ist jetzt Kulturhauptstadt. Doch wie viel Kulturfreiheit will die Regierung Orbáns wirklich zulassen?

    Ausgerechnet im ungarischen Veszprém sollen Besucher aus ganz Europa eine Hauptstadt kulturellen Lebens besichtigen: Dabei versucht die Fidesz-Regierung seit einigen Jahren, neben der Justiz, der Presse und der Wirtschaft auch die Kultur auf den national-religiösen Kurs von Ministerpräsident Viktor Orbán zu bringen.

    Theater in Ungarn unter Druck

    Hintergrund: Im Schatten der Corona-Pandemie setzte Ungarns Regierung die Theater-Szene mit einem neuen Gesetz unter Druck. Ziel: "Die Interessen des Wohlergehens der Nation aktiv zu verteidigen". Das Gesetz verpflichtet Theater, die Zuschüsse vom Staat bekommen, der Regierung ihre Spielpläne faktisch zur politischen Genehmigung vorzulegen.
    Dazu schuf Orbán einen Nationalen Kulturrat mit 18 Vertretern von "strategisch wichtigen Kulturinstitutionen". Der Rat soll "fachliche Grundlagen für die einheitliche Regierungsstrategie zur Lenkung der kulturellen Zweige" bieten. Als wäre es kein Steuergeld, sondern ein Geschenk von Orbáns Fidesz-Partei. Fast das gesamte Kulturbudget geht seitdem an eine Handvoll nationaler Prestige-Institutionen, die von parteifreundlichen Intendanten geleitet werden.
    "Der Staat unterstützt diejenigen, die seiner Ideologie nahestehen", beklagte István Ugrai, Direktor des ATRIUM Theaters in Budapest. Orbáns Politik bringe die freie Szene um die Existenz - zugunsten einer nationalen ungarischen Kultur-Erzählung, so die jüngst verstorbene Dramaturgin Anna Lengyel:

    Zentralisierung, Gleichschaltung - es geht um Ideologie und Nationalismus. In Ungarn gibt es zwei Grundprobleme: die Apathie der Bürger und dass sie über ihre Rechte und Verantwortung nicht Bescheid wissen.

    Anna Lengyel, verstorbene Dramaturgin

    Homophobe Gesetze

    Auch andere Disziplinen bleiben von staatlichen Eingriffen nicht verschont. Filme, Bücher, Theaterstücke, in denen zum Beispiel Homosexualität thematisiert wird, dürfen vor Menschen unter 18 Jahren nicht mehr aufgeführt werden. Buchläden, die solche Bücher verkaufen, müssen an ihrer Tür den Warnhinweis befestigen: "Hier werden nicht-traditionelle Inhalte verkauft". "Eine Attacke im Russland-Stil gegen die Meinungsfreiheit", konstatiert die ungarische Organisation Háttér, die Belange von Homosexuellen vertritt.

    Viel Geld, wenig Mitspracherecht

    Dies ist also das politische Umfeld, in dem sich Veszprém als europäische Kulturhauptstadt präsentieren soll. Weil sich Orbán seit Jahren auch auf kulturellem Gebiet als Retter des christlichen Abendlandes zu inszenieren sucht, stellt der klamme Staat der katholischen Kirche aktuell die stattliche Summe von rund 100 Millionen Euro zur Verfügung. Um in Veszprém den Burgberg und die dort befindliche älteste Kathedrale Ungarns zu sanieren: Sankt Michael, Krönungskirche der ungarischen Königinnen.
    Wie genau die Kirche in Zukunft aussehen wird, erfahren aber selbst die Gemeindemitglieder nicht, beklagt sich Kolos Kohár aus der Kirchengemeinde. "Die bunten Glasfenster sollen verschwinden und die Fresken, die wir jeden Tag beim Gebet gesehen haben", erzählt er. Stattdessen soll wohl ein weißer Raum entstehen - mit Multifunktionsaltar.
    Kohár engagiert sich in der Schutzgesellschaft Basilika Sankt Michael und erklärt:

    Alle Arbeiter mussten eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschreiben. Damit keine Informationen über die Baustelle öffentlich werden. Das verstehen wir nicht.

    Kolos Kohár, Mitglied der Kirchengemeinde

    Die Vertreter der Kirche wollen sich dazu nicht äußern.

    Veszprém im Diskurs

    In Veszprém ist man stolz auf den Titel der Kulturhauptstadt: Die Unesco-Stadt der Musik möchte unter anderem mit Konzerten punkten und setzt nebenbei auf die Anziehungskraft der herrlichen nördlichen Balaton-Region.
    Die große Frage wird sein: Ob die Ungarn und ihre europäischen Freunde das Kulturjahr nutzen können, um über die Freiheit von Kultur und Demokratie im Herzen Europas zu diskutieren. Denn ein lebendiges Kulturleben muss genau diese Konflikte thematisieren und nicht übertünchen. Schöne Fassaden - das reicht nicht.

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