Russische Journalistin in München vergiftet?

    Jelena Kostjutschenko:Russische Journalistin in München vergiftet?

    Julia Klaus
    von Julia Klaus
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    Eine russische Exil-Journalistin wurde in München mutmaßlich vergiftet. Die Ermittlungen dauern an. Der oberste Geheimdienst-Kontrolleur von Notz will "nichts ausschließen".

    Screenshot insta-Profil von Jelena Kostjutschenko
    Screenshot Instagram-Profil von Jelena Kostjutschenko. Aufgenommen im Dezember 2022.
    Quelle: www.instagram.com/p/Cv938HiNqvA

    Als sie aus dem Zug, der sie aus München fortgebracht hatte, aussteigt, fühlt sich Jelena Kostjutschenko orientierunglos. Nur mit Mühe findet sie den Weg in ihre Wohnung in Berlin, wo sie sofort ins Bett fällt und einschläft. Doch in den folgenden Tagen und Wochen wird die russische Exil-Journalistin von Schmerzen gequält. Schmerzen, die sie erst nicht richtig einordnet. Sie geht zu Ärzten, die sie auf Hepatitis und andere Erkrankungen testen. Monate später dann der Verdacht: Kostjutschenko könnte vergiftet worden sein.
    So berichtet es die Journalistin in dem russischen Kreml-kritischen Medium "The Insider" - der "Spiegel" hat den Text auf Deutsch publiziert. Der Recherche zufolge könnte sie nicht die einzige russische Journalistin im Exil sein, die an rätselhaften Symptomen litt. Bei zwei weiteren Frauen - Natalija Arno und Irina Bablojan - steht ebenfalls der Verdacht im Raum, dass ein Giftanschlag auf sie ausgeführt wurde. Alle drei überlebten, leiden laut dem Bericht teils aber noch immer an Beschwerden.
    Zwei Personen stehen im Halbprofil vor der Tür zu einem Gebäude. Links eine junge Frau mit kurzem Haar, rechts ein uniformierter Polizist, der den Türgriff festhält. Beide tragen einen Mundschutz.
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    Der Fall Jelena Kostjutschenko

    Kostjutschenko hatte über viele Jahre in Russland für die Kreml-kritische Zeitung "Novaya Gazeta" gearbeitet. Nach dem russischen Einmarsch der Ukraine war sie für ihren Arbeitgeber in die Ukraine gereist und hatte von dort berichtet, wie sie es in einem Instagram-Post beschreibt. Doch als sie nach Mariupol fahren wollte, habe ihr Chef ihr davon abgeraten: Man wolle sie dort umbringen.
    Schließlich kam Kostjutschenko nach Berlin, wo sie im September mit der Arbeit für das Exil-Medium "Meduza" begann. In Deutschland wollte sie ein Visum für die Ukraine beantragen, musste dafür im Oktober 2022 nach München fahren. Nach dem Termin im Konsulat habe sie eine Freundin getroffen und sei mit ihr unter freiem Himmel essen gewesen. Währenddessen seien mehrfach Bekannte der Freundin vorbeigekommen - zwei Frauen und ein Mann - und Kostjutschenko habe sich gedacht: München scheint eine kleine Stadt zu sein.
    Das Essen sei für sie nicht genießbar gewesen, sie habe die Portion deshalb nicht aufgegessen. Auf dem Weg zum Bahnhof habe ihre Freundin dann angemerkt, dass sie unangenehm rieche und ihr ein Deo empfohlen. Im Zug dann habe sich Kostjutschenko, die an einem Buch arbeitet, kaum konzentrieren können. In Berlin angekommen, sei es schlimmer geworden.
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    Zunächst habe sie an eine Corona-Spätfolge gedacht. Zehn Tage später sei sie zu einem Arzt in Berlin. Tests folgten - bei unterschiedlichen Ärzten. Ihre Leber-Werte seien auffällig erhöht gewesen, Blut im Urin. Hepatitis und andere Krankheiten wurden getestet und ausgeschlossen. Schließlich habe sich der Verdacht einer Vergiftung aufgedrängt.
    Im Dezember ging sie dann zur Polizei, wo sie mehrere Stunden lang befragt worden sei. Nach so einer langen Zeit sei es aber schwer, noch etwas nachzuweisen, habe ein Ermittler zu ihr gesagt. Betreut wird der Fall laut "The Insider" von dem Mann, der auch mit dem Tiergarten-Mord befasst war. Laut der Recherche brachten Labortests bislang keine Ergebnisse.

