Serbien: Gewalt zur Primetime im Reality-TV

    Gefördert von der Regierung:Reality-TV in Serbien: Gewalt zur Primetime

    von Emina Mujagić
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    Das serbische Reality-TV-Format Zadruga zeigte ungefiltert Gewalt. Kritiker sind besorgt. Und die Regierung? Die fördert Formate wie dieses.

    Fernsehen schauen
    Das serbische Reality-Format Zadruga zeigte Gewalt zur besten Sendezeit. (Symbolbild)
    Quelle: dpa

    Mehrere Monate in einem eingerichteten Fernsehstudio leben, gemeinsam mit Fremden und ständig von Kameras beobachtet: Das ist "Zadruga" (dt.: die Genossenschaft) - eine serbische Reality-Sendung, ähnlich dem Format "Big Brother". Was "Zadruga" besonders macht, ist besorgniserregend: Innerhalb der Sendung kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Gewaltexzessen. Kritiker sehen auch die serbische Regierung mitverantwortlich.

    "Zadruga": Gewalt vor laufenden Kameras

    Der Sender pink TV zeigte die Gewalt ungefiltert und unzensiert. 2022 machte "Zadruga" auch im deutschsprachigen Raum Schlagzeilen. Grund dafür: Ein ehemaliger Teilnehmer eines deutschen Reality-Formats ist damals dabei - und greift vor laufenden Kameras seine Freundin an.
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    Ein Ausschnitt aus der Sendung zeigt, wie Marko O. in einem Streit mit seiner Freundin die Fassung verliert. Es kommt zu Handgreiflichkeiten zwischen den beiden, er würgt sie und wirft sie zu Boden.

    Serbien: Fördert Reality-TV Gewalt?

    Kein Einzelfall, sagt Politikwissenschaftler Nebojša Vladisavljević. Er hat die Sendung beobachtet und forscht unter anderem zu Medien und Demokratisierung an der Universität Belgrad. Ihm zufolge könne die Gewalt innerhalb solcher Reality-Formate kriminelles Verhalten glorifizieren:

    Reality-TV-Formate in Serbien fördern Gewalt in unterschiedlichen Aspekten. Es werden zum Beispiel verurteilte Kriminelle eingeladen, die in der Sendung ihre Taten verherrlichen können.

    Nebojša Vladisavljević, Politikwissenschaftler

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    Regulierungsbehörde REM reagiert kaum

    Für die wiederholten Gewaltexzesse gibt es kaum bis keine Konsequenzen, weiß die serbische Journalistin Danica Đokić. Sie ist Teil der Slavko Ćuruvija Stiftung, die sich für kritischen Journalismus in Serbien einsetzt. Das Problem liege vor allem bei der zuständigen Behörde REM (Regulatory Authority for Electronic Media). Per Gesetz sei diese dafür verantwortlich, auf problematische Inhalte zu reagieren, so Đokić.

    Allerdings reagiert die Regulierungsbehörde oft nicht, selbst wenn Einzelpersonen oder Organisationen Beschwerden einreichen.

    Danica Đokić, Journalistin und Mitglied der Slavko Ćuruvija Foundation

    Der letzte Beschluss gegen pink TV ist von Dezember 2021. Auch danach gab es mehrere Fälle von Gewalt, sogar Morddrohungen, allerdings kein Einschreiten seitens der Behörde. Auf eine Anfrage von ZDFheute hat die REM bis dato nicht reagiert.

    Staatsspitze: Einfluss auf die Berichterstattung

    Die Medienauswahl in Serbien ist stark konzentriert und die Staatsspitze unter Präsident Aleksandar Vučić übt als größter Geldgeber und Werbekunde erheblichen Einfluss auf die Berichterstattung aus. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die führenden privaten Fernsehsender pink TV und Happy Television, die zusammen die Hälfte der Zuschauer*innen an sich ziehen, gelten als Propagandainstrumente der Regierung.
    Diese Kanäle bilden uneingeschränkt Vučićs Linie ab, darunter auch prorussische Inhalte. Laut Politikwissenschaftler Nebojša Vladisavljević werden Kultur- und Politikprogramme herabgestuft, Reality-Shows mit Gewalt dagegen gefördert.

    Nach Schießereien: Kritik an Medienpolitik

    Spätestens seit Mai 2023 muss sich die Regierung auch der Kritik stellen, ihre Medienpolitik würde Gewalt befeuern. Bei gleich zwei Schießereien werden damals 18 Menschen getötet. Vladisavljević sieht einen Zusammenhang.
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    Reality-Shows gäbe es in Serbien zwar schon seit den 2000ern, die Gewalt in den Sendungen habe aber zugenommen, seit die Regierung diese Medien für ihre Zwecke nutze, so Vladisavljević.

    Das Ergebnis ist eine weit verbreitete und von der Regierung geförderte Kultur der Gewalt, sodass es kaum verwunderlich ist, dass es gelegentlich zu extremen Vorfällen wie Massenerschießungen kommt.

    Nebojša Vladisavljević, Politikwissenschaftler

    Mittlerweile ist das Format "Zadruga" abgesetzt - auf Wunsch des Präsidenten Vučić, wie der Geschäftsführer von pink TV Željko Mitrović ebenfalls im Mai 2023 per X (ehemals Twitter) mitteilte. Keinen Monat später dann die Ankündigung: Das Format ist zurück. Es heiße jetzt "Elita" (dt.: Elite) und sei eine bessere Version von "Zadruga", so Mitrović.
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    Skepsis gegenüber Nachfolge-Format "Elita"

    Journalistin Danica Đokić ist überzeugt, die Zuschauer*innen könnten immer noch Beleidigungen und körperlichen Auseinandersetzungen erwarten.
    Für Politikwissenschaftler Vladisavljević ein Freifahrtschein für Nachahmer. Wenn Regierungen und Fernsehsender bereits die Grundregeln verletzten, die Gewalt verbieten, dann, so Vladisavljević, sei alles möglich.

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