Corona-Protokolle: Die "Pandemie der Ungeimpften" und das RKI
Corona-Protokolle:Die "Pandemie der Ungeimpften" und das RKI
von Britta Spiekermann
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Die Veröffentlichung der nun vollkommen ungeschwärzten Protokolle des RKI zur Corona-Pandemie zeigt: Es gab in der Behörde Kritik am Narrativ der "Pandemie der Ungeimpften".
Die Veröffentlichung von ungeschwärzten Protokollen des Robert Koch-Instituts zur Corona-Pandemie zeigt: Es gab in der Behörde Kritik am Narrativ der "Pandemie der Ungeimpften".25.07.2024 | 3:04 min
Im Herbst 2021 ist nicht nur die Corona-Lage angespannt, sondern auch die Wortwahl des damals zuständigen Bundesgesundheitsministers: "Wir erleben gerade vor allem eine 'Pandemie der Ungeimpften' - und die ist massiv." Diesen Satz sagt Minister Jens Spahn (CDU) nicht nur am 3. November 2021, er wiederholt ihn.
Andere Politiker und auch Medien nehmen die Behauptung auf. Wie Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) oder der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), die ebenfalls von einer "Pandemie der Ungeimpften" sprechen. Wer sich nicht impfen lasse, gefährde sich und andere, begründet Söder Ende 2021. Oberstes Ziel sei die Verhinderung eines weiteren Lockdowns.
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"Sagt Minister bei jeder Pressekonferenz, vermutlich bewusst"
Die Protokolle des Corona-Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts (RKI), die nun von einer Gruppe um die freie Journalistin Aya Velázquez komplett ungeschwärzt ins Netz gestellt wurden, zeigen, dass diese Formulierung von den Beamten der Behörde schon damals kritisch zur Kenntnis genommen wird.
Das Robert Koch-Institut kritisiert die Veröffentlichung ungeschwärzter Protokolle des RKI-Krisenstabs zur Corona-Pandemie. "Soweit in diesen Datensätzen personenbezogene Daten und Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Dritter rechtswidrig veröffentlicht und insbesondere Rechte Dritter verletzt werden, missbilligt das RKI dies ausdrücklich", teilt das Institut mit. Das RKI habe die Datensätze weder geprüft noch verifiziert, heißt es.
In den RKI-Protokollen vom 5. November 2021 unter dem Oberthema "Wissenschaftskommunikation" heißt es: "In den Medien wird von einer Pandemie der Ungeimpften gesprochen. Aus fachlicher Sicht nicht korrekt, Gesamtbevölkerung trägt bei. Soll das in Kommunikation aufgegriffen werden?"
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Die Runde stellt diese Frage in den Raum. Die Antwort ist wie folgt protokolliert: "Dient als Appell an alle, die nicht geimpft sind, sich impfen zu lassen. Sagt Minister bei jeder Pressekonferenz, vermutlich bewusst, kann eher nicht korrigiert werden."
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Spahn-Sprecher nimmt Stellung zu Vorwürfen
Der Krisenstab des RKI erklärt 2021 also, eine Pandemie der Ungeimpften sei "aus fachlicher Sicht" nicht korrekt. Ein Sprecher von Jens Spahn sagt am Mittwoch gegenüber Ippen.Media, der Minister habe "damals auf den Umstand verwiesen, dass 90 bis 95 Prozent der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen nicht geimpft waren." Schwere und schwerste Verläufe seien zudem "deutlich überproportional" bei ungeimpften Patienten aufgetreten, "wie es ja auch die RKI-Daten zeigten".
Der damalige Gesundheitsminister habe "dabei stets betont, dass Impfen eine persönliche und freie Entscheidung ist, aber auch Konsequenzen für andere hat, unter anderem durch eine Überlastung des Gesundheitssystems. Die fachliche Einschätzung aus dem RKI, dass Gesamtbevölkerung auch beiträgt, widerspricht dem nicht."
