Bürgergeld kürzen: Wie sinnvoll ist der Vorschlag der FDP?
FAQ
Kürzungen beim Bürgergeld:Wie sinnvoll ist der Vorschlag der FDP?
von Oliver Klein
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Die FDP will das Bürgergeld kürzen. Geht das überhaupt? Ist die Stütze tatsächlich zu hoch? Und welche Auswirkungen hat die Inflation auf Empfänger? ZDFheute mit einem Überblick.
Mit neuen Plänen zur Kürzung des Bürgergeldes sorgt die FDP für Unmut in der Koalition. Zudem will die Partei den Autoverkehr in deutschen Städten stärken.12.08.2024 | 1:34 min
Die Idee von FDP-Fraktionschef Christian Dürr, das Bürgergeld zu kürzen, sorgt für heftige Kritik - "unausgegoren", "nicht umsetzbar", heißt es vom Koalitionspartner SPD, "zynisch" nennt der Chef des Paritätischen Gesamtverbandes, Joachim Rock, den Vorschlag. Dürr hatte in der "Bild" den Plan mit der inzwischen niedrigeren Inflationsrate begründet:
Mein Vorschlag wäre eine Anpassung nach unten, weil bei der letzten Berechnung die Inflation höher eingeschätzt wurde, als sie sich tatsächlich entwickelt hat.
„
FDP-Fraktionsschef Christian Dürr
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Tatsächlich war bei der jüngsten Erhöhung zum 1. Januar der Regelsatz überproportional stark gestiegen - um gut 12 Prozent. Das steht einer Inflationsrate von inzwischen nur noch 2,2 Prozent gegenüber, die beispielsweise das ifo-Institut für das Jahr 2024 erwartet.
Wie wird der Regelsatz festgelegt? Könnte die Politik ihn so einfach kürzen? Was macht die Berechnung so schwierig - und wie lässt die Inflation das Existenzminimum der Empfänger von Stütze schrumpfen? ZDFheute mit einem Überblick.
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Wie wird der Regelsatz festgelegt?
Der Regelsatz soll den finanziellen Bedarf für Grundbedürfnisse abdecken: also zum Beispiel für Ernährung, Kleidung, Körperpflege und Teilhabe am sozialen Leben. Er wird regelmäßig durch gesetzlich festgelegte Mechanismen angepasst, nicht also direkt durch politische Entscheidungen.
Für die Höhe des Regelsatzes spielen im Wesentlichen zwei Faktoren eine entscheidende Rolle: die allgemeinen Preise und Löhne. Die Entwicklung der Preise fließt zu 70 Prozent in die Festsetzung des Regelsatzes ein, die der Löhne zu 30 Prozent.
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Regelmäßig wird also überprüft, wie sich die Lebenshaltungskosten und Löhne verändert haben, um sicherzustellen, dass das Bürgergeld mit der Entwicklung Schritt hält und die Kosten deckt. Alle fünf Jahre wird der Regelsatz von Grund auf neu berechnet, auf Basis einer sogenannten "Einkommens- und Verbrauchsstichprobe" (EVS). In den Zwischenjahren wird der Satz nach einer Formel angepasst.
Lässt sich das Bürgergeld einfach kürzen?
Weil die Anpassung des Bürgergelds gesetzlich festgelegten Mechanismen folgt, kann die Politik den Regelsatz nicht einfach so beliebig verändern. Eine Kürzung des Bürgergelds sei gesetzlich nicht möglich, hieß es am Montag vom Bundesarbeitsministerium: Es gebe für die Empfänger eine "gesetzliche Besitzschutzregelung", erklärte eine Sprecherin. Deswegen gebe es für Kürzungen kein Entscheidungsspielraum.
Wo liegt das Problem bei den Neuberechnungen?
Die Höhe des Bürgergeldes hinkt der Inflationsentwicklung hinterher. Steigt die Inflation, wird sie in den Regelsatz zwar mit eingerechnet, aber erst mit einem gewissen Zeitverzug. Auch die umgekehrte Situation kann eintreten: Dass der Regelsatz deutlich steigt, obwohl die Inflation wieder zurückgeht - wie im Januar dieses Jahres. Das kann passieren, wenn die Preissteigerung im Vorjahr hoch war, dann aber wieder sinkt.
Inflation in Deutschland (inkl. Nahrung und Energie)
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Eine Analyse der Ökonomin Irene Becker im Auftrag des Paritätischen Gesamtverbands zeigt: In den Jahren von 2021 bis Ende 2023 mussten Bezieher von Bürgergeld massive Kaufkraftverluste hinnehmen - sie bekamen also bedingt durch hohe Preise vor allem für Lebensmittel und Energie viel weniger für ihr Geld. Die Verluste konnten selbst durch die Erhöhung der Stütze von jeweils rund zwölf Prozent im Januar 2023 und im Januar 2024 nicht ausgeglichen werden.
Den Berechnungen zufolge summierten sich die Kaufkraftverluste über die drei Jahre bei einem Single-Haushalt auf bis zu 1.012 Euro, bei einem Paarhaushalt mit zwei Kindern auf bis zu 3.444 Euro. Dabei ist das Bürgergeld ja am Existenzminimum ausgerichtet, das eigentlich nicht gekürzt werden darf - also an dem Betrag, den eine Person mindestens benötigt, um die grundlegenden Bedürfnisse zu decken und ein menschenwürdiges Leben zu führen.
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Im Jahr 2024 wiederum ist es - bei niedrigerer Inflationsrate - umgekehrt: Für Bürgergeldempfänger wird Dank des Bürgergeldanstiegs am 1. Januar aus dem Kaufkraftverlust vermutlich ein Kaufkraftgewinn. Ein Single-Haushalt könnte den Berechnungen Beckers zufolge über das Jahr hinweg mit einem Plus von 145 Euro rechnen.
Aber: Der Paritätische Gesamtverband weist in einer Mitteilung darauf hin, dass die Erhöhung des Bürgergelds im Januar "keine exorbitante Steigerung" gewesen sei, sondern lediglich "eine teilweise Kompensation der bisherigen Kaufkraftverluste". Sie würde bei Langzeitempfängern nicht einmal ausreichen, um etwa aufgelaufene Schulden zu begleichen. Dazu komme: Für das Jahr 2025 drohe mit der bestehenden Anpassungsformel eine Nullrunde - der Regelsatz würde also nicht erhöht, was zu einem erneuten Kaufkraftverlust führen könnte, wie es heißt.
Auch das Arbeitsministerium rechnet im kommenden Jahr wegen der rückläufigen Preissteigerungsraten mit einer Nullrunde beim Bürgergeld.
Fazit: Eine Kürzung des Regelsatzes beim Bürgergeld, wie von der FDP gefordert, ist kurzfristig gegen die Ampel-Partner weder politisch noch rechtlich umsetzbar. Bürgergeldempfänger hatten zuletzt hohe Kaufkraftverluste zu stemmen, die von den letzten Erhöhungen nicht kompensiert wurden. Eine weitere Erhöhung des Regelsatzes im Jahr 2025 ist unwahrscheinlich.
Quelle: dpa
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