Steinmeiers Weihnachtsansprache:"Auf die Lichter schauen, nicht ins Dunkle"
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ruft in seiner Weihnachtsansprache zu mehr Vertrauen in die Stärke der Demokratie auf.
In diesem Jahr habe man Bilder von Leid und Zerstörung, von Hass und Gewalt gesehen. Mit Blick auf die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten infolge der Gräueltaten der Hamas.25.12.2023 | 8:13 min
"Ich schaue mir keine Nachrichten mehr an."
Wohl keinen Satz habe ich in diesem Jahr so oft gehört wie diesen.
Wo immer ich unterwegs war: Immer wieder haben mir die Menschen von diesem Gefühl erzählt und ihrem Bedürfnis, lieber auszuschalten, als die bedrückende Weltlage jeden Tag aufs Neue an sich heranzulassen.
Liebe Landsleute, ich verstehe, dass es manchmal einfach zu viel wird. Dass man am liebsten vor der Wirklichkeit in Deckung gehen möchte.
Bundespräsident Steinmeier hat in seiner Weihnachtsansprache die Deutschen davor gewarnt, sich von der Demokratie abzuwenden. Mahnende Worte fand er für die Ampel-Regierung.25.12.2023 | 1:26 min
Steinmeier: Sehnsucht nach einer friedlicheren Welt
In diesem Jahr hat sich die Welt in der Tat von ihrer dunklen Seite gezeigt. Wir haben Bilder von Leid und Zerstörung gesehen, Bilder von Hass und Gewalt. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine geht nun schon in den zweiten Winter. Und seit Herbst sehen wir mit Entsetzen die Gräueltaten der Hamas und die Opfer des Krieges im Nahen Osten.
Dieses Jahr hat uns auch hier in unserem Land viele offene Fragen hinterlassen. Manch einer schaut skeptisch auf Staat und Politik. Und mancher hat Sorge vor der Zukunft.
Wir alle haben Sehnsucht nach einer friedlicheren Welt. Ich habe sie auch. Und ich finde, wir dürfen sie nie aufgeben!
Steinmeier: Über die Weihnachtstage Kraft tanken
Von dieser Sehnsucht erzählt auch die Weihnachtsgeschichte. Gut, dass jetzt diese stillen Tage da sind. Weihnachten, das bedeutet doch auch, dass wir die anstrengende Welt ein wenig von uns fernhalten können. Dass wir auf die Lichter schauen und nicht ins Dunkle.
Das wünsche ich Ihnen heute und in diesen Tagen: Dass Sie die Tür hinter sich zumachen und die Zeit mit Ihren Liebsten genießen können. Dass Ihnen die Zeit der Ruhe über Weihnachten guttut, Sie tief durchatmen und Kraft tanken können.
Schnell genug wird uns der Alltag nach den Feiertagen wieder einholen. Und wenn wir vorausblicken, dann werden viele fragen: Wie gehen wir in dieses neue Jahr?
Steinmeier: "Mut und Miteinander" als Ratgeber in anstrengenden Zeiten
Ja, wir sehnen uns nach Klarheit. Ja, es ist berechtigt, von den politisch Verantwortlichen zu erwarten, dass sie um den richtigen Weg ringen, aber auch, dass sie Antworten geben, die uns als Land weiterhelfen. Sie als Bürgerinnen und Bürger dürfen erwarten, dass Demokraten zusammenarbeiten, wo es um das gemeinsame Ganze geht. Viele haben das vermisst. Manche wenden sich ab, andere schimpfen auf alles und jeden.
Aber wenn es anstrengend wird in der Demokratie, dann gibt es bessere Ratgeber als Wut und Verachtung. Auch bessere als diejenigen, die so tun, als gäbe es immer die eine einfache Antwort auf die Fragen der Zukunft. Zu den guten Ratgebern gehören Mut und Miteinander. Dazu gehört, alle im Blick zu behalten, egal wo und wie sie leben: ob in der Stadt oder auf dem Land, ob sie jung sind oder alt, ob sie zugewandert sind oder schon immer hier leben. Weiter kommen wir immer nur gemeinsam, und nicht, wenn jeder sich in seine Lebenswelt zurückzieht.
