Djir-Sarai: Iraner wollen "Freiheit und Demokratie"

    Interview

    FDP-Politiker Djir-Sarai im ZDF:Iraner wollen "Freiheit und Demokratie"

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    FDP-Generalsekretär Djir-Sarai kam als Elfjähriger aus Iran nach Deutschland. Im ZDF-Interview macht er deutlich, warum die jetzigen Proteste eine neue Dimension haben.

    ZDF: Sie haben drei Patenschaften übernommen. Warum ist das für sie mehr als nur Symbolik? Wie können Sie diesen Personen aus dem fernen Berlin helfen?
    Bijan Djir-Sarai: Zunächst einmal: Derzeit werden im Iran viele Menschen hingerichtet. Viele Menschen sitzen im Gefängnis, werden gefoltert. Andere Menschen verschwinden einfach, ohne dass die Familien irgendeine Spur haben oder wissen, wo diese Personen sich aufhalten. Das heißt, es finden im Iran derzeit eklatante Menschenrechtsverletzungen statt. Und aus meiner Sicht ist das ein Instrument, um zu sagen, dass uns jede Person wichtig ist und dass jede Biografie einzigartig ist.
    Und vor allem, dass wir diese Personen nicht vergessen. Das heißt, man hat hier eine Person, man spricht über die Person, man schafft Öffentlichkeit für diese Person. Und man schreibt beispielsweise auch die Botschaft an, die Botschaft des Iran, und protestiert, dass wir das nicht hinnehmen, dass hier eklatante Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Das heißt, es geht darum, diesen Menschen noch mal ein Gesicht zu geben.
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    ZDF: Ein Gesicht und auch eine Stimme. Sie sind als Elfjähriger aus Iran nach Deutschland gekommen und haben immer noch enge Kontakte zur iranischen Gemeinschaft. Was hören Sie über die Proteste im Iran?
    Djir-Sarai: Also zunächst einmal sind diese Proteste nicht vergleichbar mit den Protesten der Vergangenheit. Das, was wir gerade im Iran erleben, das ist ein revolutionärer Prozess. Und diese Demonstrationen, die gehen weiter, auch wenn derzeit wenig Berichterstattung möglich ist. Und auch wenn dieses Regime gerade, auch sehr brutal, gegenüber den Menschen auf der Straße vorgeht. Aber trotzdem gehen die Demonstration weiter.
    Es gibt Regionen im Iran, wo nach wie vor kriegsähnliche Zustände herrschen, auch, wie gesagt, wenn es wenig Berichterstattung darüber gibt.

    Aber die Menschen sind nach wie vor entschlossen, die sind auf der Straße. Sie wollen keine Reformen oder punktuelle Veränderung, sondern sie wollen die Abschaffung der Islamischen Republik.

    Bijan Djir-Sarai, FDP-Generalsekretär

    ZDF: Wie schätzen Sie das ein? Was haben die Proteste bislang im Land positiv für die Demonstrierenden verändert?
    Djir-Sarai: In der Vergangenheit war es so, dass im Iran immer nur bestimmte Gruppen demonstriert haben. Bestimmte Berufsgruppen oder bestimmte Gruppen wie Umweltverbände, Lehrer, Gewerkschaften, Händler, Studenten. Und dieses Mal haben wir eine Situation, wo das ganze Land im Prinzip auf der Straße steht. Man ist erstmalig vereint. Und die Ziele, die man dort verfolgt oder das Ziel, das man verfolgt, ist an der Stelle einheitlich, nämlich die Abschaffung der Islamischen Republik. Das eint die Menschen, die gerade auf der Straße sind.
    Und die sagen: "Wir haben es satt. Wir wollen nicht mehr die Korruption der letzten Jahre. Wir wollen nicht die Lügen der letzten Jahre. Wir wollen, dass dieses System ein Ende nimmt". Und, ich sage das auch an dieser Stelle, das ist nicht vergleichbar mit Bewegungen oder wie das, was wir in der Vergangenheit mit dem Arabischen Frühling erlebt haben.

