Schweinefleisch-Gesetz: Özdemirs Etikettenschwindel?

    Gesetz zur Schweinehaltung:Özdemirs Fleischlabel ein Etikettenschwindel?

    von Katja Belousova und David Gebhard
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    Es war das große Vorhaben Cem Özdemirs: ein Haltungslabel für Fleisch. Doch was der Minister als großen Wurf verkauft, erntet Kritik. Sowohl von Tierschützern als auch von Bauern.

    Cem Oezdemir (Buendnis 90/Die Gruenen), Bundesminister fuer Landwirtschaft und Ernaehrung, besucht den Schweinsmastbetrieb
    Cem Oezdemir und die Schweine: Ein neues Gesetz soll das Fleisch der Tiere einheitlich kennzeichnen.
    Quelle: Imago

    Wie wurde das Schwein gehalten, dessen Fleisch auf dem Grill oder als Schnitzel in der Pfanne landet? Wie viel Platz hatte es zum Leben? Und ging es ihm besser oder schlechter als anderen Schweinen?
    Auf diese Fragen zielt das erste große Gesetz des Landwirtschaftsministeriums in dieser Legislaturperiode. Am Freitag beschloss der Bundestag ein verbindliches, staatliches Kennzeichen für Schweinefleisch aus Deutschland. Bisher gab es nur eine freiwillige Kennzeichnung durch den Handel selbst - etwa durch die sogenannte Initiative Tierwohl. Doch die Rufe nach einer staatlichen Regelung waren laut. Nun kommt sie.
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    Tierschutzbund kritisiert "Etikettenschwindel"

    Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) bezeichnete sein Gesetz im Gespräch mit ZDF frontal im Vorfeld als "großen Beitrag zu Tierschutz, Klimaschutz, Verbraucherschutz". Der Jubel von Tier- und Verbraucherschutzseite bleibt jedoch aus. Stattdessen kritisieren sie den grünen Minister. Von seinen ursprünglichen Tierschutzplänen sei nicht viel übrig geblieben. Das Grün in der Ampel verblasst - wieder einmal.
    Der Deutsche Tierschutzbund nennt das neue Tierhaltungskennzeichen einen "Etikettenschwindel". "Das heute beschlossene Tierhaltungskennzeichnungsgesetz verhilft keinem einzigen Tier zu einem besseren Leben", kritisiert Präsident Thomas Schröder.

    Mit dem Gesetz werden eindeutig tierschutzwidrige Haltungssysteme mit "Stall" und "Stall+Platz" gesiegelt und damit staatlicherseits dauerhaft legitimiert.

    Thomas Schröder, Präsident Deutscher Tierschutzbund

    Seine Kritik zielt auf den Kern der neuen Haltungsformen: Neben etwa zusätzlichem Beschäftigungsmaterial geht es insbesondere um den jeweiligen Platz pro Schwein. So erfüllt die unterste Haltungsform "Stall" nur die gesetzliche Mindestanforderung, also mindestens 0,75 Quadratmeter Stallfläche für ein 50 bis 110 Kilogramm schweres Mastschwein. In der Haltungsform "Stall + Platz" hätte ein Schwein 12,5 Prozent mehr Platz - das entspricht in etwa anderthalb DIN-A4-Blättern.



    Weniger Platz für Schweine

    Im ursprünglichen Gesetzentwurf war in der staatlichen Stufe "Stall + Platz" sogar 20 Prozent mehr Platz pro Tier vorgesehen. Im Gesetzgebungsverfahren wurden es immer weniger - auch in den anderen Haltungsstufen.
    "In Anbetracht der tatsächlichen Bedürfnisse der Tiere sind die geplanten 'besseren’ Haltungsformen total unangemessen", moniert daher Sandra Franz von der Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch. "Ein paar Zentimeter mehr Platz und etwas Stroh ändern kaum etwas für die Tiere."

    Bei dem Gesetz geht es einzig und allein um den Erhalt der landwirtschaftlichen Tierhaltung in Deutschland - ungeachtet des milliardenfachen Tierleids und der verursachten Klimaschäden.

    Sandra Franz, Animal Rights Watch

    Özdemirs Label Verbrauchertäuschung?

