Nach dem Erdbeben: Syrien "liegt in Schutt und Asche"

    Syrien nach dem Erdbeben:"Das Land liegt in Schutt und Asche"

    Marcel Burkhardt
    von Marcel Burkhardt
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    Fast drei Monate nach dem verheerenden Erdbeben sei an einen Wiederaufbau in Nordwestsyrien noch nicht zu denken, berichten Zivilhelfer. Die Sorgen wachsen: "Es herrscht pure Not."

    Ein Kind schläft auf Hilfsgütern in einem Aufnahmezentrum in der Stadt Jandairis in Nordsyrien.
    Die Menschen in Nordsyrien, wie hier in Jandairis, sind auf Nothilfe angewiesen.
    Quelle: UNOCHA/Mohanad Zayat

    Sie kommen nie mit leeren Händen zu den Opfern des Bebens. "Wenn wir die Obdachlosen aufsuchen, haben wir zumindest immer Brot und Wasser dabei", sagt der Bilal Makhzom, Mitarbeiter einer lokalen Hilfsorganisation im Nordwesten Syriens: "Wo Brot ist, ist Hoffnung."

    Bebenregion von einem Wiederaufbau weit entfernt

    "Die Hoffnung nicht zu verlieren, ist in unserer Lage vielleicht die größte Herausforderung", sagt der Helfer im Gespräch mit ZDFheute. Denn, so berichtet er:

    Ringsum liegt noch immer alles in Schutt und Asche, es herrscht pure Not.

    Bilal Makhzom, Mitarbeiter syrische Hilfsorganisation

    Auf Anfrage beschreibt der syrische Zivilschutz Räumungsarbeiten in den Trümmern eingestürzter Häuser. Von einem "Neuaufbau" sei man aber weit entfernt.
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    Noch immer brauchen die Menschen dringendst Hilfe.10.03.2023 | 2:16 min
    Die Menschen in Nordwestsyrien sind immer noch auf sich gestellt:

    Bürgerkrieg in Syrien verhindert Strukturaufbau

    Der anhaltende politische Konflikt in Syrien verhindert nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) und verschiedener vor Ort tätiger internationaler Hilfsorganisationen den Wiederaufbau in Teilen des Erdbebengebiets.
    "Das Fehlen einer politischen Lösung" schränke "jegliches Engagement" für einen langfristig angelegten Strukturaufbau ein, berichtet Else Kirk, die für Syrien zuständige Landesdirektorin der Welthungerhilfe.
    Hinzu komme, dass aktuell nicht einmal genug Mittel verfügbar seien, "um die unmittelbaren Bedürfnisse der vom Erdbeben betroffenen Syrer zu decken", so Kirk, deren Organisation nach eigenen Angaben mehr als 100.000 Hilfsbedürftige in Nordwestsyrien versorgt.

    Neue Kämpfe verschärfen die Notlage der Erdbebenopfer

    Verschärft wird die Lage in der Region, weil sich seit kurzem wieder "gewalttätige Zwischenfälle" häufen, "an denen regierungstreue Kräfte, bewaffnete Oppositionskräfte und die Terrorgruppe HTS beteiligt sind", wie es in einem aktuellen UN-Bericht heißt.
    Wer kontrolliert welche Gebiete?
    Während die Gewalt in der von zwölf Jahren Krieg geschundenen Region wieder eskaliert, leiden die Menschen extrem. Das Ausmaß des derzeitigen Hilfsbedarfs sei "beispiellos, selbst in der langen und brutalen Geschichte der Syrien-Krise", sagte UN-Direktorin Lisa Doughten in dieser Woche.

    Über 90 Prozent der Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen

    Bereits vor dem Beben waren 90 Prozent der etwa 4,5 Millionen Einwohner Nordwestsyriens auf humanitäre Hilfe angewiesen. Knapp drei Millionen Menschen dort sind Binnenflüchtlinge, die im Krieg ihre Heimat verloren haben; fast zwei Millionen von ihnen leben in Zeltlagern.
    Erdbebengebiet
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    Eine Geberkonferenz sollte Hilfe bringen:
    Das vom Erdbeben betroffene Gebiet um Idlib wird nicht von der syrischen Regierung kontrolliert. Durch zahlreiche Bombardements des syrischen Militärs und seiner Verbündeten in den vergangenen Jahren ist dort bereits wichtige zivile Infrastruktur vernichtet worden.

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    Syrischer Junge mit einem Beatmungsgerät

    WHO in Sorge vor Krankheitsausbrüchen und Hungersnot

    Immerhin fast 1.700 UN-Lastwagen mit Trinkwasser, Nahrung, Heizmaterial, Medikamenten, Sanitär- und Hygieneartikeln haben bislang Nordwestsyrien erreicht, teilt ein Sprecher in New York auf Anfrage mit. Fast 1,7 Millionen Menschen haben demnach eine Cholera-Impfung erhalten und gut 800.000 Kinder im Erdbebengebiet einen Masern- und Polio-Impfschutz.
    Trotzdem ist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weiter in Sorge vor möglichen größeren Krankheitsausbrüchen im Erdbebengebiet.
    Schon im Sommer 2022 warnten Hilfsorganisationen vor einer Hungerkrise in Syrien:
    Die UN warnen zudem vor einer möglichen Hungerkrise in Syrien, weil in den Budgets der eigenen Hilfsprogramme gigantische Lücken klaffen.

    UN-Sondergesandter sieht Chance für Konfliktlösung in Syrien

    Mit Blick auf die Friedensbemühungen in Syrien weckte der UN-Sondergesandte Geir Pedersen etwas Hoffnung. "Wir befinden uns an einem potenziell wichtigen Punkt", sagte er am Donnerstag vor dem UN-Sicherheitsrat.
    Wegen des verheerenden Bebens werde dem Land wieder Aufmerksamkeit geschenkt. Pedersen wandte sich an die innersyrischen Konfliktparteien und deren ausländische Partner:

    Um jedes der unzähligen Probleme Syriens zu lösen, sind mehrere Schlüssel erforderlich, die jeweils von einem anderen Interessenvertreter gehalten werden.

    Geir Pedersen, UN-Sondergesandter für Syrien

    Um den Konflikt zu lösen, sei jetzt die Chance für eine gemeinsame Anstrengung. In Nordwestsyrien spüren die Menschen davon noch nichts. Bilal Makhzom fast die Lage so zusammen:

    Kaum hatten wir keine Angst mehr vor Nachbeben, haben wir die Waffen wieder gehört.

    Bilal Makhzom, Zivilhelfer

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