    Die Zivilgesellschaft im Iran ist eine demokratische Zivilgesellschaft, und auch das eint die Menschen. Sie wollen Freiheit und Demokratie.

    Bijan Djir-Sarai, FDP-Generalsekretär

    ZDF: Sie sind ja der Meinung, dass Deutschland und die EU zu wenig tun. Sie fordern, dass die Revolutionsgarden auf die Terrorliste der EU gesetzt werden. Der Auswärtige Dienst der EU bezweifelt jedoch, ob das überhaupt juristisch möglich ist. Brauchen die Demonstrierenden im Iran nicht eine ganz andere Form der Unterstützung, eine, die sie wirklich stärkt?
    Djir-Sarai: Also zunächst einmal, das ist juristisch möglich, wenn man das will. Es gibt einen bestimmten Grund, warum die Europäische Union das nicht will. Nämlich, die Europäische Union setzt darauf, dass in einigen Tagen oder in einigen Wochen man im Prinzip zu der alten Iran-Strategie der EU zurückkehren kann, das heißt, verhandeln. Das Atomabkommen mit dem Iran soll wiederum im Fokus stehen und weniger die Unterstützung der Menschen, die gerade auf der Straße sind.
    Nein, man muss sich das so vorstellen, die Revolutionswächter, das ist ja nicht irgendeine Miliz-Einheit, sondern das ist eine tragende, eine wesentliche Säule der Islamischen Republik, das ist ein Wirtschaftskonzern, sie haben eigene Unternehmen, haben eigene Stiftungen, haben eigene Geheimdienste.
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    Und wenn eine solche Organisation im Grunde genommen ganz klar sanktioniert wird, die Vermögenswerte sanktioniert werden, Finanzierungsmöglichkeiten nicht mehr gegeben sind und eine solche Organisation tatsächlich auch aufgelistet wird als Terror-Organisation, dann ist es eine gewaltige Hilfe für die Revolution im Iran, für die Menschen, die auf der Straße sind.
    ZDF: Sie halten ja das Atomabkommen mit dem Iran falsch und würden es am liebsten stoppen. Ist es nicht gefährlich, diese diplomatischen Gespräche komplett zu kappen und damit ja auch jeglichen diplomatischen Kontakt zum Regime zu beenden?
    Djir-Sarai: Ich bin seit einigen Jahren schon der Meinung, dass dieses Atomabkommen sinnlos ist. Denn diese Fokussierung auf das Atomabkommen ist nicht hilfreich. Wir müssen ganz klar über die Rolle der Menschenrechte im Iran reden, also diese eklatanten Menschenrechtsverletzungen. Wir müssen über die Rolle des Iran in der gesamten Region reden, denn diese Rolle ist nicht konstruktiv.
    Und daneben gibt es auch noch ein Raketenprogramm des Iran. Auch darüber redet man viel zu wenig. Man wundert sich zwar, welche technischen Möglichkeiten der Iran inzwischen hat. Das wird übrigens auch in der Ukraine von Russland eingesetzt. Auch diese Dinge wundert man sich. Aber man hat da in der Vergangenheit nichts getan, sondern sich im Wesentlichen nur auf das Atomabkommen fokussiert. Das ist definitiv die falsche Strategie. Man kann übrigens auch nicht mit einem Regime verhandeln, das über keinerlei Legitimation bei der eigenen Bevölkerung genießt. Darüber muss man sich im Klaren sein. Und Verhandlungen mit so einem Regime sind nicht zielführend.
    Also die Gelder, die ins Land kommen, dadurch, dass Sanktionen wegfallen, die kommen ja nicht den Menschen im Iran zugute, sondern die Gelder werden hauptsächlich eingesetzt, um quasi außenpolitische Aktivitäten des Iran in der Region zu finanzieren. Und die Menschen in der Region lehnen dieses Atomabkommen ab, Israel lehnt dieses Atomabkommen ab, die arabische Welt lehnt dieses Atomabkommen ab. Ich wundere mich, warum wir glauben, die Dinge besser zu wissen als die Menschen, die in dieser Region leben.
    Das Interview führte ZDF heute journal update-Moderatorin Nazan Gökdemir.
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