Geflüchtete zu faul zum Arbeiten? Palmer polarisiert wieder

    Geflüchtete zu faul zu arbeiten?:Asyl-Statistik: Palmer polarisiert wieder

    Oliver Klein
    von Oliver Klein
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    Tübingens OB Boris Palmer sagt: Die Hälfte der Geflüchteten arbeitet nicht und lebt von Stütze. "Müßiggang" sei "keine gute Integrationsvoraussetzung". Was ist an dem Vorwurf dran?

    Politiker Boris Palmer zu Gast bei Markus Lanz.
    Manche Geflüchteten führen ein Leben in "Luxus" von Stütze - die umstrittenen Aussagen von Boris Palmer im Video.17.02.2023 | 3:59 min
    Wie gut sind Geflüchtete, die in den Jahren ab 2015 nach Deutschland kamen, inzwischen im Arbeitsmarkt integriert? Wie hoch ist der Anteil derer, die arbeiten - und wie hoch der Anteil der Empfänger von Stütze? Um diese Fragen ging es am Donnerstagabend in der ZDF-Talkshow Markus Lanz, vor dem Hintergrund des Flüchtlingsgipfels am Donnerstag in Berlin, der aktuellen Diskussion um die Einwanderungspolitik und Rekordzahlen von Geflüchteten im Jahr 2022. Mit dabei: Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, früher Parteimitglied bei den Grünen, jetzt parteilos - derzeit ruht seine Mitgliedschaft.
    Nicht jeder komme "als protestantischer Workaholic auf die Welt", witzelte Palmer zu Beginn. Es gebe auch Menschen, die dem "Müßiggang huldigen". Palmer ist dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Doch eine von ihm zitierte Statistik aus dem Jahr 2021 zu Geflüchteten in seiner Stadt Tübingen wirft Fragen auf.

    Palmer: Müßiggang "keine gute Integrationsvoraussetzung"

    Mit Blick auf Geflüchtete, die seit Jahren in Tübingen leben, sagte Palmer: "25 Prozent sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt (...), 25 Prozent sind in irgendeiner Art von Qualifikation, Fortbildung, Integrationskurs, was auch immer. Und 50 Prozent sind schlicht nicht tätig. In keiner Weise." Den meisten von ihnen wäre es aber erlaubt zu arbeiten, so Palmer. Und deshalb seien "sechs Jahre Müßiggang bestimmt keine gute Integrationsvoraussetzung".
    Palmer nennt als konkretes Beispiel einen syrischen Malermeister - dieser habe ihm gesagt: "Ich hab fünf Kinder, da krieg ich soundsoviel Geld, wenn ich jetzt arbeite, steh ich nicht besser da. Ich bin zwar ausgebildeter Malermeister, aber ich bin jetzt lieber bei meinen Kindern zu Hause."

    Den Luxus würde sich vielleicht mancher, der hier geboren ist, auch gerne leisten.

    Boris Palmer über Geflüchtete, die angeblich nicht arbeiten wollen

    Zum Jahreswechsel hat das "Bürgergeld" das bisherige "Hartz IV" abgelöst.

    Mehrzahl der geflüchteten Syrer erhält noch immer Stütze

    Was ist dran an Palmers Zahlen? Deutschlandweit lebte nach den aktuellsten Daten der Bundesagentur für Arbeit im Oktober 2022 immer noch mehr als die Hälfte (55,4 Prozent) der Geflüchteten aus Syrien von Hartz IV. Darin enthalten sind allerdings auch Erwerbstätige, die zwar Geld verdienen, deren Lohn aber nicht für den Lebensunterhalt reicht und die zusätzlich Hilfe erhalten.
    Der Anteil der Stütze-Empfänger sinkt seit einem Höchststand im Jahr 2017 von fast 86 Prozent kontinuierlich. Gleichzeitig steigt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus Syrien ebenso stetig an - im April 2021 hatten 27,4 Prozent der Syrer im erwerbsfähigen Alter eine sozialversicherungspflichtige Arbeit.
    Bei der Unterbringung von Geflüchteten kommen viele Kommunen an ihre Grenzen:

