Kommunalwahlen in der Türkei: Wird Erdogans AKP abgestraft?

Eine Straßenkreuzung mitten in Üsküdar, einem konservativen Stadtteil von Istanbul: Hier wirkt die türkische Metropole eher wie ein Dorf. Es gibt kleine Geschäfte, viele Börek-Läden, kein Großstadt-Trubel. Doch an diesem Mittag ist Aufregung hier im asiatischen Teil Istanbuls zu spüren. Fahnen werden verteilt, Wangen rot-weiß angemalt. Ekrem Imamoglu wird erwartet. Istanbuls Oberbürgermeister wird hier eine Wahlkampfveranstaltung abhalten. Am 31. März will er die Wiederwahl gewinnen.

Mit etwas Verspätung kommt sein Bus an, aus den Lautsprechern schallt Imamoglus Lied: "Er arbeitet Tag und Nacht, ohne müde zu werden. Er wird niemals müde von Drohungen oder Prozessen," heißt es da. Eine Anspielung auf einen schwebenden Gerichtsprozess, in dem Imamoglu vorgeworfen wird, die Wahlkommission beleidigt zu haben. Das Urteil könnte zu einem Politikverbot für den 52-Jährigen führen. Seine Anhänger nennen den Prozess politisch motiviert.

Die Fahnen, der Bus, das Lied, dazu riesige Plakate und Dauer-Werbevideos in der Metro: die Ressourcen des Bürgermeisters im Wahlkampf sind beachtlich. Und doch kämpft Imamoglu gegen eine Übermacht aus Ankara. Der Gegenkandidat der Erdogan-Partei AKP, Murat Kurum, bekommt deutlich mehr Sendezeit bei staatlich kontrollierten Sendern. Minister geben sich bei seinen Wahlkampfveranstaltungen die Klinke in die Hand.

Recep Tayyip Erdogan, der allerorts kräftig im Kommunalwahlkampf mitmischt, kam gleich mehrmals an den Bosporos, um seinem Kandidaten den Rücken zu stärken. Dabei stieß er auch Drohungen aus: Wenn die Bürgerinnen und Bürger die Kandidaten der Regierungspartei nicht wählten, könnten staatliche Leistungen gekürzt werden, so der 70-Jährige.

Erdogan habe die Kommunalwahl zu einem Referendum über sich selbst gemacht, schreibt der türkische Journalist Murat Sabuncu:

Für AKP-Mann Murat Kurum, ehemaliger Minister für Umwelt und Stadtplanung, ist die Unterstützung Erdogans nicht nur ein Vorteil. Denn die Türkei plagen Probleme, die der Präsident und seine Regierung in Ankara nicht in den Griff bekommen. Allen voran die rasende Inflation. Steigende Lebensmittel- und Mietpreise führen zu Unzufriedenheit, nicht nur in den Metropolen, sondern im ganzen Land.

Imamoglu nutzt das bei seinen Wahlkampfauftritten: "Ich habe den Ministern etwas zu sagen, die in Istanbul von Geschäft zu Geschäft oder von Markt zu Markt, von Haus zu Haus gehen, um für Stimmen zu werben. Warum haben Sie den Staatsdienst verlassen und sind hierhergekommen? Schauen Sie, es gibt alle möglichen Probleme im Land, nicht wahr? (...) Wie können Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren?"

Murat Kurum wiederum kritisiert Imamoglus Amtsführung, und schwört Ankara und der Erdogan-Regierung die Treue: "Lasst uns unserem Anführer, der seit 22 Jahren Tag und Nacht für dieses Land arbeitet, dankbar sein und ihm versprechen, dass wir gut auf das, was er uns hier anvertraut, aufpassen werden."

Wer Istanbul regiert, der regiert die Türkei: dieser Satz von Erdogan, der selbst einmal Bürgermeister von Istanbul war, erklärt, warum sich bei den Kommunalwahlen am Sonntag so viel um die 16-Millionenstadt dreht. Umfragen sagen ein enges Rennen um die Macht am Bosporos voraus.