Frauenproteste in Iran: Was ein Jahr nach Aminis Tod bleibt

    Massendemos und Frauenproteste:Iran: Was ein Jahr nach Aminis Tod bleibt

    Jörg Brase
    von Jörg Brase, Teheran
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    Monatelang gingen die Menschen in Iran gegen ihre Regierung auf die Straße. Das Regime reagierte mit brutaler Gewalt. Mittlerweile ist wieder Ruhe eingekehrt. Doch die Wut bleibt.

    Jemand hält das Foto der verstorbenen Mahsa Amini und reckt seine Faust daneben in die Luft.
    Vor einem Jahr starb Mahsa Amini nach ihrer Festnahme in Iran. Ihr Tod löste monatelange Massenproteste aus. Zum Todestag sind Demos angekündigt.16.09.2023 | 1:28 min
    "Sie nutzen alle Hebel, um Druck auszuüben, damit am Todestag von Mahsa Amini Angst und Schrecken herrschen und die Leute nicht auf die Straße gehen," sagt der Soziologieprofessor Ahmad Bokharaei. Er gehört zu den wenigen, die es im Vorfeld des Todestages wagen, offen vor der Kamera eines Auslandsmediums zu sprechen.
    Die meisten anderen winken ab, aus Angst. Zu stark ist der Druck der iranischen Regierung und der Sicherheitsbehörden. So wurden über einhundert Professoren entlassen oder in den Vorruhestand gedrängt, wegen mangelnder akademischer Leistungen, wie es offiziell hieß.
    Doch tatsächlich konzentrierten sich die Behörden eher "auf das Zentrum des gesellschaftlichen Widerstands, die Studenten und Akademiker," vermutet Soziologe Dr. Bokharaei, "sie wollen damit auch andere Professoren einschüchtern."
    Ali Khamenei - Iran
    Am 16. September 2022 wurde die junge Kurdin Mahsa Amini offiziell für tot erklärt. Es folgten heftige Proteste in Iran. Ein Jahr nach der Revolte kehren wir zurück.13.09.2023 | 6:20 min

    Viele Todesurteile gegen Demonstranten verhängt

    Nach Monaten heftiger Proteste, die auf den Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Amini am 16. September 2022 folgten, war es zuletzt wieder ruhig geworden in der Islamischen Republik Iran. Das Regime hatte Zehntausende festgenommen, es hatte zahlreiche Tote und Verletzte gegeben, und nicht zuletzt wurden viele Todesurteile gegen Demonstranten verhängt und in sieben Fällen auch vollstreckt.
    Die iranische Flagge
    Seit Jahresbeginn sollen im Iran 200 Menschen exekutiert worden sein, Menschenrechtler sprechen von einer Hinrichtungswelle. Nun meldete Teheran drei weitere Hinrichtungen.19.05.2023 | 1:34 min
    Die Härte der Staatsmacht verfehlte ihre Wirkung nicht: Die Demonstrationen hörten auf. Stattdessen aber wagten sich immer mehr Frauen ohne Kopftuch auf die Straßen. Nicht nur in Teheran, auch in anderen Städten des Landes wuchs das Selbstbewusstsein, sich nicht mehr der strengen islamischen Kleiderordnung zu unterwerfen.

    Immer mehr Frauen trauen sich ohne Kopftuch auf die Straße

    Die Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Shima Ghoosheh empfängt uns in ihrer Kanzlei im Westen Teherans. Bevor wir unser Fernsehinterview beginnen, zieht sie ihr Kopftuch wieder auf. Im Gerichtssaal und vor der Kamera sei es besser, die Kleiderordnung zu beachten, meint sie, andernfalls drohe Berufsverbot.
    Wie Ghoosheh praktizieren es mittlerweile viele Frauen in Iran. Beim Betreten öffentlicher Gebäude, bei öffentlichen Auftritten oder beim Autofahren tragen sie den Hijab. Sobald aber zum Beispiel die Ticketkontrolle in der U-Bahn passiert wurde, verschwindet das Kopftuch wieder in der Handtasche.
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    In Van, im Südosten der Türkei verbringen viele Iraner ihren Urlaub in Freiheit. Hier legen Frauen ihre Kopftücher ab, da sie keine Verfolgung fürchten. 13.09.2023 | 5:49 min

    Frauen sind sich jetzt ihrer Rechte bewusst

    Mittlerweile, so sagt Ghoosheh, würden auch die Anfeindungen gegenüber Frauen ohne Kopftuch immer weniger, und das gelte auch in ländlichen Gebieten. "Die Akzeptanz ist gestiegen," meint die Juristin, und die Situation für die Frauen im Land habe sich grundsätzlich verändert. "Frauen sind sich ihrer grundlegenden Rechte bewusst geworden, vor allem ihres Rechts auf den eigenen Körper."
    Die Fraktion der religiös-konservativen Hardliner, angeführt von Staatsoberhaupt Khamenei und Präsident Raisi, will die Kopftuchregeln zwar verschärfen und droht mit härteren Strafen bei Verstößen gegen die Kopftuchpflicht.
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    Junge Iraner wenden sich vom Regime ab

    Doch dieser Kurs ist selbst im von Konservativen dominierten Parlament nicht unumstritten. Für viele geht es dabei um die Gefahr, die junge Generation komplett zu verlieren. Die allermeisten haben sich längst vom Regime abgewandt.
    "Wenn sie nicht auf die Forderungen der Menschen eingehen," sagt Mostafa Faghihi, Chefredakteur der kürzlich von der Medienaufsicht verbotenen Zeitung Entekhab, "dann wird der Graben zwischen Volk und Regierung noch größer als er in den vergangenen Jahren bereits geworden ist."
    Auf Dauer, ist sich Faghihi sicher, wird die Politik der Unterdrückung keinen Erfolg haben können, auch wenn es am Jahrestag von Mahsa Aminis Tod auf den Straßen ruhig bleiben sollte. Ob er glaube, dass es vielleicht doch Proteste geben könnte, wollen wir wissen. "Kein Kommentar," lautet seine Antwort. Mehr will er nicht sagen. Faghihi hofft darauf, dass seine Zeitung bald wieder erscheinen darf. "25 Familien hängen davon ab," sagt er.
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