Syrien-Geberkonferenz: Zu viel Elend und immer weniger Hilfe

    Geberkonferenz in Brüssel:Syrien: Zu viel Elend und immer weniger Hilfe

    Autorenfoto Nils Metzger
    von Nils Metzger
    |

    In Brüssel tagt die EU-Geberkonferenz für Syrien. Während die Spendenbereitschaft sinkt, steigt die Armut. Wasser und Essen sind knapp. Es ist die lange Rache der Assad-Diktatur.

    Syrien, Idlib: Ein Arbeiter bringt die auf Mülldeponien gesammelten Kunststoffteile zu einer Zerkleinerungsmaschine.
    Die EU mobilisiert bei einer Geberkonferenz 5,6 Milliarden Euro für das krisengeschüttelte Land. Wie groß die humanitäre Notlage noch immer ist, zeigt ZDF-Reporterin Golineh Atai. 15.06.2023 | 2:28 min
    Zum siebten Mal tagt in Brüssel die internationale Geberkonferenz für Syrien. Dabei geht es um nicht weniger, als die Versorgung von Millionen Menschen mit dem Allernotwendigsten für ein weiteres Jahr zu finanzieren. Von den hier bereitgestellten Milliarden hängt es ab, ob verarmte oder geflüchtete Familien Essen und medizinische Versorgung erhalten - oder hungern müssen.
    Davor warnt ein breites Bündnis an Hilfsorganisationen. "Noch nie waren in Syrien seit Ausbruch des Bürgerkriegs so viele Menschen in Ungewissheit darüber, was sie morgen essen sollen", teilte die Diakonie Katastrophenhilfe mit. Das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen strich laut eigenen Angaben bereits seine Hilfen in Syrien für rund 2,5 von 5,5 Millionen Menschen, weil zu wenig Geld bereitstehe.
    Mainz, 15.06.2023: Hayali führt ein SGS mit Atai.
    Es gibt in Teilen Syriens keine adäquate Hilfe mehr für die notleidenden Menschen, so ZDF-Reporterin Atai. Im Bewusstsein der Welt sei der Konflikt in den Hintergrund geraten.15.06.2023 | 1:47 min

    Geberkonferenz kann Hilfsbedarf wieder nicht decken

    Die Vereinten Nationen (UN) haben für 2023 einen Finanzierungsbedarf von rund fünf Milliarden Euro für Syrien selbst und über 5,2 Milliarden Euro für die Nachbarländer identifiziert. Wie schon in den Jahren zuvor wird die von der Europäischen Union (EU) organisierte Geberkonferenz diese UN-Berechnung nicht annährend erfüllen können.
    Bente Scheller, Leiterin des Nahost-Referates der Grünen-nahen Heinrich-Boell-Stiftung, kritisiert gegenüber ZDFheute:

    Die humanitäre Notlage in Syrien verschärft sich und über 90 Prozent der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Leider spiegelt sich das nicht in der Zielsetzung der Konferenz - wenn die angestrebten fünf Milliarden Euro erreicht würden, wäre das rund ein Fünftel weniger als im vergangenen Jahr, bei gleichzeitig so viel größerer Not.

    Dr. Bente Scheller, Heinrich-Boell-Stiftung

    Erste finanzielle Zusagen wurden am Donnerstagnachmittag bekannt. Die EU stelle für das laufende Jahr 1,5 Milliarden Euro und für 2024 560 Millionen Euro bereit, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Bei der Konferenz im Mai 2022 hatte die Europäische Kommission noch 3,1 Milliarden Euro zugesichert. Ein deutlicher Rückgang.
    Deutschland sagte am Donnerstag 1,05 Milliarden Euro zu, den identischen Betrag wie 2022. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) sagte am Donnerstag in Brüssel:

    Es wäre ein fataler Fehler, die Syrienkrise jetzt zu vergessen.

    Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze, SPD

    So schlimm ist die humanitäre Lage in Syrien

    Auch das International Rescue Committee (IRC) spricht von einer alarmierenden Lage in Syrien. Mehr als 15 Millionen Menschen benötigten humanitäre Hilfe, was einem Anstieg um 23 Prozent seit 2020 entspreche. Nach mehr als einem Jahrzehnt Bürgerkrieg hat die Währung drastisch an Wert verloren.

    Die Spendenbereitschaft nimmt ab. Je länger Konflikte dauern, desto weniger werden die Nöte noch wahrgenommen.

