Essen für Arme: Kein Grund zum Feiern: 30 Jahre Tafel

    Essen für Arme:Kein Grund zum Feiern: 30 Jahre Tafel

    von Henriette de Maizière
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    Ursprünglich sollte denjenigen eine Tafel gedeckt werden, die es sich sonst nicht leisten können. Inzwischen sind die Tafeln bundesweit eine feste Institution geworden.

    Typical: Lebensmittelausgabe der Berliner Tafel
    Wachsender Zulauf: Berliner Tafel (Archiv)
    Quelle: dpa

    Eine Wartenummer ist der Versuch, Ordnung und Würde in das Chaos zu bringen: zu viele Bedürftige für zu wenig Lebensmittel. Punkt zwölf öffnet die Ausgabestelle der Tafel in Berlin Spandau.
    Die, die hierherkommen, nehmen das, was ansonsten wohl weggeschmissen werden würde: Ware, die nicht mehr verkauft werden kann, aber noch gut verwendbar ist. Lebensmittel, deren Haltbarkeit bald abläuft. Obst und Gemüse mit schadhaften Stellen. Das Brot, der Kuchen von gestern. Das, was die Wohlstandsgesellschaft aussortiert.
    Ein Mitarbeiter gibt ein Brot in die Tasche einer Frau an der Brotausgabe in der Ausgabestelle Paul-Schneider-Haus der Berliner Tafel
    Tafeln in der Krise: Während immer mehr Menschen auf sie angewiesen sind, werden die Lebensmittelspenden weniger.01.09.2023 | 1:59 min

    Wachsender Zulauf bei Tafeln

    In Deutschland muss niemand hungern. Doch allein zur Ausgabestelle hier in den Räumen der Paul-Gerhardt-Gemeinde in Berlin Spandau, kommen jede Woche mehr als 500 Menschen - 200 mehr als noch vor fünf Jahren. Die Rente zu knapp, das Bürgergeld nicht ausreichend, geflüchtet, alleinerziehend - die Gründe für Armut sind vielfältig.

    Mehr als elf Prozent der Berliner Bevölkerung gelten als arm, so ein Bericht zur sozialen Lage vom Juli 2023. Darunter wird gerechnet, wer weniger als 950 Euro pro Monat zur Verfügung hat. Doch auch immer mehr Menschen aus der Mittelschicht sind auf Lebensmittelspenden angewiesen - 19,3 Prozent der Berlinerinnen und Berliner sind dem Bericht zufolge zum Teil armutsgefährdet.

    "Als wir vor 30 Jahren angefangen haben, hat die Kohl-Regierung noch gesagt, es gebe keine Armut in Deutschland. Das sagt heute niemand mehr. Insofern haben wir allein unter dem Gesichtspunkt wirklich was erreicht", sagt Sabine Werth, Gründungsmitglied der Berliner Tafel. 1993 fing sie mit Bekannten an, Bedürftige zu versorgen - zunächst mit einem privaten Pkw. Sie holten in den Geschäften das Unverkaufte ab und brachten es zu Obdachlosen. Es sollte ein Provisorium sein. Inzwischen ist daraus eine deutschlandweite Bewegung geworden.

    Bis zu zwei Millionen Bedürftige sind bundesweit auf die Unterstützung der Tafeln angewiesen. In den mehr als 960 Ausgabestellen werden pro Jahr 265.000 Tonnen gerettete Lebensmittel ausgegeben. 60.000 Helferinnen und Helfer geben sie an Menschen aus, die sich eine ausgewogene Ernährung sonst nicht leisten könnten. Die Tafeln arbeiten auf Spendenbasis.

    Tafeln: Aus Provisorium wurde eine der größten Sozialbewegungen

    Der erste Gang zur Tafel sei nie freiwillig, sagt Sabine Werth. Sondern die Not sei so groß, dass die Menschen das Gefühl haben, "jetzt kann ich gar nicht mehr anders. Ich brauche Hilfe. Die Hilfe kommt vom Staat nur bedingt - also gehe ich zur Tafel". Inzwischen, glaube sie, sei es zum einen gesellschaftlich akzeptiert, zur Tafel zu gehen. Vor allem aber seien es die gestiegenen Preise bei Lebensmitteln und Mieten, die die Menschen zu ihnen bringen.
    Die kürzlich beschlossene Erhöhung des Bürgergeldes, kritisiert Werth, werde von der Inflation aufgefressen: "Das Bürgergeld hätte jetzt die Chance geboten, den Satz so zu erhöhen, dass die Menschen auch wirklich ein auskömmliches Leben damit verbringen können. Und das hat die Politik wieder vergeigt. Insofern haben wir auch weiter viel zu tun und springen in die Bresche."
    Die Tafel ist inzwischen zu einer der größten Sozialbewegungen Deutschlands geworden. Anlässlich des 30-jährigen Bestehens gibt es am Sonntag einen Festakt mit Familienministerin Lisa Paus und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin Kai Wegner. 30 Jahre Tafel - 30 Jahre Lebensmittel für Bedürftige. Kein Grund, zu feiern.

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