    "Das Label führt Verbraucherinnen eigentlich in die Irre, weil der Fokus allein auf die Haltung einfach falsch ist", ergänzt Annemarie Botzki von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch im Gespräch mit ZDF frontal. Denn: Das Gesetz zielt bislang nur auf die Haltung von Mastschweinen - nicht aber auf ihre Schlachtung oder die Aufzucht von Ferkeln.
    In diesem Punkt argumentiert sogar der Bauernverband ähnlich wie Foodwatch. "Wir gucken mit dieser Kennzeichnungsregelung nur auf einen kleinen Abschnitt des Marktes, nämlich frisches Schweinefleisch, und auch nur auf einen Teil der Lebensphasen eines Tieres. Das ist definitiv zu wenig", erklärt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands.
    Verarbeitete Wurstwaren, Fertiggerichte und Fleisch in der Gastronomie werden bei dem neuen Label erst einmal nicht berücksichtigt - dabei machen sie etwa 70 Prozent der Schweinefleischerzeugnisse aus. Zudem gilt das Kennzeichen vorerst nicht für Rind- und Geflügelfleisch.
    Fleisch Schlachtmenge 2022
    ZDFheute Infografik
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    Kritik an Özdemir von Bauern und Tierschützern

    Die größte Glaubwürdigkeitslücke der neuen Labels sieht Krüsken aber woanders: "Dass es möglich ist, beispielsweise betäubungslos kastrierte Ferkel aus dem europäischen Ausland zu importieren, sie hier unter Bedingungen der Tierwohl-Stufe 3 oder 4 zu Ende zu mästen, und dann dem Verbraucher gegenüber den Eindruck zu erwecken: Naja, da ist ja schon alles in Ordnung mit dem Tier."
    Zu Beginn seiner Amtszeit bezeichnete Özdemir sich noch als "oberster Anwalt der Bäuerinnen und Bauern" und gleichzeitig "oberster Tierschützer". Mit seinem Haltungskennzeichen schafft er es nun, beide Seiten gegen sich aufzubringen.
    Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung entwickelt derzeit neue Empfehlungen, die bei vielen auf Unverständnis stoßen. Bei Lanz wirft Bayerns Ministerpräsident Söder (CSU) dem Bundesminister für Ernährung Özdemir (Grüne) vor, die Empfehlungen vorzuschreiben.
    Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung entwickelt neue Empfehlungen. Cem Özdemir (Grüne), Bundesminister für Ernährung, wehrt Vorwürfe ab, dass er sie vorschreibe.07.06.2023 | 1:03 min

    Tönnies: "Das verdient Anerkennung"

    Zumindest von der Industrie selbst gibt es lobende Worte für Özdemir - zum Beispiel von Deutschlands größtem Fleischproduzenten Tönnies. "Der Minister stellt sich den Herausforderungen, das verdient Anerkennung", erklärt Konzernsprecher Thomas Dosch.

    Er hat die Haltungskennzeichnung, ein Bundesprogramm zum Umbau der Tierhaltung, das Baurecht und das Immissionsschutzrecht angepackt.

    Thomas Dosch, Tönnies

    Es mangele aber dennoch an Zielgenauigkeit in den Details, so Dosch.
    Dessen ist sich Özdemir durchaus bewusst. "Wir fangen bei den Schweinen an. Warum bei den Schweinen? Weil es das Fleisch ist, was am meisten gegessen wird", erklärte er ZDF frontal.

    Wir arbeiten parallel schon daran, dass die Gastronomie als nächstes kommt. Und dann gehen wir Schritt für Schritt die anderen Nutztierarten ein.

    Cem Özdemir (Grüne), Bundeslandwirtschaftsminister

    Grafik: Fleischverzehr sinkt 2022 auf Rekordtief
    Quelle: ZDF/iStock

    Ampel kann Tierwohl-Versprechen noch nicht einhalten

    In einem sogenannten "Entschließungsantrag" haben Ministerium und Ampelfraktionen angekündigt, weitere Schritte auf dem Weg zu mehr Tierwohl und einer besseren Kennzeichnung gehen zu wollen. Rechtlich bindend ist dieser Antrag aber nicht - eher eine lose Absichtserklärung. Ob und wann weitere Schritte folgen, bleibt offen. Zumal die Finanzierung des Gesetzes nicht geklärt ist.
    In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Ampel noch versprochen:

    Wir führen ab 2022 eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung ein, die auch Transport und Schlachtung umfasst.

    Koalitonsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP

    Dieses Versprechen kann mit Özdemirs neuem Gesetz vorerst nicht gehalten werden.
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