Lange schien Portugal immun gegen Rechtspopulismus - doch die Zeiten haben sich geändert. Dem Land, bisher durch die Sozialisten regiert, könnte ein Wandel bevorstehen.
Am 10. März finden Neuwahlen in Portugal statt. Umfragen deuten auf ein enges Rennen zwischen der Sozialistischen Partei von Nuno Santos und der konservativen Opposition hin.08.03.2024 | 3:17 min
Die Rufe sind von Weitem zu hören: "Ventura, Ventura!" Der Name des rechtspopulistischen Spitzenkandidaten André Ventura hallt durch die Straßen von Belém, einem wohlhabenden Stadtviertel in Lissabons Zentrum. Unter den Aktivisten ist die Studentin Madaleina Cordeiro. Sie schwenkt eine Fahne. "Chega" ist darauf zu lesen, zu Deutsch "Genug". So nennt sich die rechte Partei, die bei jungen Wählerinnen und Wählern punktet.
Rechtspopulisten in Portugal sprechen Junge an
Beliebt unter den jungen Wählern sind unter anderem Venturas Showeinlagen und TikTok-Videos. "Unsere Daten zeigen, dass fast die Hälfte derer, die potenziell Chega wählen wollen, unter 35 Jahre alt sind", bestätigt Lea Heyne, Forscherin an der Uni Lissabon, im Gespräch mit ZDFheute.
Laut einer Studie, die die Bildungsstätte Anne Frank zum Safer Internet Day präsentiert hat, spielt Social Media eine unterschätzte Rolle bei der Verbreitung von Rechtsextremismus.06.02.2024 | 1:33 min
Portugiesischer Premierminister tritt zurück
Deutlich geringer ist der Zuspruch in der Wählergruppe der unter 35-Jährigen für die regierenden Sozialisten. Vorbei die Hoffnung, wie bei der letzten Wahl die absolute Mehrheit zu erlangen. Korruptionsvorwürfe hatten den noch amtierenden Premierminister António Costa im November 2023 dazu bewogen, seinen Rücktritt einzureichen.
Dass der Regierungschef persönlich beim Bau eines Computerzentrums oder der Vergabe von Lithiumrechten abkassiert haben soll, hat sich bisher nicht bestätigt. Der politische Schaden aber ist da.
Portugals Premierminister Costa hat seinen Rücktritt eingereicht. Zuvor hatte die Polizei mehrere Ministerien und den Amtssitz Costas durchsucht. Ihm wird Korruption vorgeworfen.07.11.2023 | 0:21 min
Im Land herrscht Unzufriedenheit. Die Regierung hat in den vergangenen Jahren eine Politik der "schwarzen Null", der Einhaltung der Staatsfinanzen, verfolgt. Das hat die Wirtschaft zwar vorangebracht, das Wachstum liegt bei knapp 2 Prozent, doch dem sozialistischen Spitzenkandidaten Pedro Nuno Santos scheint das nicht zu nutzen.
Zu lange wurden die sozialen Krisen vernachlässigt: Es fehlt an bezahlbarem Wohnraum, in Schulen, im Gesundheitswesen und bei der Polizei fehlt es an Geld und Personal. Die angeschobenen Reformen bräuchten eben Zeit, heißt es aus dem linken Regierungslager. Doch der Frust steigt.
Lissabon ist beliebt bei Touristen, Airbnb Wohnungen boomen. Doch die Wohnungspreise haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt.06.03.2024 | 2:12 min
Konservative: Keine Koalition mit Rechtspopulisten
Das Mitte-Rechts-Lager, die Aliança Democrática um den konservativen Spitzenkandidaten Luís Montenegro, fordert mehr Kooperation der Privatwirtschaft mit dem öffentlichen Sektor, will so höhere Gehälter etwa im Gesundheitsbereich erzielen.
Doch öfter als Fragen nach seinem Wahlprogramm hört man die nach seiner Haltung zu "Chega", den Rechtspopulisten. Seine Antwort: "Ich habe nur eines zu sagen: Ich werde keine Vereinbarung mit der extrem rechten Partei treffen. Ich bin sehr klar, ich übernehme die Regierung nur mit einem Sieg."
Portugal steht vor einem Rechtsruck. Grund dafür sind die Wohnungsnot und zu teure Mieten. Laut der rechten Partei „Chega“ sei die zunehmende Zuwanderung daran schuld.28.02.2024 | 7:01 min
In den Umfragen in der gesamten Wählergruppe liegen das linke Lager um Pedro Nuno Santos und das Mitte-Rechts-Lager um Luís Montenegro immer wieder nah beieinander - und beide sind von einer absoluten Mehrheit weit entfernt.
Protestwahl gegen etablierte Parteien
Drittstärkste Kraft könnte nach der Wahl André Venturas "Chega" werden. Eine Partei, die es erst seit knapp fünf Jahren gibt und deren Anhängerschaft rasend schnell gewachsen ist. "Die Partei verspricht, die Steuern zu senken und sämtliche Sozialleistungen zu erhöhen, was natürlich finanziell problematisch ist. Aber ich glaube, es geht weniger um die konkreten Vorschläge, sondern um das Gefühl, die politische Klasse abzustrafen", erklärt die Wissenschaftlerin Lea Heyne.
Immer mehr Arbeitsmigranten kommen nach Portugal. Viele Gemeinden erleben dank der liberalen Einwanderungspolitik der Regierung einen wirtschaftlichen Aufschwung.07.03.2024 | 1:57 min
Auf ihren Plakaten fordern die Rechtspopulisten eine grundlegende "Säuberung Portugals". "Ich denke, wir werden bei dieser Wahl hervorragende Ergebnisse erzielen", erklärt die Wahlkämpferin Madalena Cordeiro. Sie hat sich für Chega auf die Kandidatenliste setzen lassen und ist zuversichtlich.
Minderheitenregierung in Portugal wahrscheinlich
Doch da sind auch noch jene, die unentschieden sind. Laut Umfragen ist deren Zahl höher als die der Chega-Wähler. Mehr als 10 Millionen Portugiesinnen und Portugiesen sind zur Wahl aufgerufen. Welches Lager übernehmen wird, ist völlig offen. Mehrere Politologen gehen davon aus, dass der Wahlsieger eine Minderheitenregierung führen wird - und Portugal instabile Zeiten bevorstehen.
Anne Arend berichtet für das ZDF-Studio Südwesteuropa aus Lissabon.