20 Jahre später: Wie der Irak-Krieg Irans Regime stärkte

    20 Jahre nach US-Invasion:Wie der Irak-Krieg Irans Regime stärkte

    Golineh Atai
    von Golineh Atai
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    Die "Operation Freiheit" der USA sollte den Irak demokratisch und frei machen. Stattdessen: Vertreibung, Mord und nach wie vor große Angst vor dem mächtigen Nachbarn Iran.

    Der Diktator Saddam Hussein - einst Herrscher im Irak. Seine Heimatstadt: Tikrit. Genau hier treffe ich auf einer Drehreise mit unserem Fernsehteam Scheich Nidhal Hamidi. Er weiß, wie sehr die Menschen in diesem Land nach wie vor unter den Folgen der US-Invasion und dem Schrecken, der danach geschah, leiden.

    Irans mächtiger Einfluss im Irak

    Scheich Nidhal Hamidi führt mich zu einer Familie, die seit Jahren nicht in ihr nur wenige Kilometer entferntes Heimatdorf Al-Audscha zurückkehren kann, und in einer heruntergekommenen Behausung leben muss. Ich mache die Kamera aus, und er sunnitische Scheich flüstert:

    Die Entscheidung darüber, dass Tausende Vertriebene wieder in ihre Häuser zurückkehren können, fällt nicht unsere Regierung. Sondern der Iran. Keiner sonst.

    Scheich Nidhal Hamidi

    Scheich Nidhal Hamidi
    Scheich Nidhal Hamidi und seine Familie haben ihr Zuhause verloren.
    Quelle: ZDF

    Ein Satz, der die Machtverhältnisse auf den Punkt bringt. Saddam Husseins Geburtsort Al-Audscha ist unter der Kontrolle pro-iranischer, schiitischer Milizen. Für die kommt eine Rückführung der Vertriebenen nicht in Frage. "Wir werden gedemütigt und für alle Probleme des Landes verantwortlich gemacht - nur weil wir entfernte Verwandte Saddam Husseins sind", erklärt Asmaa, deren Haus und Garten nun anderen gehört: den pro-iranischen Milizen, die eigentlichen Sieger der Kriege im Irak und der US-Invasion 2003.
    Irans Einfluss im Nachbarstaat Irak wächst:

    Vertreibung und Mord in Tikrit - durch pro-iranische Milizen

    Tikrit steht für Vertreibung, Verschleppung und Mord. Mehr als 10.000 Familien haben ihre Männer, Söhne, Brüder und Väter verloren, als pro-iranische Milizen neben der US-Armee und irakischen Streitkräften den IS aus Tikrit vertrieben - und dabei, wie Augenzeugen berichten, Tausende zumeist unschuldige Männer aus sunnitischen Gegenden verschleppten und sehr wahrscheinlich töteten.
    Im Irak spricht man unter vorgehaltener Hand von "demographischen Änderungen", und meint dabei Säuberungen vor allem pro-iranischer Milizen.

    ... werden von einem Staat initiiert oder geduldet, um eine nationale oder religiöse Gruppe aus einem Gebiet zu vertreiben. Zu den systematischen Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung zählen Drohungen, wirtschaftlicher Druck, physische Gewalt, Deportationen und Völkermord. Dadurch soll ein kulturell und politisch homogenes Gebiet geschaffen werden. Bereits das Londoner Statut von 1945 - Rechtsgrundlage für die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse - führt die "ethnische Ausrottung" als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" auf.
    Quelle: dpa

    Wer ihre Terrorspur klar benennt, und die Korruption und die Waffen im Land anprangert, mittels derer sie das Land beherrschen, lebt gefährlich. Yasser Adnan Al-Nassery, ein Aktivist aus Tikrit, wird dennoch nicht müde, für neue Werte im Irak zu kämpfen. Für ein Land, das sich von Korruption und iranischer Kontrolle befreien und sich endlich entwickeln kann.

    Das Leben der Menschen ist hier immer bedroht. Ich bin einer der Bedrohten. Meine Freunde, die mit mir in Bagdad demonstrierten, auch.

    Yasser Adnan Al-Nassery, Aktivist aus Tikrit

    Yasser Adnan Al-Nassery
    Aktivist Yasser Adnan Al-Nassery kämpft für neue Werte im Irak.
    Quelle: Privat

    "Wenn sie keine Drohungen bekommen, dann bekommen sie Probleme bei der Arbeit, oder werden ihrer Rechte beraubt. Je nachdem, wie weit wir die rote Linie der Milizen überschreiten", sagt Al-Nassery. Die Angst beherrsche die gesamte Gesellschaft, ist er überzeugt.
    Aktivist Al-Nassery nimmt mich mit zu den Flüchtlingsfrauen, die er mit privaten Spenden unterstützt. Neben Müllhalden stehen, auf einem neuen Zementboden, ihre Zelte und Unterkünfte. Sunnitische Familien, deren Männer mittlerweile von der Regierung für tot erklärt wurden. Aber weder untersucht der Staat, wie es dazu kommen konnte, wer die Täter waren und wo das passierte. Noch hilft er den Angehörigen oder unterstützt sie finanziell.
     Mehrere bewaffnete Männer stehen und sitzen vor einem Gebäude mit militärischen Plakaten.
    Irak 2006. Saddam Hussein wird verurteilt und hingerichtet. Doch nach seinem Tod kehrt keineswegs Frieden in das gespaltene Land zurück. Im Irak breitet sich der islamische Terrorismus aus.31.05.2021 | 44:08 min

    Neue Regierung im Irak: Machtübernahme pro-iranischer Kräfte?

    Seit Oktober hat der Irak eine neue Regierung. Beobachter sehen in der Ernennung des neuen Premierminister Mohammad Al-Sudani viele Zeichen für eine nun vollendete Machtübernahme pro-iranischer Kräfte in Bagdad. Nur wenige Monate nach Beginn ihrer Amtszeit setzte die neue Regierung plötzlich ein lange ruhendes Gesetz durch, das die Einfuhr von Alkohol verbietet. Sie nahm Menschen wegen angeblich moralisch anstößiger Inhalte in sozialen Medien fest.
    Irak
    Am 20. März 2003 - heute vor 20 Jahren - verkündete US-Präsident George W. Bush den Beginn der Invasion in den Irak.20.03.2023 | 2:22 min
    Im Dezember wurde ein Aktivist zu drei Jahren Haft verurteilt - weil er auf Twitter eine pro-iranische Miliz beleidigt habe. Selbst Abgeordnete, die über die Rolle der Milizen bei Entführungen und Tötungen sprechen, werden mit Klagen überzogen. Auch die Berichterstattung von ausländischen Journalistinnen und Journalisten wird zunehmend eingeschränkt.
    In einer Studie aus dem Jahr 2019 räumte die US-Armee ein, dass ihr "Krieg gegen den Terror" vor allem einen Sieger hervorbrachte: einen expansionistischen Iran. Ein Nachbar, der seit Jahren den Irak mit seinen Waren überschwemmt, um dadurch an dringend benötigte US-Dollar heranzukommen. Und der seinen Einflussbereich quer über den Irak nach Syrien und Libanon immer weiter ausbaut - auf Kosten der Zivilgesellschaften, die die das iranische Regime für die Rückständigkeit und Rechtelosigkeit ihrer Länder verantwortlich machen.

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