    Tübinger Statistik: Gut 20 Prozent der Geflüchteten gehen arbeiten

    ZDFheute liegt auch die Tübinger Statistik vor, auf die sich Palmer beruft. Sie steht in einem Bericht, der Anfang 2021 von der städtischen "Fachabteilung Hilfen für Geflüchtete" vorgelegt wurde. Die Zahlen unterscheiden sich von den Aussagen Palmers, wenn auch nicht grundsätzlich. Von 645 Geflüchteten zwischen 18 und 60 Jahren in Tübingen waren im Erhebungszeitraum der Statistik:
    • 22,7 Prozent in sozialversicherungspflichtiger oder sonstiger Arbeit beschäftigt
    • 20 Prozent in einem Sprachkurs
    • 2,5 Prozent in Arbeitsqualifikationsmaßnahmen
    • 8,7 Prozent in Ausbildung
    "Die verbleibenden 46 Prozent sind derzeit noch auf der Suche nach einer der genannten Arten der Beschäftigung, bzw. haben keine Angaben diesbezüglich gemacht", heißt es in dem Bericht.
    Die Kommunen zeigten sich nach dem Flüchtlingsgipfel am Donnerstag enttäuscht:

    Sozialverband wirft Palmer "Stimmungsmache" vor

    Doch bedeutet das, dass damit fast die Hälfte der Geflüchteten jahrelangem "Müßiggang huldigen", wie Palmer sagt? Diese Aussage will Ulrich Schneider, Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, nicht gelten lassen. Er wirft Palmer "Stimmungsmache" vor. Dass fast die Hälfte der Geflüchteten keiner Arbeit nachgeht, findet Schneider "keine schockierende Zahl".

    Wenn das tatsächlich alles "Müßiggänger" wären, dann wäre das ja wirklich nicht auszuhalten. Aber man muss fragen: Warum arbeiten die nicht?

    Ulrich Schneider, Paritätischer Wohlfahrtsverband

    "Da sind sicher Menschen drunter, die wollen arbeiten, finden aber keine Arbeit. Und viele, die zwar grundsätzlich im erwerbsfähigen Alter sind, stehen trotzdem nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung - weil sie zum Beispiel krank sind oder kleine Kinder haben. Das ist nicht alles so einfach, das müsste Palmer eigentlich besser wissen."
    Geflüchtete aus der Ukraine besuchen einen Deutschkurs
    30.06.2022 | 2:01 min
    Ukrainische Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt:

    Viele Bürgergeld-Empfänger können nicht arbeiten

    In Deutschland seien beispielsweise von den insgesamt fast vier Millionen Empfängern von Hartz IV (ab 2023 Bürgergeld) nur etwa eineinhalb Millionen Menschen tatsächlich arbeitslos - "die anderen stehen dem Arbeitsmarkt einfach nicht zur Verfügung", so Schneider.

    Indem Palmer bei Menschen, die nicht arbeiten, von "Müßiggang" spricht, suggeriert er, dass sie arbeitsunwillig, also faul sind. Das ist mindestens grob fahrlässig.

    Ulrich Schneider, Paritätischer Wohlfahrtsverband

    Und was ist mit Palmers Beispiel des syrischen Malermeisters, der statt zu arbeiten lieber mit staatlicher Unterstützung ein Leben in "Luxus" auf Kosten des Steuerzahlers führt, wie Palmer sagt?

    Palmer bleibt bei seinen Aussagen

    Grundsätzlich würden auch manche Deutsche das Sozialsystem ausnutzen, warf Markus Lanz in der Talk-Sendung ein - "und da regen wir uns ja auch zu Recht drüber auf", so Lanz.
    Schneider kritisiert jedoch die Aussage von Palmer an sich: Dass jemand, der nicht arbeitet, genau so viel Geld vom Staat erhält, wie jemand, der arbeitet, entspreche nicht der Wahrheit: "Ich habe immer mehr, wenn ich arbeite. Bei Vollerwerbstätigkeit in der Regel 300 Euro und selbst bei einem Minijob 100 Euro. Das ist für Menschen, die am Existenzminimum sind, natürlich ein Anreiz zu arbeiten. Die ganze Diskussion und wie Palmer mit Statistiken umgeht, ist nicht seriös."
    ZDFheute hat mit Boris Palmer nach der Sendung über die Kritik des Paritätischen Wohlfahrtsverbands gesprochen. Palmer bleibt bei seinen Aussagen.

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