Steinmeier betont die Wichtigkeit des Gemeinsamen
Wir Menschen, wir brauchen einander. Wir sind aufeinander angewiesen. Wir brauchen Achtung und Ansporn, wir brauchen Austausch und Auseinandersetzung – und manchmal Mitgefühl und sogar Hilfe.
All das brauchen wir auch füreinander in der Demokratie. Wir brauchen Menschen, die sich einbringen und die daran arbeiten, dass morgen das besser wird, was heute noch nicht gut ist. Die mitmachen und Mut machen. Und es gibt so viele Menschen in unserem Land, die genau das tun, die das Gemeinsame über das Trennende stellen.
Bundespräsident bedankt sich für beherztes Engagement
Heute Abend haben wir besonderen Grund, Danke zu sagen. Damit wir alle in Ruhe und behütet feiern können, sind Sie heute unterwegs: im Streifenwagen, auf der Polizeiwache, bei der Feuerwehr, bei der Bundeswehr. Oder Sie, in den Kliniken, in den Heimen oder in den Einrichtungen, die sich auch heute um andere Menschen kümmern, um Menschen in seelischer Not, um Menschen ohne Dach überm Kopf! Danke, dass Sie da sind.
Es gibt Millionen Menschen wie Sie, die sich entschieden und beherzt für andere einsetzen, die sich für ein friedliches Zusammenleben in einer Gesellschaft der Vielen engagieren. Und diese Menschen sind es, die mir Mut machen. Sie bringen Wärme in unser Land.
Steinmeier: "Ja, wir stehen vor großen Herausforderungen"
Sie alle stärken, was uns verbindet. Auch deshalb ist mir um die Zukunft unseres Landes nicht bange. Ja, wir stehen vor großen Herausforderungen. Und ja, es ist anstrengend. Aber ich finde, wir haben allen Grund, uns als Gesellschaft zu vertrauen und uns auch etwas zuzutrauen.
Im nächsten Jahr feiern wir den 75. Geburtstag unserer Demokratie. Unser Grundgesetz wird 75 Jahre alt. Und schon seit 34 Jahren gilt es für unser ganzes wiedervereinigtes Land. Das ist für uns alle ein Grund zu feiern.
Unsere Verfassung ist etwas, worauf wir stolz sein dürfen. Sie schützt und würdigt jeden einzelnen Menschen. Das ist viel. Aber noch nicht alles. Sie bietet das stabile Gerüst, in dem Politik sich entfalten kann. Und wenn notwendig, sich auch korrigieren kann. Das ist etwas, das nur die Demokratie kann! Dieses Fundament hat unser Land bisher gut getragen, auch dann, wenn es mal schwieriger wurde. Und ich bin überzeugt: Es wird uns auch in Zukunft tragen. Und deshalb will ich uns alle ermutigen, auf dieses Fundament zu vertrauen. Machen wir uns doch öfter bewusst: Deutschland ist und bleibt ein gutes Land.
Steinmeier ermutigt zu Aufgeschlossenheit und Vertrauen
Ich weiß nicht, liebe Landsleute, wie es Ihnen geht: Ich persönlich mag mir kein Deutschland vorstellen, in dem sich alle zurückziehen. Und ich bin überzeugt: Als vernünftige und verantwortungsbewusste Menschen können wir gemeinsam mit einer Welt zurechtkommen, die uns fordert; können wir Aufgaben meistern, die sich all unseren europäischen Nachbarn ganz genauso stellen. Das kann und das wird uns gelingen, wenn wir uns anstrengen, wenn wir zusammenstehen und zusammenbleiben.
In diesem Sinne: Verschließen wir uns nicht voreinander! Ziehen wir uns nicht die Decke über den Kopf! Verschwenden wir nicht unsere Kraft im täglichen Gegeneinander. Sondern: Vertrauen wir der Stärke und der Erfahrung, die in uns steckt. Vertrauen wir auf uns. Und lassen wir uns anstecken von der Zuversicht, die uns die Weihnachtsbotschaft sendet. Blicken wir mit dieser Zuversicht mutig ins Neue Jahr!
Frohe Weihnachten für Sie und Ihre Liebsten!
Die Weihnachtsansprache von 2022 von Bundespräsident Steinmeier finden Sie hier:
Quelle: ZDF
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