"Reichsbürger" hatten laut Unterlagen des BGH mit Hilfe einer AfD-Abgeordneten den Bundestag ausgekundschaftet.
Quelle: Reuters
Mutmaßliche "Reichsbürger" haben sich detailliert auf die bewaffnete Erstürmung des Reichstagsgebäudes und die Verhaftung von Regierungsmitgliedern sowie Abgeordneten vorbereitet, das geben Unterlagen des Bundesgerichtshofs (BGH) preis.
Demnach hatte die ehemalige Bundestagsabgeordnete der
AfD, Birgit Malsack-Winkemann, Mitbeschuldigte durch das Regierungsviertel geführt. Ihre Begleiter machten Fotos, sammelten Informationen zu Personen, Sitzungsterminen und baulichen Gegebenheiten.
Detaillierte Vorbereitungen der "Reichsbürger" für Umsturz
Hintergrund sind die Ermittlungen rund um eine Großrazzia in der "Reichsbürger"-Szene Anfang Dezember. Für 22 der Festgenommenen hatte der BGH vor
wenigen Wochen die Fortdauer der Untersuchungshaft wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens angeordnet.
Die Gruppe um
Heinrich XIII. Prinz Reuß als einen der mutmaßlichen Rädelsführer soll vorgehabt haben, das politische System in Deutschland mit Waffengewalt zu stürzen und eine neue Regierung zu installieren. Die Beteiligten hätten auch Tote in Kauf genommen.
Die Parallelwirtschaft der Reichsbürger:
Geld und Munition beschafft
Den Planungen zufolge sollten bis zu 16 Menschen das Reichstagsgebäude erstürmen, vornehmlich aus den Reihen von Spezialkräften oder Spezialeinheiten von
Bundeswehr und Polizei.
Einer der Mitbeschuldigten soll 50.000 Euro beigesteuert haben. Ein anderer verschaffte sich Munition, Nachtsichtgeräte, Fesselungsmaterial und weitere Militärausrüstung.
Malsack-Winkemann ermöglichte Beschuldigten Zugang zum Bundestag
Malsack-Winkemann führte ihn und weitere Mitbeschuldigte demnach im September 2022 durch das Reichstagsgebäude, zu dem sie als ehemalige Bundestagsabgeordnete noch ungehinderten Zugang hatte und in das sie jederzeit bis zu sechs Menschen mitnehmen konnte.
Etwa drei Wochen später war sie erneut mit einem der Männer im Regierungsviertel. Er habe eine Liste mit Namen zahlreicher Mitglieder der Bundesregierung und der bayerischen Staatsregierung sowie von weiteren Politikern, Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens erstellt.
Ferner habe Malsack-Winkemann eine Chatnachricht verschickt mit Angaben, wo Mitglieder der Bundesregierung zu finden sind: "Die Fuehrungscrew sitzt uebrigens bei den BT-Sitzungen auf der Regierungsbank. Wenn man auf das Rednerpult schaut, auf der linken Seite. Da sitzen sie dann geschlossen. [sic!]", heißt es im Beschluss des BGH.
„Reichsbürger“ lehnen die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen ab. Der Verfassungsschutz rechnet mit rund 21 000 Anhängern. Einige von ihnen haben sich radikalisiert.07.12.2022 | 2:28 min
Ermittlungen gegen 60 Beschuldigte
Die Bundesanwaltschaft hatte Anfang Dezember 25 Verdächtige in Deutschland, Österreich und Italien festnehmen lassen. Einige von ihnen wurden zwischenzeitlich aus der U-Haft entlassen. Weitere Beschuldigte gerieten nach und nach ins Visier, inzwischen wird gegen mehr als 60 Menschen - überwiegend Deutsche - ermittelt.
Die Ermittler stützen sich unter anderem auf Videos und Fotos, die sie bei Beschuldigten gefunden haben, auf Observationsmaßnahmen und überwachter Telekommunikation sowie Geständnisse von Verdächtigen.
Im März wurde ein Beamter bei einer Razzia gegen einen Reichsbürger verletzt:
Malsack-Winkemann bestreitet "terroristische Zwecksetzung"
Auch die ehemalige Berliner Richterin
Malsack-Winkemann habe eingeräumt, Mitglied eines sogenannten Rates - dem mutmaßlichen Führungsgremium - und dort für das Justizressort zuständig gewesen zu sein, heißt es in den BGH-Unterlagen.
Sie habe bestätigt, Mitbeschuldigte durch das Reichstagsgebäude geführt zu haben, wobei diese Fotos und Videos gemacht hätten. Die "terroristische Zwecksetzung" der Gruppierung habe sie jedoch bestritten. Weder sei ein Umsturz noch ein gewaltsames Eindringen in das Reichstagsgebäude geplant gewesen.
Von den mutmaßlichen Verschwörern um Heinrich XIII. sollen 22 Verdächtige weiter in U-Haft bleiben. Der Gerichtsbeschluss beschreibt, wie konkret die Vorbereitungen waren.
von Jan Henrich
Quelle: dpa