Wollte Jan Marsalek Ziele per Handydaten ausspionieren?

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    Spionageverdacht für Russland:Wollte Marsalek Ziele per Handy ausspähen?

    von Arndt Ginzel, Nils Metzger, Christian Rohde
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    Jan Marsalek soll für Russland spioniert haben. E-Mails des Ex-Wirecard-Managers geben Hinweise. Nutzten mutmaßliche Agenten Moskaus IT-Sicherheitslücken zur Handy-Überwachung?

    Fahnungsplakat Jan Marsalek
    Jan Marsalek ist immer noch auf der Flucht seit der Insolvenz des Zahlungsunternehmens Wirecard. Parlamentarier vermuten, dass russische Geheimdienstaktivitäten dahinterstecken. 01.03.2024 | 2:29 min
    Der nach Russland geflohene Wirecard-Topmanager Jan Marsalek soll Spionage für Moskaus Geheimdienste betrieben haben. Eine gemeinsame Recherche von ZDF frontal, "Spiegel", "Standard" und "The Insider" fand zahlreiche neue Hinweise, die diesen Verdacht erhärten.
    Ermittler in mehreren europäischen Ländern werfen Marsalek vor, Netzwerke mit Kontaktpersonen unterhalten zu haben, die Zielpersonen ausgeforscht haben sollen. Das soll bis zu Entführungs- und Attentatsplänen gereicht haben.

    Mutmaßliche Spione gaben sich als US-Journalisten aus

    Eine solche von Marsalek mutmaßlich angeleitete Gruppe steht derzeit in Großbritannien vor Gericht. Nach außen hin führten die fünf Bulgaren, drei Männer und zwei Frauen, ein unscheinbares Leben. Als Beamte im Februar 2023 ihre Wohnungen durchsuchten, fanden sie Überwachungstechnik, gefälschte Presseausweise und Kleidung mit den Logos von US-Fernsehsendern.
    Zwischen August 2020 und Februar 2023 soll Marsalek die Gruppe beauftragt haben, Zielpersonen in Europa, darunter auch Journalisten, auszuforschen und zu verfolgen. So steht es in den Anklageschriften der britischen Behörden.
    TN: War Jan Marsalek russischer Spion?
    Der größte Wirtschaftsskandal Deutschlands wird zugleich zum Spionagefall: ZDFheute live mit Details über den ehemaligen Wirecard-Manager Marsalek und seine Geheimidentität.01.03.2024 | 29:43 min

    Angeklagter sollte Marsalek-Handy wiederbeschaffen

    Eine der Personen, der in London der Prozess gemacht wird, ist Orlin Roussew, ein IT-Unternehmer. Mit ihm steht Marsalek bereits deutlich länger in Kontakt, mindestens seit Frühjahr 2015. Auf Marsaleks Dienstrechner wurden entsprechende E-Mails gefunden, worin er dem Wirecard-Vorstand ein Spezialhandy eines chinesischen Herstellers anbietet. ZDF frontal liegen die E-Mails vor.
    Auch als Marsalek im März 2015 sein Handy in einem Taxi verliert, wendet er sich an Roussew: "Hi Orlin, kannst du vielleicht eine Push-Nachricht auf den Sperrbildschirm meines Handy schicken und eine Belohnung ausrufen für die Rückgabe?" So weit, so unverdächtig. Doch in seiner Antwort an Marsalek gibt Roussew einen wichtigen Hinweis. Darin heißt es:

    Meine Hilfe war nicht besonders groß… Aber ich werde dir die SS7-Logdateien schicken, sobald ich sie habe.

    E-Mail von Orlin Roussew an Jan Marsalek

    Die Erwähnung des unscheinbaren Kürzels "SS7" wirft eine schwerwiegende Frage auf: Könnte der Marsalek-Kontakt über Jahre hinweg Handydaten genutzt haben, um nichtsahnende Personen auszuforschen?
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    Der Fall Wirecard ist das größte Wirtschaftsverbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Pav Gill war der Mann, der als Whistleblower das ganze Lügengebäude zum Einsturz brachte.29.02.2024 | 14:43 min

    Wie mit SS7-Daten Personen ausgespäht werden können

    SS7 ist ein weltweiter Standard für Fest- und Mobilfunknetze. Darin ist festgelegt, wie Netze und Endgeräte miteinander kommunizieren. Wer Zugang zu diesem System hat, kann damit Orts- und Verbindungsdaten, sogar SMS und Gesprächsinhalte auslesen. Seit vielen Jahren sind Sicherheitslücken bekannt. Bei der NSA-Überwachung des Handys von Angela Merkel soll SS7 eine Rolle gespielt haben, China, Saudi-Arabien und weitere Länder nutzen die Protokolle, um Oppositionelle zu orten und auszuspähen.

    Der Zugang zum SS7-Netz ist ein Spionage-Werkzeug, wie man es sich besser kaum vorstellen könnte.