Die Veröffentlichung der nun vollkommen ungeschwärzten Protokolle des RKI zur Corona-Pandemie zeigt: Es gab in der Behörde Kritik am Narrativ der "Pandemie der Ungeimpften".24.07.2024 | 3:04 min
Virologe Stürmer: Formulierung über Ziel hinausgeschossen
Der Virologe Martin Stürmer findet heute, die Formulierung von der Pandemie der Ungeimpften sei nicht gut gewählt gewesen und über das Ziel hinausgeschossen. Mit dem Auftreten von Omikron sei der Schutz vor Neuinfektion nahezu hinfällig gewesen - aufgrund der vielen Mutationen im Oberflächenprotein.
Das Konzept war damit gescheitert. Man kann der Regierung vorwerfen, dass sie die Idee von 2G und 3G zu spät beerdigt hat, das hätte man früher machen müssen.
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Martin Stürmer, Virologe
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Drosten und Streeck kritisieren Formulierung
Ein Blick ins Archiv zeigt: Schon im Herbst 2021 gibt es öffentlich deutliche Kritik an der Formulierung, es handele sich um eine Pandemie der Ungeimpften. So sagt der Virologe Christian Drosten in einem Interview mit der ZEIT am 11. November 2021: "Es gibt im Moment ein Narrativ, das ich für vollkommen falsch halte: die Pandemie der Ungeimpften." Drosten erklärt: "Wir haben eine Pandemie, zu der alle beitragen - auch die Geimpften, wenn auch etwas weniger." Die Delta-Variante habe leider die Eigenschaft, sich trotz der Impfung zu verbreiten.
Auch der Virologe Hendrik Streeck äußert sich am 15. November 2021 vergleichbar gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: "Es ist in diesem Herbst und Winter trügerisch zu glauben, dass ein Geimpfter sich nicht infizieren kann und das Virus nicht an seine Großmutter weitergeben kann, die vielleicht noch keine Booster-Impfung bekommen hat." Auch wenn es am Anfang vielleicht so ausgesehen habe, aber der Begriff Pandemie der Ungeimpften sei nie richtig gewesen. Alle Menschen seien Teil dieser Pandemie.
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Ein ganzes Land in "Geiselhaft"?
Die Formulierung von der Pandemie der Ungeimpften wird zwar nach dem Herbst 2021 weniger genutzt, es bleibt die verbale Stigmatisierung von Menschen ohne Impfungen. Karl Lauterbach (SPD), seit Ende 2021 Bundesgesundheitsminister, erklärt in der Bundestagsdebatte zur Impfpflicht am 17. März 2022: "Ungeimpfte tragen die Verantwortung, dass wir nicht weiterkommen."
Und fügt hinzu: "Das ganze Land wird in Geiselhaft dieser Menschen sein. Das können wir uns nicht mehr leisten." Lauterbach wirbt damals für die allgemeine Impfplicht, die im April 2022 im Bundestag scheitert.
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Virologe Stürmer: Hätte besser aufklären müssen
Der Virologe Martin Stürmer hat keinen Zweifel am ursprünglichen Ziel der Impfstoffe, die Wahrscheinlichkeit schwerer Verläufe deutlich zu reduzieren. Gleichzeitig gelte das hohe Gut der körperlichen Unversehrtheit, dieses dürfe nicht außer Acht gelassen werden.
Im Rückblick hätte man über die Impfung besser aufklären müssen: "Es geht nicht ohne Risiko, das hätten die Menschen besser verstanden, als dass man ihnen verkauft, dass angeblich alles total harmlos ist." Es gebe einen Nutzen und es gebe ein Risiko, solange der Nutzen überwiege, könne man das auch kommunizieren. Er zieht den Schluss:
Wir müssen viel lernen, man darf mit der Bevölkerung nicht so umgehen. Die Menschen sind reif genug, dass man ihnen die Wahrheit sagen kann und sie dann ihre eigenen Entscheidungen treffen.
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Martin Stürmer, Virologe
Britta Spiekermann ist Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.
Quelle: dpa
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