Im Katastrophengebiet Nordwestsyrien warten die Menschen offenbar vergeblich auf brauchbare Hilfe. Über den einzig offenen Grenzübergang kommen stattdessen Leichentransporte.
Die Provinzen Aleppo und Idlib werden von Rebellen-Milizen und Islamisten beherrscht. Nach dem Erdbeben ist die Lage dort besonders verheerend.
Die syrische Journalistin Sarah Kassim kann kaum fassen, was sich vor ihren Augen in Bab al-Hawa abspielt: Eine Reihe von Kleintransportern bringt syrische Erdbebenopfer aus der Türkei über den einzig geöffneten Grenzübergang nach Nordwestsyrien.
Mehrere Hundert tote Syrer sollen bereits aus der Türkei über die Grenze gebracht worden sein. Für Menschen, die im syrischen Erdbebengebiet unter dem Schutt eingestürzter Häuser verschüttet sind, schwindet indes von Stunde zu Stunde die Chance, lebend geborgen zu werden.
Die Erdbeben-Hilfe für Nordsyrien stellt sich schwierig dar. Die Menschenrechtsbeauftragte Amtsberg appelliert im ZDF an Assad. Auch Außenministerin Baerbock macht weiter Druck.
Helfer beklagen vor allem einen großen Mangel an Räumtechnik.
Syrische Helfer weitgehend auf sich allein gestellt
Drei Tage sind seit dem verheerenden Erdbeben vergangen und während auf der türkischen Seite des Katastrophengebiets vielerorts die Bergungsarbeiten auch mithilfe gut ausgerüsteter internationaler Suchteams laufen, sind die Menschen in Nordwestsyrien weitgehend auf sich allein gestellt.
Die Helfer des Zivilschutzes können kaum auf schweres Räumgerät zurückgreifen. Sie graben zumeist mit Schaufeln oder mit bloßen Händen nach Verschütteten.
Anlauf internationaler Hilfe ungewiss
Nach Agenturmeldungen sind die ersten Hilfstransporte der Vereinten Nationen über Bab al-Hawa für die Erdbebenopfer eingetroffen.
Zunächst aber dämpften Augenzeugen die Hoffnung: "Was wir bislang gesehen haben, waren Transporter mit Baumaterialien", sagt Kassim ZDFheute. "Dabei brauchen die Menschen jetzt am dringendsten Nahrung, Trinkwasser, Winterkleidung, Medikamente, Decken, Zelte, Heizmaterialien."
Die Zahl der Toten in den Erdbebengebieten in der Türkei und Syrien steigt stetig. Während die Türkei Hilfe aus über 30 Ländern bekommt, fehlt es in Nord-Syrien an allem.
Erdbebenopfer: Der Eiseskälte fast schutzlos ausgeliefert
Diese Einschätzung teilen auch der Sanitäter Bilal Makhzom und andere Zivilhelfer. Sie versorgen obdachlos gewordene Familien mit einer warmen Mahlzeit am Tag, mit Decken und Zelten.
Unzählige Menschen müssen demnach seit dem Beben in eisiger Kälte unter freiem Himmel oder in improvisierten Notlagern kampieren.
Mit seiner Familie hat Makhzom bei Minusgraden eine Nacht im Auto zugebracht. Inzwischen haben sie sich in das beschädigte Wohnhaus zurückgewagt. "Es ist besser als draußen bei dieser Kälte, aber die Kinder haben große Angst, dass die Erde wieder bebt", sagt er.
Wo genau in Syrien nach den tödlichen Erdbeben Hilfe ankommt hängt auch davon ab, wer die Gebiete kontrolliert: das Assad-Regime, Kurden oder islamistische Rebellen. Ein Überblick.
Was ihn als professionellen Helfer am stärksten umtreibt, ist der Mangel an Ausrüstung und Medikamenten. "Es fehlt einfach an allem, und es gibt so viele verletzte Menschen da draußen."
Diktator Assad bremst internationale Helfer aus
Noch hoffen sie auf internationale Hilfe - für die Überlebenden des Bebens. Für die Verschütteten bestehe hingegen kaum noch Hoffnung, so Makhzom. "Gestern haben wir nur Tote aus den Trümmern geborgen und der Glaube daran schwindet, dass wir noch jemand lebend finden", sagt er mit schwerer, erschöpfter Stimme.
Ob Syriens Machthaber Baschar al-Assad humanitäre Hilfe für die Region Idlib in ausreichendem Maß zulassen wird, ist weiter unklar. Den internationalen Forderungen, mehr Grenzgänge in das abgeriegelte Gebiet zu öffnen, hat Assad bislang widerstanden.
Große Not in Nordwestsyrien bereits vor dem Beben
Zum Hintergrund: Das Gebiet um Idlib wird nicht von der syrischen Regierung kontrolliert. Dort leben 4,6 Millionen Menschen; mehr als 60 Prozent von ihnen sind Binnenflüchtlinge, die im syrischen Bürgerkrieg ihre Heimat verloren haben.
Nach Angaben der Vereinten Nationen waren bereits vor dem Beben 90 Prozent der Einwohner Nordwestsyriens auf humanitäre Hilfe angewiesen. Durch Bombardements des syrischen Militärs und seiner Verbündeten ist ein Großteil der medizinischen Infrastruktur vernichtet worden.
- "Das Beben bricht uns das Genick"
Nach dem Krieg trifft das schwere Erdbeben die Menschen in Nordsyrien mit ungeheurer Wucht. Bewohner und Zivilhelfer richten einen Hilfsappell an die internationale Gemeinschaft.