    Karsten Nohl, IT-Sicherheitsexperte

    In Deutschland warnte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bereits 2017 öffentlich vor "SS7-Schwachstellen", mit denen Gespräche aufgezeichnet werden könnten. Auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion antwortete die Bundesregierung im Juni 2023: "Nach Kenntnis der Bundesregierung sind den deutschen Mobilfunknetzbetreibern die Schwachstellen der SS7-Signalisierung (…) bekannt." Eine vollständige Ablösung des SS7-Protokolls sei jedoch in näherer Zukunft nicht geplant, so die Bundesregierung. Die Gefahren bleiben also weiterhin.
    Roderich Kiesewetter (CDU), stellv. Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums bei ZDFheute live
    Es müsse ein parlamentarisches Nachspiel geben und geklärt werden ob russische Dienste Geld gewaschen haben, fordert Roderich Kiesewetter vom Parlamentarischen Kontrollgremium. 01.03.2024 | 8:04 min

    Gründeten Marsalek-Kontakte Firmen, um SS7-Zugang zu bekommen?

    Selbst Sicherheitsmaßnahmen der Netzbetreiber könnten Kriminelle und Agenten leicht austricksen, wenn sie selbst als Mobilfunkanbieter posieren und darüber Zugangsdaten zu SS7 erhalten. Dass Kontakte von Marsalek solche Pläne verfolgten, legen weitere E-Mails und verdächtige Firmengründungen nahe.

    Aufgrund des hohen Missbrauchspotenzials von SS7 wird natürlich nicht jeder ans SS7-Netz gelassen, nämlich nur Firmen, die ein berechtigtes Interesse haben.

    Karsten Nohl, IT-Sicherheitsexperte

    Hier kommt Anton Grischaew ins Bild. Der russische Unternehmer hat in ganz Europa Internet- und Mobilfunkfirmen gegründet - in Deutschland, Polen, Tschechien und Lettland. In Lettland gar gemeinsam mit dem nun in London vor Gericht stehenden mutmaßlichen Agenten Roussew. Doch ums Gewinnen möglichst vieler Kunden schien es seinen Mobilfunkanbietern offenbar nicht zu gehen. Sie existierten vor allem auf dem Papier.
    Für Nohl ist dieses Verhalten klar verdächtig: "Wenn mutmaßliche russische Agenten Telefonfirmen gründen, könnte ein Beweggrund sein, Zugang zu SS7-Technologie und zum SS7-Netz zu bekommen."
    "Game Over - Der Wirecard-Skandal und die Folgen": Das Hauptgebäude von Wirecard mit Firmenlogo in Aschheim.
    Kleinanleger verlieren ihr Erspartes, Fondsmanager ihre Reputation, die Finanzaufsicht ihre Glaubwürdigkeit – die Wirecard-Pleite hat ein Beben auf dem Finanzmarkt ausgelöst.14.01.2021 | 59:24 min

    Eine Fake-Geschäftsadresse in Prag

    Auch in einer vorliegenden E-Mail Marsaleks wird Grischaew namentlich erwähnt - für den Wirecard-Manager sollte er eine von dessen Handynummern ins tschechische Netz übertragen. Eine Geschäftsadresse von Grischaew in Prag entpuppt sich als offenbar vorgeschoben, vor Ort findet man eine Jugendherberge.
    Über Telegram kommt dennoch ein Kontakt zu Grischaew zustande. Marsalek kenne er nur aus der Zeitung, schreibt er dort. "Ich habe Roussew etwa 2012 in Bulgarien kennengelernt. Er war mein Kunde, dann haben wir zusammen eine Firma in Lettland gegründet", bestätigt er. "Roussew hatte immer wieder komische Ideen. Telefonnummern über Landesgrenzen zu portieren, war so eine Idee", erzählt er.
    Ob Roussew Zugang zum SS7-Netz hatte? Das wisse er nicht. Eines ist Grischaew besonders wichtig und schickt eine Sprachnachricht: "Nein, für die russischen Nachrichtendienste habe ich nie gearbeitet." Auch mit Marsalek habe er nie direkt in Kontakt gestanden. Der lässt an seinen Anwalt geschickte Fragen des Reporter-Teams unbeantwortet.
    Das Gericht in London will nun aufklären, wen die mutmaßlichen Agenten für Russland im Visier hatten und welche Rolle Ex-Wirecard-Manager Marsalek dabei spielte - der bleibt für die Fahnder weiter unerreichbar unter der schützenden Hand Moskaus.
    Lesen Sie hier unsere gesamte Recherche zu den Spionagevorwürfen gegen Jan Marsalek:

    Ex-Wirecard-Manager in Russland
    :Geheimidentität von Jan Marsalek aufgedeckt

    Der nach Russland getürmte Wirecard-Manager tarnte sich als orthodoxer Priester. Neue Recherchen legen nahe, dass Jan Marsalek wohl jahrelang für Moskaus Geheimdienste spionierte.
    von Nils Metzger, Christian Rohde, Ulrich Stoll
    Collage aus Fotos - auch Fahndungsfotos - von Jan Marsalek
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