    Staatsanwaltschaft Berlin: Verfahren wieder aufgenommen

    Im Mai dieses Jahres sei das Verfahren zunächst eingestellt worden, wie die Staatsanwaltschaft Berlin ZDFheute bestätigt. Der Grund: "Da sich aus den Ermittlungen zunächst keine Hinweise darauf ergeben hatten, dass versucht worden war, die Geschädigte anlässlich ihres Aufenthalts in München zu vergiften oder dass auf andere Art und Weise versucht worden war, sie zu töten."
    Doch seit Juli ermitteln sie weiter - wollen weitere Gegenstände untersuchen:

    Das Ermittlungsverfahren wurde im Juli 2023 wieder aufgenommen. Es wird geprüft, inwiefern auch eine Untersuchung weiterer Gegenstände aus dem Bereich der Geschädigten im Hinblick auf eine mögliche Tat derzeit noch zielführend ist.

    Staatsanwaltschaft Berlin

    Ob es schon einen ersten Verdacht gibt, will ein Sprecher wegen laufender Ermittlungen nicht mitteilen.

    Langer Arm des Kremls? Von Notz kann "nichts ausschließen"

    In dem Fall Jelena Kostjutschenko ist Vieles noch offen. Ist so etwas aber grundsätzlich vorstellbar? Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz, der im Bundestag Vorsitzender des die Geheimdienste kontrollierenden Parlamentarischen Kontrollgremiums ist, sagt ZDFheute:

    In diesen verrückten Zeiten kann man leider gar nichts ausschließen. Die im Raum stehenden Vorwürfe wiegen schwer. Deswegen muss ihnen jetzt sehr gewissenhaft nachgegangen werden.

    Konstantin von Notz, Parlamentarisches Kontrollgremium

    Kremlgegner erneut vor Gericht
    :Nawalny drohen weitere 20 Jahre im Straflager

    Der inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny steht in Russland wieder vor Gericht. Nawalny drohen zusätzlich zu seiner bestehenden Haftstrafe weitere 20 Jahre im Straflager.
    Alexej Nawalny ist per Videolink bei einer Anhörung auf einem Monitor im Moskauer Bezirksgericht Babushkinsky zu sehen, aufgenommen am 26.04.2023
    Dass der Kreml nicht davor zurückschreckt, missliebige Personen angreifen oder töten zu lassen, zeigen mehrere Anschläge, bei denen zumindest der Verdacht im Raum steht, dass sie staatlich angeordnet worden sein könnten:
    • Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny wurde vergiftet und überlebte nur knapp.
    • Im Berliner Tiergarten wurde ein Mann ermordet, ein Richter sprach von russischem "Staatsterrorismus".
    • Und auch in andere Länder dürfte der lange Arm des Kremls reichen: In Großbritannien gab es einen Giftanschlag auf Sergej Skripal, einen Überläufer des russischen Geheimdiensts.
    Die Exil-Journalistin Jelena Kostjutschenko hat noch immer mit der mutmaßlichen Vergiftung zu kämpfen. Derzeit könne sie sich pro Tag maximal drei Stunden konzentrieren. In einem Post auf Instagram schreibt sie - an Kollegen, Freundinnen und Aktivisten gewandt: "Wenn ihr euch plötzlich krank fühlt, bitte schließt nicht aus, dass ihr vergiftet wurdet, und geht zu Ärzten."

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