    Dr. Bente Scheller, Heinrich-Boell-Stiftung

    Vor allem in einst von Oppositionsgruppen kontrollierten Gebieten ist die Lage dramatisch; ein Wiederaufbau der Infrastruktur durch die Regierung bis auf wenige Ausnahmen weder politisch gewollt noch wirtschaftlich möglich. Millionen Menschen im Norden und Osten des Landes haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. In den Provinzen Aleppo und Deir ez-Zor gibt es darum immer wieder Cholera-Ausbrüche.
    Das schwere Erdbeben mit mindestens 8.500 Toten in Syrien Anfang Februar hat die Lage nachhaltig verschlimmert. Eine eigene Geberkonferenz der EU konnte zwar sieben Milliarden Euro für die betroffenen Gebiete in der Türkei und Syrien bereitstellen, vor allem die syrischen Rebellengebiete erreichte die Hilfe aber nur schwer.
    Ein Hindernis ist, dass die Assad-Regierung darauf drängt, dass alle Hilfe über Stellen in Damaskus laufen müsse. Hilfsorganisationen warfen Behörden auch immer wieder vor, Einfluss auf die Arbeit des Syrischen Roten Halbmonds zu nehmen und Hilfsgüter umzuleiten oder einzubehalten.

    Wiederaufbau in Syrien
    :Wie Assad Sanktionen für eigene Zwecke nutzt

    Erschweren westliche Sanktionen Erdbebenhilfe in Syrien? Präsident Assad behauptet das wider besseres Wissen. Der insgesamt schleppende Wiederaufbau des Landes hat viele Gründe.
    von Marcel Burkhardt
    Menschen gehen nach einem Erdbeben in der Stadt Jandaris in Syrien an beschädigten Gebäuden vorbei.

    Was ist mit den Nachbarländern Syriens?

    5,4 Millionen Syrerinnen und Syrer leben in Flüchtlingslagern in den Nachbarländern. Auch dort wachsen die Ressentiments gegen Geflüchtete; gefördert und aufgegriffen von der Politik. Libanon etwa hat seit der dortigen Wirtschaftskrise die Zwangsausweisung von geflüchteten Syrern deutlich ausgeweitet.
    Gleichzeitig kehrt die Assad-Regierung politisch mehr und mehr in den Kreis der arabischen Staaten zurück. Seit Mai darf Damaskus wieder seine volle Mitgliedschaft in der Arabischen Liga ausüben. Auf die humanitäre Hilfe werde das aber kaum Auswirkungen haben, so Expertin Scheller.

    Der Löwenanteil der humanitären Hilfe wird seit jeher von den USA, der EU und einzelnen europäischen Staaten gestemmt. Dänemark allein gibt mehr als der engagierteste arabische Geber, die Vereinigten Arabischen Emirate.

    Dr. Bente Scheller, Heinrich-Boell-Stiftung

    An dieser Gewichtung werde auch die diplomatische Normalisierung nichts ändern. "Das Regime hofft auf Investitionen aus den Golfstaaten; angesichts der schlechten Sicherheitslage in den regimekontrollierten Gebieten, in denen Milizen um Einfluss rangeln und Korruption weiterhin ein besorgniserregendes Ausmaß hat, wird das vermutlich aber noch dauern", sagt Scheller.
    Assad beim Gipfel der Arabischen Liga
    Im saudi-arabischen Dschidda nimmt Syriens Machthaber Assad erstmals wieder an einem Treffen der Arabischen Liga teil. Für ihn ist die Wiederaufnahme ein symbolischer Erfolg. 19.05.2023 | 1:36 min

    Keine politische Veränderung: Weiter Unterdrückung und Gewalt

    Die Intensität des Konflikts hat in vielen Landesteilen zwar abgenommen, noch immer gibt es aber fast täglich Anschläge, Bombardierungen und Gefechte, bei denen Soldaten und Zivilisten sterben. Dazu kommt die alltägliche Gewalt und Unterdrückung durch die syrischen Sicherheitsbehörden und Geheimdienste. Kritik an der Regierung bleibt lebensgefährlich.

    Nichts hat sich verbessert an all dem, was die Menschen 2011 auf die Straßen getrieben hat - Ungerechtigkeit, Missachtung von Menschenrechten, Korruption - alles hat sich ganz im Gegenteil verschlimmert.

    Dr. Bente Scheller, Heinrich-Boell-Stiftung

    Über 100.000 Menschen sind spurlos in Gefängnissen verschwunden - für die meisten Fälle sei die Regierung verantwortlich, sagt Scheller. Tausende wurden zu Tode gefoltert. "Dass sich daran etwas ändert, ist unwahrscheinlich. Die einzige Methode für das Regime, sein Überleben zu sichern, ist willkürlich Gewalt auszuüben und alle stets in Angst zu halten, dass sie die nächsten sein könnten."

    Syrien wieder bei Gipfel
    :Arabische Liga: Das bedeutet Assads Comeback

    Auf ihrem Gipfel in Dschidda will die Arabische Liga nach zwölf Jahren Syriens Machthaber Baschar Al-Assad wieder aufnehmen. Ein verheerendes Signal für Assads Opfer.
    von Golineh Atai
    Der syrische Präsident Bashar Al-Assad bei seiner Ankunft in den Arabischen Emiraten. (Archiv)

    Mehr zu Syrien